Paraguays abgesetzer Präsident Lugo ruft zum friedlichen Widerstand auf und bittet die Staatengemeinschaft um Aufklärung
VON MISEREOR
Asunción. So viel Rummel wie die letzten Tage hat Fernando Lugo seit seinem Wahlkampf vor vier Jahren nicht mehr erlebt. Fernsehkameras und Reporter aus aller Welt umlagern das kleine Häuschen im Zentrum der Hauptstadt Asunción, das Hauptquartier des abgesetzten Präsidenten Paraguays ist.
Die Anspannung der letzten Tage ist dem ehemaligen Bischof anzusehen. Die Augen sind müde, das Gesicht abgeschlafft, der graue Bart ist schütter nachgewachsen seit der Chemotherapie, die er wegen seiner Krebserkrankung über sich ergehen lassen musste. Doch der 61-Jährige gibt sich im Interview kämpferisch und entschlossen. Seine andere Art, Politik zu machen, habe zu seiner Absetzung geführt, sagt Lugo, und appelliert an die Solidarität der internationalen Gemeinschaft, um die Demokratie in dem südamerikanischen Land wiederherzustellen.
Wer steckt hinter Ihrer Absetzung und was sind die Gründe dafür?
Es gibt viele Gründe. Die wahren sind nicht bekannt geworden und werden geflissentlich verschwiegen. Wenn ich die Liste mit Vorwürfen lese, wegen derer ich abgesetzt wurde, finde ich keine rationale Begründung für die angebliche Unfähigkeit im Amt. Das war kein Staatsstreich gegen Fernando Lugo, sondern ein Angriff auf die Demokratie und auf die Armen und Vergessenen, die an diesem demokratischen Prozess beteiligt waren. Es war ein Staatsstreich gegen die Sozialhilfeempfänger und gegen die Rentner, die erstmals in der Geschichte des Landes staatliche Unterstützung bekamen. Es war ein Frontalangriff auf die staatliche Sozialpolitik.
Und die Landfrage?
Das ist ein uraltes Problem in Paraguay. Als wir gewählt wurden, wollten wir eine wirkliche Agrarreform umsetzen. Teil davon war die Erstellung eines Landkatasters, das in Paraguay nicht existiert. Paraguay hat 406.752 Quadratkilometer Fläche, doch Landtitel haben wir auf 529.000 Quadratkilometern. Manche Ländereien haben bis zu vier Eigentümer. So etwas muss natürlich bereinigt werden. Das ist aber problematisch, denn es steht nicht der Exekutive zu, sondern der Justiz.
Im ersten Moment haben Sie sich nicht gegen die Amtsenthebung gewehrt. Erst später sprachen Sie von einem Staatsstreich und haben die Bevölkerung zu Widerstand aufgerufen. Wieso dieser Schwenk, was ist in der Zwischenzeit passiert, mit wem haben Sie sich beraten?
Ich bin zutiefst friedfertig und bin gegen Gewalt, egal von welcher Seite sie ausgeht. Und um Blutvergießen zu vermeiden, habe ich mich dem Amtsenthebungsverfahren gebeugt, auch wenn es ungerecht war. Aber Leben retten ist wichtiger. Die Menschen waren bereit, sich zu opfern, wie damals im März 1999 als acht Jugendliche bei Protesten starben. Ich kann nicht erlauben, dass sich so etwas wiederholt.
Aber nun haben Sie zu Protesten aufgerufen…
Ja, zu friedlichen. Alle Bürger haben ein Recht zu demonstrieren, ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. Derzeit finden in diversen Provinzen Demonstrationen statt. Aber immer friedliche. Ich würde niemals Menschen gewaltsam aufeinander hetzen.
Haben Sie das mit Ihren Verbündeten, mit Venezuelas Präsidenten Hugo Chávez, abgesprochen oder mit der brasilianischen Staatschefin Dilma Rousseff?
Nein, ich weiß sehr gut selbst, was zu tun ist. Ich greife auf meine Berater zurück oder überschlafe die wichtigen Entscheidungen noch einmal.
Wenn Sie zurückblicken auf Ihr Mandat, welche Bilanz ziehen Sie? Wo haben Sie vielleicht Fehler gemacht, was würden Sie anders tun?
