vonPeter Strack 22.07.2019

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An einem Juli-Samstag haben sich im nagelneuen modernen Gemeindekulturzentrum von Colcapirhua auf Einladung der Organisation Wiñay Pacha über ein Dutzend Kinder und zwei Dutzend Jugendliche und ihre erwachsenen BegleiterInnen der Kinder- und Jugendkomitees von sechs Munizipien des Großraums Cochabamba versammelt. Manche sind, wie im Gesetz 548 vorgesehen, formal bei ihrer Stadtverwaltung eingeschrieben und werden zu Anhörungen und Planungssitzungen eingeladen. Andere sind unabhängig mit der Unterstützung von Nicht-Regierungsorganisationen entstanden. Sie tauschen ihre Erfahrungen aus und berichten über vergangene und geplante Aktionen. Da ist von einem Lokalgesetz für einen respektvollen Umgang mit Kindern im öffentlichen Nahverkehr in Cochabamba, aber auch von Problemen die Rede, die nicht nur Kinder betreffen: So wie die Wasserversorgung.

Basta! Sexuelle Gewalt ist eines der Themen, die das Kinderkomitee von Colcapirhua beschäftigt

Fast alle beschäftigt das Thema der Gewalt und der sexuellen Gewalt gegen Kinder. Es müsse viel mehr mit Lehrpersonen und Eltern dazu gearbeitet werden, fordern sie. In Sacaba haben sie deshalb zusammen mit der Stadtregierung die Bildung von Elternbrigaden in den Schulen auf den Weg gebracht, um Entführungen und Gewalt vor dem Schultor vorzubeugen. Zur Verbesserung der Gesundheit sollen in Quillacollo Heilkräutergärten angelegt, in Tiquipaya Erste Hilfe-Koffer in den Schulen installiert werden. Die Komitees berichten von Müllsammelaktionen zusammen mit dem Militär oder der Stadtverwaltung wie in Colomi und planen Reycling-Wettbewerbe zusammen mit den Menschen, die vom Reycling auf den Straßen leben. In Colomi haben sie auch eingeführt, dass jeder Schüler und jede Schülerin zwei Bäume im Jahr pflanzen muss, wenn sie oder er im Fach Biologie keine schlechte Note haben will.

Umweltthemen stehen im Mittelpunkt: Daniel stellt den Arbeitsplan seiner Aktionsgruppe vor

Und am Ende stellte sich auch noch eine Gruppe von jungen Erwachsenen aus Sacaba vor, die mit der Organisation Wiñay Pacha groß geworden waren. Wir fragten den 21jährigen Daniel Mamani, einen ihrer Sprecher, was ihre Rolle auf dem Treffen war.

Daniel: Zuerst einmal habe ich zugehört und geschaut, welch Potential es hier bei den Kindern und Jugendlichen gibt. Ich selbst habe damals mit 13 Jahren in so einem Kinderkomitee angefangen. Zunächst ist man wie ein Samen, der erst langsam wächst und aufgeht. Und genau das habe ich hier auch gesehen. Die Kinder hier brauchen nur einen kleinen Anstoß und werden dann alleine weiter gehen. So geht die Arbeit weiter. Weil wir weiter arbeiten, und weil nach uns andere kommen.

Daniels Zuhause (rechts die Mutter) ist ein ökologisches Kleinod: Apfelsaft und Früchte aus dem eigenen Garten. Der Bruder Jonathan (links) studiert Jura und interessiert sich vor allem für Umweltrecht, Copyright Foto: Silke Kirchhoff

Frage: Wieviele Jugendliche arbeiten in deiner Gruppe in Sacaba mit?

Daniel: Bis zu zehn, aber permanent aktiv sind nur sechs davon. Wenn die Jugendlichen die Schule beenden und zur Universität gehen, dann verlieren wir sie oft aus den Augen.

Frage: Und warum bist du dabei geblieben?

Irgendwas gibt mir die Gruppe, ich weiss es auch nicht so genau. Vielleicht ist es Hoffnung. Es ist ein Projekt von Jugendlichen mit Jugendlichen. Wir machen Aktionen, etwa das wir das Grüßen fremder Personen auf der Straße wiederbeleben. Wir organisieren viele künstlerische Aktivitäten, Geschichtenerzählen, Gedichte dichten, Workshops im Malen und Zeichnen und jetzt Fotografie.

