Sergio Chávez aus El Salvador ist Experte für Arbeitsrechte in der Bekleidungsindustrie. Seit Jahren kämpft er für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie. Letztes Jahr hat er die Organisation „Equipo de Investigación Laboral“ gegründet, mit der er Recherchen in Fabriken durchführt, um Menschenrechtsverletzungen auf die Spur zu kommen.
Interview: Claudia Fatzkämper, Julian Grau; Übersetzung: Claudia Fatzkämper
Quelle: Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre
Wie viele Menschen arbeiten in der Maquila-Industrie? Wie viele in der Produktion von Kleidung?
Die Produktion in Maquilas umfasst nicht nur die Produktion von Kleidung sondern auch die anderer Produkte. In der Kleidungsindustrie arbeiten in El Salvador ungefähr 72000 Personen in der Kleidungsproduktion, 80% davon sind Frauen. In Guatemala 60000, in Honduras 110000, in Nicaragua 103000, insgesamt mehr als 300000 Arbeiter in Zentralamerika. Es gibt viele Firmen die von den steuerfreien Zonen profitieren. Es handelt sich um bekannte, vor allem nordamerikanische, aber auch europäische Marken. Die Arbeiter erhalten nur den branchenüblichen Mindestlohn.
Kannst du uns die Arbeits- und Lebensumstände der Beschäftigten in der Maquila-Industrie schildern?
Um nicht nur zu wiederholen, was jeder ohnehin schon weiß, werde ich die Zukunft schildern, die Maquila Arbeiterinnen erwartet. Die Rentenfonds wurden in El Salvador vor etwa 10 Jahren privatisiert und basieren nun auf einem Modell welches Pinochet in Chile damals auf Anraten der berühmten „Chicago Boys“ eingeführt hat. Es handelt sich also nicht mehr um ein Solidaritätsprinzip, in welchem es eine „Tasche“ gibt, in die Geld eingezahlt wird und im Rentenalter erhält man 60% des ehemaligen Lohnes für den Rest des Lebens. Jede Arbeiterin hat ihr eigenes Rentenkonto. Die Gehälterder Beschäftigten in den Maquilas sind so niedrig, dass die Ersparnisse der Arbeiter für eine Rente nicht ausreichen werden. Die Höhe der Konten beläuft sich lediglich auf etwa 8000-9000 Dollar. Die Unternehmen sagen den Arbeiterinnen, sie hätten keine Möglichkeit auf eine Rente und zahlen ihnen das Geld auf einmal aus. Das Problem ist, dass es keine weitere Rente gibt. So verlieren die Arbeiterinnen automatisch das Recht auf Gesundheits- und Sozialversicherung, weil das Geld auf besagtem Konto schlicht und einfach nicht ausreicht.
Der Mindestlohn in der Textilindustrie beträgt in El Salvador 210,90 Dollar und liegt damit unter der offiziell durch die Regierung von El Salvador etablierten Armutsgrenze bei 387,22 Dollar für eine Familie. Zwischen diesen Zahlen liegt ein großer Unterschied. So können wir sagen, dass egal um welche Marke es sich handelt, die Gehälter unter der Armutsgrenze liegen und, dass es sich um eine schlecht bezahlte Arbeit nach Standards in El Salvador handelt.
Also handelt es sich auch im Vergleich zu anderen Sektoren um eine schlecht bezahlte Arbeit?
Ja, wenn man es mit dem Baugewerbe oder dem Dienstleistungssektor vergleicht oder mit anderen Arbeiten im produzierenden Gewerbe vergleicht, sind die Arbeiter der Maquilas in einer untergeordneten Situation. Die Firmen, die in Maquilas produzieren lassen, zahlen keine Steuern. Die anderen Firmen, die mehr Lohn bezahlen, bezahlen auch Steuern. 10% Prozent der Einnahmen an den Staat. Die, die in Maquilas produzieren lassen, fahren nur ihre Gewinne ein und bringen diese in ihre Heimatländer.
Wer sind die Auftraggeber vor Ort und international?
Die großen Marken, damit meine ich bekannte Marken, sind nicht die Besitzer der Fabriken in der Region. Sie haben nur Büros in Zentralamerika und geben Aufträge an Fabriken vor Ort. Die Firmen gehören vor allem Personen aus El Salvador, aber auch Koreanern. Es gibt zwei transnationale nordamerikanische Unternehmen, die ihre eigenen Fabriken in El Salvador betreiben. Diese stellen ca. 24% der Angestellten in Maquilas. Das sind Fruit of the Loom und Hanesbrands.
Welche deutschen Marken lassen Kleidung in El Salvador produzieren?
Puma, Adidas, Reebok (gehört zu Adidas), haben Produktion in Zentralamerika und in El Salvador.