Ich bin ein Außenseiter. Ich gehöre nicht der traditionellen politischen Klasse an. Mein Führungsstil, meine Art, Politik zu machen, sind anders. Das war mein Fehler, oder besser gesagt, mein Unterschied zu den Traditionspolitikern, die mich am Freitag deshalb politisch abgestraft haben.
Am Schluss haben Ihre ehemaligen Verbündeten, die Liberalen, Sie im Regen stehen gelassen und zusammen mit der Oppositionspartei der Colorados ihre Absetzung beschlossen. Auch auf den Straßen gibt es keine großen Volksaufläufe, um Sie ins Amt zurück zu holen. Woran liegt das? Hat man Sie alleine gelassen?
Es gibt auch keine Demonstrationen für die neue Regierung. Keine einzige. Obwohl die traditionellen Medien hier kaum darüber berichten, wächst der Unmut, und die Leute beginnen langsam mit Protesten. Heute früh hat ein TV-Sender eine Umfrage in Schulen gemacht, und die Jugendlichen zwischen 13 und 16 Jahren haben die Absetzung einhellig verurteilt.
Wo sehen Sie Ihr Land in fünf oder zehn Jahren?
Ich bin ein Idealist. Alles kann man rückgängig machen. Paraguay ist ein Land mit großem Potenzial, aber ob es genutzt wird, hängt von den Politikern ab. Im Vorjahr ist unsere Wirtschaft um 15,3 Prozent gewachsen und lag weltweit damit nur hinter Katar. Denn wir haben von den Deutschen gelernt: arbeiten, arbeiten, arbeiten. Nur durch Arbeit kann eine Gesellschaft vorankommen. Es gibt keine bessere Strategie des sozialen Wandels. Paraguay muss Investoren Rechtssicherheit bieten und Glaubwürdigkeit, nicht das Spektakel eines Staatsstreichs.
Sie waren Bischof, doch die Kirche war nie sonderlich erfreut über ihre politische Betätigung. Der Päpstliche Nuntius war einer der ersten, die dem neuen Präsidenten gratulierten. Kann die Kirche beitragen zur Festigung der Demokratie in Paraguay und wenn ja wie?
Durch die Basis, nicht von der Hierarchie ausgehend. Von der Volkskirche, wie sie im II. Vatikanischen Konzil genannt wird. Diese Volkskirche ist es, die jetzt aufbegehrt. Einige Priester im Süden des Landes haben sich öffentlich gegen den Staatsstreich ausgesprochen. Das ist außergewöhnlich in diesem Land.
Und was halten Sie von Deutschland und dem deutschen Entwicklungsminister Niebel, der dem neuen Präsidenten Federico Franco einen Tag nach der Absetzung die Hand schüttelte und ihm gratulierte?
Das wurde ja anschließend richtiggestellt. Wenn die Leute sich nur bruchstückhaft informieren, treffen sie oft falsche Entscheidungen. Aber das hat Deutschland nun in einer offiziellen Stellungnahme korrigiert.
Lateinamerika hat sich geschlossen besorgt gezeigt über die Vorkommnisse. Was erwarten Sie von der Internationalen Gemeinschaft?
Dass sie sich informiert und die Wahrheit ans Licht bringt. Derzeit berät die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) über die Entsendung einer Kommission. Denn hier in Paraguay erfährt das Volk nie die volle Wahrheit. Bis heute wissen wir nicht, wer 1999 Vizepräsident Luis Maria Argaña umgebracht hat oder wer die Studenten im März 1999 ermordet hat.
Haben Sie Hoffnung, wieder an die Macht zurückzukehren?
Wir haben die Macht nicht verloren. Wir sind aus dem Präsidentenpalast vertrieben worden. Wir haben die Kontrolle über den Staatsapparat verloren. Aber ich klebe nicht an der Macht. Viel wichtiger als Macht ist Autorität, die uns das Volk verleiht, die wir durch unser Tun gewonnen haben. Und diese Autorität haben wir meiner Meinung nach nicht verloren.
Interview: Sandra Weiss, Foto: Florian Kopp