vonHildegard Willer 04.01.2016

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Es begann  am 17. Mai 1980 im kleinen Andendorf Chuschi. Es war Wahlkampf  und ein paar junge vermummte Männer, die sich „Leuchtender Pfad“ nannten, überfielen das Gemeindeamt und verbrannten Urnen und die Wahlunterlagen. Die wenigsten Hauptstadtbewohner nahmen davon Kenntnis. Die peruanische Wahrheitskommission datierte 20 Jahre später den Beginn der Kriegserklärung des „Leuchtenden Pfads“ an den peruanischen Staat auf diesen 17. Mai. Sie stellte auch fest, dass 69 000 Menschen in den nachfolgenden Bürgerkriegswirren umgekommen sind, der grösste Teil indigene quechuasprechende Menschen in den Anden – die ärmsten der Armen in Peru. So wie die Menschen im Dorf Chuschi  – vom „Leuchtenden Pfad“ als Kollaborateure des Staates und von den Militärs als Sympathisanten der „Terrucos“ bezichtigt, konnten sie nur fliehen. Oder wurden umgebracht. 2002 fand die Wahrheitskommission ein Massengrab in Chuschi, die acht getöteten Campesinos waren vermutlich vom Militär umgebracht worden.

Eine Wahlurne aus Chuschi steht heute im neu eröffneten „Lugar de la Memoria, la Tolerancia y la Inclusión“ in Lima. Am 17. Dezember weihte Präsident Ollanta Humala die Gedenkstätte für die Opfer des Bürgerkrieges unter grossem Pomp ein (s. dazu auch den Bericht von Heeder Soto). Die Deutschen dürfte das besonders gefreut haben. Geht doch der Bau des Museums auf ein Geschenk der damaligen Entwicklungshilfe-Ministerin Heide Wieczorek-Zeul zurück. Seit zwei Jahren steht der bunkerartige Bau fix und fertig am Rande des noblen Stadtviertels MIraflores, direkt über den kahlen Pazifik-Cliffs.  Aber die äussere Hülle war nicht das Problem. Das Problem war: Welche Sicht auf den Bürgerkrieg  soll im neuen Museum dominieren?

Der von Präsident Toledo eingerichteten Wahrheitskommission warfen rechte und militärische Kreise ein zu einseitiges, linkes Geschichtsbild vor. Die hohe Zahl der Opfer wurde angezweifelt, das Militär käme zu schlecht weg. Präsident Ollanta Humala war als Offizier selber am Kampf gegen die Aufständischen beteiligt  und durfte nun – Ironie der Geschichte – das Museum einweihen, das der Opfer gedenken sollte, die auch durch seine eigene Institution verursacht worden waren.

Der Gang durch das nun eröffnete Museum zeigt diese Zwiespältigkeit. Was als Konzeptlosigkeit erscheint, entspricht der Unmöglichkeit, sich auf eine Lesart der jüngsten peruanischen Geschichte zu einen. Letzten Endes durfte jede Seite ihre Sicht darstellen – die Opfer die Sicht der Wahrheitskommission. Die Militärs ihre Sicht, dass sie, unter grossen Opfern, Peru vor dem Terrorismus gerettet hätten. Diese Zerrissenheit entspricht der tatsächlichen politischen Lage. Der Bericht der Wahrheitskommission hat in Peru bis heute kaum Konsquenzen gehabt. Weder gibt es individuelle Entschädigungszahlungen noch sind kaum Militärs vor Gericht verurteilt worden für ihre Menschenrechtsverbrechen. Die meisten Peruaner erinnern sich an den Bürgerkrieg als eine schreckhafte vergangene Episode, die hinter dem Konsumrausch der letzten Jahre verschwunden ist.

Wenn da nicht die Opfer wären: sie waren bei der Einweihung nur Zaungäste und sind auch sonst im peruanischen Alltag nicht präsent.

So stümperhaft, so zerrissen und konzeptlos das Museum auch daher kommt: Es ist immerhin ein Ort, an dem der Opfer des Bürgerkrieges gedacht wird. Ein Ort, an dem hoffentlich viele Schüler und Studierende diesen Teil der peruanischen Geschichte erfahren, der – sei es aus Scham, Schmerz oder Indifferenz – am liebsten verschwiegen wird.

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