Auf den Hauptversammlungen von Puma und Adidas wurde uns erzählt, dass die Konzerne alles denkbare tun, um die Situation der Näherinnen zu verbessern. Wie ist dein Eindruck? Kannst du das bestätigen?
Der Punkt ist, dass diese und andere Marken versuchen, ihre Waren in nicht nur einer Fabrik herstellen zu lassen. Oder besser gesagt: Sie dominieren nicht die Produktion in diesen Fabriken. Es ist unwahrscheinlich, eine Fabrik zu finden in der Adidas 80% der Produktion in Anspruch nimmt. Sie lassen in verschiedenen Fabriken produzieren und der Anteil beträgt 10-25%. So ist es einfach für sie zu sagen: Wir wollen, dass die Situation sich bessert, aber die anderen Marken interessiert das nicht. Wir haben nur einen kleinen Anteil an der Produktion und für uns ist es sehr schwierig, Einfluss zu nehmen. Das ist Teil ihrer Taktik.
Unterstützt die Regierung in El Salvador die Beschäftigten. Wenn ja in welcher Form?
Wer sich um das Wohlergehen der Arbeiter in El Salvador sorgen müsste, ist der salvadorianische Staat und das Ministerium für Arbeit. Sie sind laut Verfassung dazu verpflichtet, erlauben aber diesen Missbrauch, weil sie ausländische Investitionen nicht behindern wollen. Manchmal wird die Rolle des Staates El Salvador in der Diskussion um die Maquilas vergessen. Der Staat ist abwesend, wenn es um Treffen geht, um Dialoge, die die Situation verbessern sollen. Sie kennen die Situation nicht, fragen auch nicht nach und es scheint, als ob den Staat nicht interessiert. Aus diesem Grund sehe ich eine geteilte Verantwortung. Aus politischen Interessen wollen einige Leute nicht reden. Die Wahrheit kann unbequem sein.
Hat sich etwas geändert, seit mit der FMLN eine Linke Partei an der Regierung ist?
Klar gab es durch die linke Regierung Veränderungen. Aber im Bezug auf das Thema über das wir reden, habe ich keine wesentliche Veränderung bemerkt. Die transnationalen Unternehmen haben freies Feld. Sie haben Macht und Gesetze, die ihnen zu Gute kommen, im Rücken.
Du führst mittlerweile deine eigene Organisation Equipo de Investigación Laboral. Wie kannst du deine Arbeit beschreiben? Was sind eure Methoden, welches die Herausforderungen?
Die Herausforderung liegt in der Finanzierung. Wir sind ein sehr kleines, sehr neues Team. Wir haben uns im letzten Jahr gegründet. Wir haben auf zwei Fälle mit relativem Erfolg Einfluss genommen. Unsere Methode ist es, mit den Arbeitern zu arbeiten, mit der Information der Arbeiter, nicht mit Informationen der Firma. Die Firma stellt immer alles schön dar und sagt, dass die Arbeiter das Problem darstellen, nicht die Firma. Unsere Arbeit ist auch sehr diskret. Ich bin nicht auf Versammlungen von Maquila Vereinigungen gegangen, da sie den Reisepass haben wollen und diesen danach kopieren und schon ist man in einer Situation, in der man kontrolliert wird. Keine Pressekonferenzen – nie. Ich arbeite wie ein Koch. Jemand anders soll das gute Essen servieren. Anerkennung und Applaus interessieren mich nicht. Mich interessiert es meine Arbeit zu machen, und umso weniger sie mich dort kennen, umso leichter ist diese Arbeit für mich. In unserem Land ist diese Form der Arbeit wirklich schwierig.
Könnt ihr mittlerweile schon Erfolge verbuchen?
Wir haben auf zwei Fälle mit relativem Erfolg Einfluss genommen. Ein weiterer Fall stellt eher ein Scheitern dar. Ein erster Erfolg ist die Einführung eines Verhandlungstisches in dem Unternehmen „young one“, Hersteller für Northface. Bei einem anderen Fall in Honduras wurde die Zahlung von ausstehenden Gehältern anerkannt und die Verhandlung über einen kollektiven Vertrag für August dieses Jahres angestoßen. Das scheint recht wenig, aber, da wir eine kleine, neue Organisation mit Finanzierungsschwierigkeiten sind, sind dies wahre Errungenschaften. Sie kommen mehr als 2000 Arbeitern zu Gute.
Als wir eine „nicht autorisierte“ Produktion für Puma in einer üblen Fabrik entdeckten, war das leider eher ein Misserfolg. Diese Fabrik entsprach dem, was man auf Englisch einen Sweat-Shop nennt. Die Entdeckung dieser Produktionsstätte zog den schnellen Rückzug Pumas, aufgrund der schlechten Presse nach sich. Puma hat nur immer wieder verlauten lassen, dass die Produktion nicht autorisiert war und keine Geschäftsbeziehung bestand. Aber wenn keine Geschäftsbeziehung bestanden hat, heißt das ja auch, dass die produzierte Kleidung, 60000 Stück, nicht verkauft wurde. Das Geld haben sie natürlich genommen, dementsprechend gab es auch eine Geschäftsbeziehung.
