vonHildegard Willer 18.10.2013

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Wenn die Frauen aus Chihuani, Combaya oder einem der Nachbardoerfer im bolivianischen Hochland ihre farbigen Wolltuecher auf den Boden legen und das mitgebrachte Essen zum gemeinsamen „aptapi“  ausbreiten, duerfte jedem gesundheitsbewussten Vegetarier das Wasser im Munde zusammen laufen: organisch angebaute Kartoffeln, in einer Auswahl von mindestens vier Sorten, von der lilafarbenen Huayra bis zur Peruanita; die Andenwurzel Ragacha – eine perfekte Mischung von Karotte und Kartoffel;  gefriergestampfte Chunhos, die der Andenbevolkerung auch ueber eine Trockenzeit ohne Ernte hinweghilft, darf auch nicht fehlen.

 

Dazu handgemachter Kaese,  fingerkuppengrosse saftig gelbe gekochte Maiskoerner, daumengrosse Saubohnen und eine frisch gebackene Tortilla aus selbstgemahlenem Maismehl: das alles getunkt in wuerzige Sossen mit Kraeutern aus dem heimischen Garten .  Gegessen wird mit der Hand, weit und breit kein Geschirr, geschweige denn Plastikgeschirr zu sehen – ausser der unvermeidlichen 3-Liter-Flasche mit irgendeinem bunten suessen gesprudelten Getraenk, das im Plastikbecher herumgereicht wird.

 

Die Doerfer, in denn ich dieses exquisite Mahl geniessen durfte, gehoeren zu den aermsten Doerfern Boliviens und gelten als rueckstaendig.

 

Echarate ist das reichste Dorf Perus:  die Gemeinde im oestlichen Tiefland des Departamentes Cusco beherbergt die groessten Gasfelder Perus. Die Steuereinnahmen  aus der Erdgasfoerderung haben den indigenen Tieflandbewohnern  von Echarate zum durchschnittlich hoechsten Prokopf-Einkommen verholfen.  Dennoch  hat die Unterernaehrung in Echarate gerade unter den indigenen Machiguenga zugenommen, wie die Journalistin Nelly Luna in einer Artikelserie in El Comercio berichtet. „Es ist kein Problem des Geldes“, sagt sie. Statt wie herkoemmlich auf die Jagd zu gehen oder zu fischen, kaufen die Machiguenga nun ein Sprudelgetraenk und eine Packung Cracker im naechsten Laden zum Fruehstueck.

 

Etwas aehnliches ist auch in den Hochanden zu beobachten, wenn auch aus einem anderen Grund: aufgrund der hohen Weltmarkt-Nachfrage nach Quinoa, verdienen viele Subsistenzbauern im bolivianischen und peruanischen Hochland zum ersten Mal  richtig Geld mit ihrem Produkt, das bisher nur zum Hausgebrauch angebaut wurde. Viele Bauern verkaufen die Quinoa lieber, als sie selber zu essen. In vielen Andendoerfern kann man deshalb keine Quinoa mehr auf dem Dorfmarkt kaufen – oder wenn dann zu horrenden Preisen. Mit dem Erloes aus dem Quinoaverkauf fuer den Export kaufen viele Bauern nun das, was bisher unerschwinglich war und in der Werbung als Inbegriff eines modernen Lebens gilt: Nudeln, Thunfisch aus der Dose, eines der bunten Cola-Getraenke und die unvermeidlichen Cracker als Brotersatz.

 

Es ist ein Paradox – und sicher nicht das einzige – des sogenannten Fortschritts, dass mehr Geld nicht automatisch zu besserer, sehr wohl aber oft zu schlechterer Ernaehrung fuehrt.

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