Strassenkultur an der Laguna Alalay, Foto mit dem Handy: Daniel Mamani

Frage: Du bist ein leidenschaftlicher Fotograf

Daniel: Das ist mein persönliches Projekt, meine Lebensperspektive, die ich auch anderen öffnen wollte. Nicht aus Eitelkeit, sondern um anderen zu zeigen, was ich sehe. Und damit sie selbst ihre Augen öffnen. So entstand die Idee, einen Fotokurs zu machen. Wir haben einen Termin gemacht, sind in Schulen gegangen, um für den Kurs zu werben. Das geht nicht einfach so. Man braucht die Genehmigung der Schulleitung. Ich hatte so etwas noch nicht gemacht. Aber dann hat der Kurs tatsächlich stattgefunden. Am Anfang war es gar nicht so leicht, die Aufmerksamkeit der Jugendlichen zu bekommen. Fotografieren ist wie ein Boxkampf, wo du in Bewegung und sehr aufmerksam sein musst, um den entscheidenden Schlag zu setzen. Aber wenn ich mir die Ergebnisse anschaue, dann hat es sich gelohnt. Wir haben zum Thema Umwelt und Umweltverschmutzung fotografiert.

Etwas brennt – Unvorhergesehenes Unglück, Foto von Marcelo Quiroga, entstanden in dem Fotoworkshop mit Daniel

Frage: Wer hat das Thema ausgesucht?

Daniel: Meine Idee war, Reportagen zur Umweltverschmutzung in ihren Wohnvierteln zu machen und sie erzählten dann, dass die Ziegelei permanent Rauchwolken produziert. Ich habe dann gesagt, dass sie das fotografieren sollten, aber nicht einfach so.  Dass sie genau hinschauen und die Dinge aus einer anderen Perspektive zeigen sollen.

„Öffne Deine Augen“ steht auf einem Plakat zur Vorbeugung von Gewalt im Büro von Wiñay Pacha („Zeit zu wachsen“) in Sacaba. Das Motto von Daniel. Copyright Foto: Silke Kirchhoff

Und dass sie dafür früh aufstehen müssen… Und so sind viele Fotos zustande gekommen, die wir nun in einer Ausstellung zeigen wollen. Und wenn das erfolgreich ist, will ich weitere, noch größere Projekte machen. Ich habe schon Kontakt mit Jugendgruppen aus La Paz aufgenommen. Ich will gerne reisen und dabei Fotokurse geben. Und wenn das jetzige Projekt nicht gelingt, dann werde ich es weiter versuchen, bis es ein Erfolg wird. Um etwas zu hinterlassen, was aussagekräftig ist.

Feuer in Villa Obrajes: „El Choco“ nennen sie den Jugendlichen, der beim Fotoworkshop gut hingeschaut hat, wie weisser Rauch und Wolken sich vermischen

Frage: Und wovon lebst Du?

Ich lebe noch zu Hause bei meinen Eltern, aber nach Abschluss meiner Fotografieausbildung verdiene ich mein Geld mit Porträts von Kindern, Schwangeren und mit anderen Auftragsfotos, etwa von Haustieren. Meine Leidenschaft bleibt aber die Landschaftsfotografie, Nachtaufnahmen, Sonnenuntergänge… da liegt meine künstlerische Botschaft.

Foto: Daniel Mamani

Frage: Auf dem Treffen heute hast du gesagt, ihr wolltet die Schülerdemonstrationen „Fridays for Future“ auch in Bolivien einführen. Die haben ja politische Botschaften. Wie reagiert der Bürgermeister auf Eure Aktionen?

Daniel: Er sorgt sich schon um die Themen der jungen Leute. Aber wir müssten da kontinuierlicher dran bleiben, ihn immer wieder einladen. Es sind so viele Dinge, die wir von der Politik wollen, ich kann das gar nicht auf den Punkt bringen. Was uns hier in Sacaba bewegt, das muss nicht die Jugendlichen von La Paz bewegen. Wir sind ein sehr vielfältiges Land. Aber der sogenannte Klimawandel ist schon längst ein Klimanotstand geworden.

Was würdest du denn tun, wenn du Präsident Boliviens wärest?

Politik ist nicht so meine Sache, ich bin eher ein Denker, Philosoph und Künstler, ich lese auch gerne, aber wenn ich Präsident wäre, würde ich als als erstes einmal zuhören und genau hinschauen.

 

Herzlichen Dank an Fotografin und Fotografen fuer ihre Zeit und die kostenlose Zurverfügungstellung ihrer Fotos

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