Kooperieren die großen Marken oder erschweren sie die Untersuchungen?
Die großen Marken zahlen keine besseren Gehälter als die günstigen Marken. Der Lohn ist der Mindestlohn. Manchmal sind ihre Fabriken besser ausgestattet aber manchmal sind sie auch identisch. Es ist ein Mythos zu sagen, dass bei teureren Marken, die Arbeiter zufriedener sind. Das ist nicht so. Die Firmen haben auf die harte Tour gelernt, dass negative Öffentlichkeit ihnen keinen Gewinn bringt. Sie halten sich
an das Gesetz, aber was sie nicht tun müssen, was über das Gesetz hinausgeht, machen sie nicht.
Was ist für dich die besserer Methode Angriff oder Dialog?
Das ist nicht einfach schwarz oder weiß. Man muss jeden Fall analysieren, die Möglichkeiten sehen. Wir können nicht sagen, dass die Marke sich in jedem Fall immer gut oder immer schlecht verhält. Man muss die effektivste Methode suchen. Worte reichen jedenfalls nicht. Die Marken brauchen einen Verhaltenskodex. Und wenn sie diesen haben, sollen sie ihn einhalten. Und wenn es keinen existenzsichernden Lohn gibt, sollen sie diesen einführen. Denn wenn nicht, ist es keine „saubere Kleidung“. Der Lohn ist das Fundamentale. Alles andere kann Dekoration sein. Was nützt eine saubere Fabrik, in der alles korrekt beschildert ist, mit schönen sanitären Einrichtungen und du kommst nach Hause und musst feststellen, dass die Fabrik schöner ist als dein Haus?
Was müsste sich dringend ändern und wer kann diese Veränderungen bewirken?
Wir sind produzierende Länder. Der Schlüssel liegt für mich bei den Konsumenten. Daten von vor vier Jahren besagen, dass jeder Nordamerikaner 22 Kleidungsstücke im Jahr gekauft hat. Multipliziert man 300 Millionen Bewohner Nordamerikas mit 22 Kleidungsstücken pro Person kommen wir zu einer enormen Menge.
Weniger Konsum bedeutet ja aber nicht automatisch, dass die Arbeitsbedingungen sich verbessern, oder?
Wir befinden uns in einem Kreislauf. Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Die Frage ist, wie wir diesen Kreislaufen unterbrechen. Dafür habe ich allerdings keine Antwort. Aber immerhin kann ich sagen, dass die zentralamerikanischen Länder aufhören müssten, in einem Wettbewerb untereinander zu stehen, wer die besseren Konditionen für die transnationalen Unternehmen anbieten kann. Unsere Rivalen sind unsere armen Nachbarn. Die Arbeiter aus den Maquilas in El Salvador müssen mit den Arbeitern aus den Maquilas in Honduras konkurrieren.
Sie verstehen, die Armut zu steuern. Die Verantwortung liegt nicht nur bei den Unternehmen, auch die Gewerkschaften müssen sich einig werden. Wir tragen auch selbst Verantwortung als gewerkschaftliche oder soziale Organisationen. Wir müssen eine Plattform für unsere Gemeinsamkeiten schaffen, um zu sehen wie wir wirkungsvoll für die Arbeiter kämpfen können.
Nun haben wir über die Konsumenten und die eigene Verantwortung gesprochen, aber was müssten die Konzerne tun, um die Situation zu verbessern?
Firmen existieren, um Geld zu erwirtschaften. Sie sind keine Armenhäuser. Sie sind keine sozialen Wohltäter, sondern Geldmaschinen. Und ich glaube, dort muss man ansetzen. Zu sehen, was Konzerne eigentlich sind. Ich habe keine hohen Erwartungen an sie. In Krisenzeiten schließen sie Produktionen an einem Ort und bringen sie an einen anderen, da sie nur der maximale Gewinn interessiert. Sie interessieren sich nicht für die Arbeiter, Gewerkschaften oder die Zivilgesellschaft. Aber sie versuchen keine negativen Schlagzeilen zu machen. Um diese zu verhindern, entstanden die Verhaltenkodizes, freiwillig von den Unternehmen eingeführt. Verbesserungen darüber hinaus, das wäre wie von einem Löwen zu verlangen, vegetarisch zu leben. Das ist sehr schwierig. Ich sage ganz ehrlich, ich habe keine Antwort und möchte auch keine erfinden. Ich weiß es nicht, ich bin alt, die neue Generation muss sich etwas überlegen, etwas erfinden.