“Sólo tu, sólo tu, sólo tu”…”Nur du, nur du, nur du”… hallte gestern der Refrain des Mariengesangs ueber die Grundstuecksmauer. Gesungen von einer kleinen Gruppe von Glaeubigen, die unterstuetzt von Blasmusik durch die Gassen unseres Viertels zogen. Angefuehrt wurden sie von einem weissgewandeten Priester hinter der Statue der Jungfrau Maria und begleitet von den weniger katholischen Tinku-Taenzern in ihren bunten Kampftrachten. Nur Du?
Nun, die katholische Muttergottes ist gleichzeitig auch die andine Mutter Erde. Anlass des Umzugs war der Tag des Apostels Andreas, Dorfheiliger des Bergwerkszentrums Kami, aus dem die meisten Anwohner unserer Viertels kommen. Eigentlich ist das Andreasfest eine Woche frueher. Doch da wird in Kami selbst gefeiert, um die Festlichkeiten dann im staedtischen Ableger, dem Kami-Viertel in Quillacollo nahe Cochabamba., spaeter noch einmal zu wiederholen. Wiederholen will auch der bolivianische Praesident Evo Morales, und zwar seine Amtszeit.
Zwar ist das rechtlich und politisch nicht ganz korrekt. Aber bei nach wie vor guten Umfragewerten, hat das von der Regierungspartei MAS dominierte Verfassungsgericht die erneute Kandidatur fuer die Wahlen im naechsten Jahr per Mehrheitsentscheidung durchgewunken. “Nur du, nur du, nur du”, scheint nicht nur das Motto im Land angesichts wenig aussichtsreicher Gegenkandidaten einer mehrfach gespaltenen Opposition, sondern auch im Regierungslager. Das hat es in bald einem Jahrzehnt nicht geschafft , alternative Kandidaten oder Kandidatinnen fuer das hoechste Regierungsamt zu positionieren. Die einen treten nicht aus dem Schatten, einige wurden wegen abweichender Vorstellungen aus dem Regierungsapparat entfernt, und andere neutralisieren sich in der Regierungspartei gegenseitig.
Ein Selbstlaeufer werden die Wahlen trotzdem nicht sein. Zu gross ist die Unzufriedenheit bei den staedtischen Mittelschichten. Und fuer die indigene Landbevoelkerung hat die Regierung viel an Ueberzeugungskraft eingebuesst. Zu haeufig hatte die MAS die indigenen Organisationen zu spalten und sie mit staatlich finanzierten Programmen zu manipulieren versucht. Vor allem wegen der Uebergriffe beim Konflikt um den Bau einer Ueberlandstrasse durch das indigene und Naturschutzgebiet TIPNIS ist bei vielen Indigenen Im Tiefland die Enttaeuschung gross. Hier und dort bilden sich neue Gruppierungen und bisweilen ungewoehnliche Allianzen mit eher rechten Parteien. Aber wenn die meisten Bauern Evo Morales wieder waehlen werden, dann nicht mehr aus der Aufbruchstimmung heraus fuer ein gleichberechtigtes plurinationales Bolivien, sondern als “kleineres Uebel”, oder gar in Anerkennung fuer umgesetzte Projekte.
Fast ueberall in den laendlichen Regionen stehen neue Bruecken, wurden neue Strassen, Schulgebaeude oder Sporthallen gebaut und vielerorts Fussballplaetze aus Kunstrasen angelegt. Doch so wie der neue Markt in Presto in der Provinz Chuquisaca steht die Infrastruktur haeufig ungenutzt da. Und im Nachbarmunizip Tarabuco antwortet ein Lehrer eines Landinternats auf die Frage, welche Zukunft sich die Jugendlichen nach ihrem Schulabschluss vorstellen, fuer seine schweigsamen Alumni: “Sie haben keine Zukunft”. In manchen Doerfern tauchen inzwischen regelmaessig Personen aus dem entfernten Tiefland von Santa Cruz auf, die Schueler und Schuelerinnen fuer die Ferienzeit oder dauerhaft abwerben. Fuer die die Zuckerrohrernte, als Hausangestellte oder gar in die Prostitution. Das mag zahlenmaessig in Bezug auf die gesamte Landjugend nicht ins Gewicht fallen. Doch Aufbruchstimmung sieht anders aus.
