vonClaudius Prößer 24.05.2009

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Der Mann ist 35 Jahre jung, Abgeordneter der Sozialistischen Partei Chi­les und will im Dezember Präsident werden. Nicht von seiner Partei, son­dern von Chile. Seine Chancen stehen besser, als man vermuten könnte.

Marco Enríquez-Ominami heißt der Mann, der die Chefs der regierenden Concertación (darunter die Sozialisten) als „Dinosaurier“ bezeichnet. Der glaubt, die „Lösungsansätze der 70er-, 80er- und 90er-Jahre“ hätten „weder die Kraft noch ausreichend Legitimität, um radikale Reformen einzuleiten“. Seine eigenen Lösungsansätze sind im Netz unter www.marco2010.cl nachzulesen: mehr Solidarität und weniger Neo­li­be­ralismus, mehr Demokratie und Transparenz, bessere Rechte für Ar­beit­nehmer und Verbraucher, bessere Bildung, konsequenterer Um­welt­schutz. Ganz so radikal klingt das nicht, aber wegen Enríquez-Ominami kriegt derzeit mancher Politiker der Concertación täglich büschelweise graue Haare.

„Marquito“, wie ihn Camilo Escalona, der Vorsitzende der Sozialistischen Partei, einmal abfällig genannt hat, strebt das höchste Amt der Republik nämlich ohne den Segen der regierenden Koalition an. Die schickt gegen den Kandidaten der Rechten, Sebastián Piñera, den Christdemokraten Eduardo Frei ins Rennen, der das Land bereits zwischen 1994 und 2000 regiert hat. Nicht gerade ein frischer Wind, der da von Mitte-Links weht, und das will Enríquez-Ominami ändern. Aber wer stärkt ihm dabei den Rücken?

„Hinter mir steht eine große Gruppe aus Abgeordneten, Stadträten, Bürgermeistern, Intellektuellen, Akademikern, Kulturschaffenden, Öko­no­men, jungen und nicht mehr so jungen Leuten, die mit mir ein Pro­jekt der Veränderung durchsetzen wollen“, sagt der Mann, der sich gern mit nachlässiger Geste durch den pechschwarzen Schopf fährt, spricht wie ein Maschinengewehr und bunte Krawatten trägt, die immer ein bisschen zu locker sitzen. Man rechnet ihn im Parlament zur Gruppe der díscolos, der „widerspenstigen“ Con­cer­ta­cionistas. Enríquez-Ominami spricht oft von einer gemischten Bi­lanz der Concertación, für die er selbst ja auch im Kongress sitzt. Für ihn stimmt zwar die Richtung, aber nichts geht schnell genug und zu viel geht schief. Schuld daran: Bürokratie, Vetternwirtschaft, mangelnde Begeisterung. Diesen Diskurs teilt er mit Piñera, und deshalb glauben manche Demoskopen, dass er auch dem rechten Unternehmer ein paar Prozente stehlen könnte.

Dass der Mann mit dem sperrigen Namen im politischen Zwei-Lager-Land Chiles überhaupt eine Außenseiterchance haben könnte, verdankt sich unter anderem seiner Biografie. Enríquez-Ominami hat zwei Väter: Sein biologischer war Miguel Enríquez, Anführer des MIR und bis heute eine linke Ikone. Nach dem Putsch versuchte er, einen bewaffneten Wi­der­stand zu organisieren, 1974 wurde er in Santiago von Pinochets Ge­heim­po­lizei erschossen. Da war Marco gerade ein Jahr alt. Adoptiert hat ihn Carlos Ominami, ebenfalls MIR, der sich im Exil freilich gründlich „reformierte“, später als Wirtschaftsminister das neoliberale Erbe der Diktatur verwaltete und inzwischen als Senator im Kongress sitzt. Zwei sehr unterschiedliche Strömungen, wenn man so will, die sich auf irgendeine Weise in der Figur Enríquez-Ominamis vereinen.

Und das ist noch nicht alles: Enríquez-Ominamis Frau, die blonde, deutschstämmige Fernsehmoderatorin Karen Doggenweiler, bringt einen gehörigen Schuss Promi-Glamour mit in die Kandidatur. Die beiden kennen sich aus dem TV-Geschäft, denn Ehemann Marco ist aus­ge­bildeter Regisseur und hat jahrelang Fernsehproduktionen, aber auch ein paar Kinofilme gedreht.

Noch ist es freilich gar nicht so weit. Vor die Zulassung einer unabhängigen Kandidatur setzt die chilenischen Verfassung eine Un­ter­schrif­ten­sammlung. 36.000 Marco-Anhänger müssen in einem No­ta­riat erscheinen und nachweisen, dass sie keiner Partei angehören und ins Wählerregister eingetragen sind. In Chile, wo viele junge Menschen das Interesse an der Politik verloren haben und sich nie ins Register haben aufnehmen lassen, ist das kein so einfaches Unterfangen. Auf genau diese Gruppe zielt Enríquez-Ominami aber ab, und ein Viertel der Unterschriften ist aber schon zusammen.

Was den widerspenstigen Sozialisten inzwischen zum „Phänomen Marco“ gemacht hat, ist sein außerordentlich gutes Abschneiden in den Umfragen. Die letzten sprechen von zehn Prozent Unterstützung oder mehr, eine bescheinigte ihm sogar, er würde bei einer Stichwahl gegen Sebastián Piñera besser abschneiden als sein Mitbewerber Eduardo Frei. Dem hat Enríquez-Ominami kürzlich angeboten, sich in landesweiten primarias zu messen, nachdem er von den offiziellen Vorwahlen in der Concertación durch eine kurzfristige Änderung der Statuten ausgeschlossen worden war. Frei lehnte natürlich ab.

Ob am Ende tatsächlich zwei Kandidaten aus dem Spektrum der Concertación ins Rennen gehen, ist völlig offen. Täglich bekommt der junge Herausforderer Gegenwind, aber auch neue Unterstützer. Sein Vater, der Senator, steht zum großen Ärger der sozialistischen Spitze hinter ihm, und auch Ex-Präsident Ricardo Lagos (2000-2006) findet, man solle seine Kandidatur zumindest in Betracht ziehen.

Es kann aber auch schnell wieder vorbei sein mit „Marco 2010“ – wenn erst einmal die konkreten politischen Ideen bekannt werden, die er und sein Team hegen. Vor zwei Wochen präsentierte er einen „Wirtschaftsplan“, der viele Linke aufheulen ließ: Enríquez-Ominami schweben da weitere Teilprivatisierungen von Staatsunternehmen vor, sogar der sakrosankten Codelco, mit der der Sozialist Salvador Allende einst den für Chile immens wichtigen Kupferbergbau sozialisierte. Der Christdemokrat Eduardo Frei, dessen Vater schon vor Allende mit der Nationalisierung des Kupfers begonnen hatte, schlug denn auch gleich tief in diese Kerbe: „Wir wollen Codelco auf gar keinen Fall privatiseren. Das Unternehmen soll in den kommenden Jahren expandieren und dem Land wichtige Einnahmen verschaffen, die es dringend für den Schutz der sozial Schwachen braucht.“ Dieser Punkt ging an Frei.

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