vonPeter Strack 27.06.2024

Latin@rama

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Bolivien hat viele Staatsstreiche und Putschversuche erlebt. Der am gestrigen 26. Juni 2024 gehört sicher mit zweieinhalb Stunden zu den kürzesten, kuriosesten, aber auch verwirrendsten. Wenn es denn überhaupt ein Putsch gewesen ist.

Am Morgen verbreitete sich die Nachricht, dass Heereschef Juan José Zúñiga Macias wegen kritischer Äußerungen über Ex-Präsident Evo Morales von dessen derzeitigem politischen Gegner Präsident Luis Arce Catacora entlassen worden sei. Mit der Äußerung, Evo Morales könne nicht wieder Präsident werden, und falls Morales dennoch kandidiere, werde er ihn wohlmöglich festnehmen lassen, um der Verfassung Geltung zu verleihen, habe der Heereschef die politische Neutralitätspflicht verletzt. Erstaunlich, schließlich ging es bei Zuñigas Äußerungen gegen Evo Morales, der gerade einmal wieder mit Straßenblockaden gedroht hatte, wegen der Misswirtschaft, dem Treibstoff- und Dollarmangel und natürlich auch den Versuchen, ihn aus dem politischen Rennen zu werfen. Andere einschlägige politische Äußerungen der Militärchefs hatten zuvor keine Kritik der Regierung nach sich gezogen.

General Zuñiga bei einer Kulturveranstaltung vor einigen Wochen, Foto: P.Strack

Lebhaftes Hin- und Her zwischen Militärs und TV-Kameras 

Von der Regierung selbst gab es zunächst auch keine Bestätigung der Entlassungsmeldung des Generals. Zuñiga selbst ließ allerdings verlauten, er sei noch im Amt, und übte tatsächlich im Laufe des Morgens auch noch Amtsgeschäfte aus. Aber am Nachmittag, als alle TV-Sender ihre Übertragungsteams vor dem Regierungssitz versammelt hatten, saß er dann in einem gepanzerten Fahrzeug auf der Plaza Murillo, die von Militärpolizei und Mitgliedern des Heeres kurz zuvor besetzt worden war. Er beklagte die Missachtung des Militärs, forderte einen Ministerwechsel im Kabinett, beteuerte gleichzeitig, er sehe Präsident Arce immer noch als seinen Befehlshaber an, um dann nach der gewaltsamen Öffnung des Portals des alten Regierungspalastes durch ein gepanzertes Fahrzeug zu einem kurzen Meinungsaustausch mit Präsident Arce zu gehen. Der forderten den von schwerbewaffneten Soldaten begleiteten Heereschef vor laufenden Kameras unmissverständlich auf, in die Kaserne zurückzukehren. Das ginge nicht, die Antwort des Generals. Nach seiner Rückkehr auf den Platz zeigten Fernsehkameras die weiter offene Seitentür des Regierungspalastes, aus der Minister und andere Staatsangestellte ein- und ausgingen, während die Außenministerin und die Präsidialministerin per soziale Medien Botschaften an die internationale Gemeinschaft aussandten, den Putsch zu verurteilen und die demokratisch gewählte Regierung zu unterstützten, was dann auch umgehend geschah, einschließlich der US-Botschaft, die umgehend jeden Putschversuch gegen eine gewählte Regierung verurteilte.

Innenminister del Castillo klopft beim General an

Zwischen den gepanzerten Fahrzeugen und bis an die Zähne bewaffneten Soldaten gaben derweil Minister auf der Plaza Murillo weiterhin Stellungnahmen gegen den Putsch ab, ohne dass irgendeiner der Soldaten sie daran gehindert hätte. Innenminister Eduardo Castillo klopfte an das Panzerglas, hinter dem sich der General zurückgezogen hatte. Auch der oppositionelle Bürgermeister von La Paz protestierte auf der anderen Seite der Militärsperren gegen den Putsch und forderte mit weiteren Personen, die sich inzwischen versammelt hatten, alle zur Verteidigung der Demokratie auf. Tränengas wurde geschossen. Es gab neun Verletzte.

Verwirrende Aussagen des Putschgenerals

Nach rund zweieinhalb Stunden der Ungewissheit begannen die TV-Sender dann die Übertragung der Ernennungszeremonie des neuen Heereschefs. Der abgesetzte Zuñiga bewegte sich da noch zwischen Soldaten und Presse auf der Plaza Murillo und beklagte, die Demokratie sei von einer kleinen Gruppe von Vandalen usurpiert worden. Gemeint war wohl Evo Morales, aber namentlich nannte er ausgerechnet den oppositionellen Ex-Präsidenten Carlos Mesa, der nach vierzig Jahren immer noch in der Politik sei. Das sei keine Demokratie. Um die politische Verwirrung perfekt zu machten, forderte er zudem die Freilassung aller politischen Gefangenen, angefangen von der Ex-Präsidentin Jeanine Añez über den Gouverneur von Santa Cruz Luis Camacho bis zu den inhaftierten Militärs.

Derweil scherzte Luis Arce Catacora bereits live vor den Fernsehkameras mit seinem Vizepräsidenten David Choquehuanca, um darauf den neuen Heereschef zu ernennen. In seiner Antrittsrede lobte General José Wilson Sánchez Velásquez zunächst die hervorragende Arbeit seines Vorgängers, meinte aber auch, der werde sicher kein Blutvergießen verantworten wollen, um dann allen Heereseinheiten die Rückkehr in die Kasernen zu befehlen. Umgehend zogen die Soldaten, einschließlich Zuñiga, von der Plaza Murillo ab, die sich nun mit Regierungsanhängerinnen und -anhängern füllte, von denen sich Präsident Arce anschließend feiern ließ.

Ungeklärte Hintergründe

Kurz vor seiner Verhaftung um 19:00 in seinem Büro im Generalstab, als er gerade eine Pressekonferenz geben wollte, rechtfertigte sich Zuñiga mit Bezugnahme auf ein Gespräch mit Präsident Arce in den Tagen zuvor. Der habe ihm gesagt, dass die Situation schwierig sei, und etwas getan werden müsse, um sein Image zu verbessern. Weiter kam er nicht mit der Erklärung. Der Evo Morales nahestehende Senatspräsident Andrónico Rodríguez sprach später von einem „autogolpe“, einem nur vorgetäuschten „Selbstputsch“, Innenminister Eduardo de Castillo vom Putsch einer kriminellen Gruppe, deren Hintermänner jetzt ebenfalls gesucht würden. Am Montag hatte die Regierung noch die US-Gesandte wegen angeblicher Einmischung in innere Angelegenheiten einberufen, was diese vehement bestritten hatte. Die Opposition hatte ihrerseits noch am Montag kritisiert, dass gegen die Verfassung ohne die Genehmigung des Parlaments wenige Tage zuvor 80 venezolanische Militärs zum bolivianischen Militär hinzugestoßen seien und gefragt, was deren Auftrag sei. Auch das Interesse am Lithium tauchte schnell als ein weiteres Erklärungsmuster für einen Putsch auf, das auch schon aus den Konflikten von 2019 bekannt ist.

Doch es ist wenig wahrscheinlich, dass die von der Regierung abhängige Staatsanwaltschaft eine ergebnisoffene Untersuchung führt und so bald geklärt werden kann, wer und was tatsächlich hinter den verwirrenden Ereignissen und Aussagen an diesem Tag gestanden hat.

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