Die Wirtschaft Boliviens waechst zwar stetig, dies jedoch vor allem aufgrund der Erdoel- und Erdgasproduktion und eines zeitweiligen Mineralienbooms. Dem Grundproblem einer geringen Produktivitaet in den Staedten und und durch die Klimawandelfolgen noch prekaerer gewordenen kleinbaeuerlichen landwirtschaftlichen Produktion, konnte mit den Investitionen, die den Schwerpunkt auf Infrastrukturmassnahmen legen, nur unzureichend begegnet werden. An Geld fuer die Foerderung der Produktion fehlt es nicht, doch eine zentralistische Interpretation der Verfassung legt den kommunalen Traegern nicht nur zahlreiche buerokratische Huerden auf. Vielerorts fehlt es auch einfach an geeignetem Personal, um in einer komplizierten oeffentlichen Verwaltung neue Akzente zu setzen. Und an vielen Orten sind die alten, haeufig korrupten, Eliten unter neuer Parteiflagge laengst an die Hebel der Macht zurueckgekehrt.
Das ist durchaus gewollt: Im Vorwahlkampf hat die Regierungspartei juengst oeffentlich die Parole ausgegeben, sich verstaerkt um die Anwerbung von Mitgliedern der Opposition zu kuemmern. Und fuer die Arbeiter, deren Einheitsgewerkschaft mit einer eigenen Partei fuer die Wahlen geliebaeugelt hatte, wurde juengst per Regierungsdekret ein doppeltes Weihnachtsgeld angeordnet. Statt dem doppelten Gehalt, wie bislang geplant und kalkuliert sollen zu Weihnachten nun drei Monatsgehaelter ausgezahlt werden. Als Belohnung fuer den Beitrag zum wirtschaftlichen Wachstum. Dass dies die Kostenkalkulation in den Unternehmen beeinflusst, dass es den formellen Sektor weiter gegenueber dem informellen Sektor schwaecht, will die Regierung nicht wahrhaben. Man werde strikt gegen jeden Preiserhoehung vorgehen. Ein Bauunternehmer berichtete mir dieser Tage, wegen des doppelten Weihnachtsgeldes habe er bereits Personal entlassen muessen und entsprechend langsam gingen die Projekte nun voran. Und wenn die Bauernorganisationen, die die Regierung stuetzen, das naechste Mal die Nichtregierungsorganisationen wegen ueberhoehter Gehaelter kritisieren, werden sie sich die Frage gefallen lassen muessen, ob sie sich gegen die angeordnete Lohnerhoehung gewehrt haben, die nur auf Kosten der Beguenstigten gehen kann.
Auch die Alten wollen nun eine Erhoehung ihrer Renten und die Busfahrer haben heute die wichtigsten Zufahrtsstrassen nach Cochabamba blockiert, um Tariferhoehungen durchzusetzen. Die Antwort des Buergermeisters, dies erfordere zunaechst eine Preisstudie, die ein halbes Jahr in Anspruch nehmen werde, ueberzeugt nicht so ganz. Die sollte nach dem letzten Streik schon in Auftrag gegeben werden. Und wer den Anteil der Personalkosten am Fahrpreis kennt, der braucht auch kein halbes Jahr, um auszurechnen, was ein 15. Monatsgehalt an zusaetzlichen Kosten bringt.
Manche konfliktive Situation mag sich von alleine loesen, wie die Ueberproduktion von Koka in der Chapare-Region, der wichtigsten sozialen Basis von Evo Morales. Ueber 90% davon gehen in den illegalen Drogenhandel, wie juengst wieder eine Studie gezeigt hat. Doch aufgrund uebermaessigen Chemieeinsatzes und Resistenzentwicklungen sind viele der Anpflanzungen in den Cochabambiner Tropen von einem Pilz befallen, die die Produktion von sich aus verringern. Abgesehen davon ist in Bolivien fuer das Wahljahr 2014 jedoch eine Zunahme von Konflikten zu erwarten, zumal der grosse Entwurf, die politische Vision in der Regierung gegenueber dem politischen Raenkeschmieden in den Hintergrund getreten ist. Die unbestrittene Fuehrungsrolle eines Evo Morales ist kein Ersatz dafuer. So wie Maria ein wenig Pachamama, ein wenig christliche Gottesmutter ist, so ist auch bei Evo Morales unklar, wohin die Reise in Zukunft gehen soll. Vielleicht ist diese Ambivalenz bei den heterogenen Interessenlagen im Lande verbunden mit selektiven Versprechen und Verguenstigungen aber aehnlich wie in der katholischen Kirche gerade das Erfolgsrezept.