“Vier stehen wir vor deiner Tuer, und wir vier lieben dich…“ – mit dem Singen dieses Kaluyos schaffte es Gonzalo Hermosa, der Gruender der wohl beruehmtesten bolivianischen Folklore-Gruppe Kjarkas, im tropischen Yapacani auf dem Weg von Santa Cruz nach Cochabamba von den protestierenden Lehrergewerkschaftern durch die Strassenblockade gelassen zu werden.
Schon lange sind es mehr als vier, die auf den Strassen oder vor dem Portal des Praesidentenpalastes stehen und gegen das Rentengesetz protestieren. Es begann mit den Minenarbeitern an der Spitze des Gewerkschaftsdachverbandes. Ein Teil von ihnen hat in den letzten Jahren, auch Dank der neuen Lohnpolitik ,wesentlich mehr verdient als in den vielen Jahren davor. Im staatlichen Bergwerksbetrieb von Huanuni bekamen 70% der Arbeiter in den ersten Monaten des Jahres aufgrund von Sonderschichten und Ueberstunden umgerechnet zwischen 650 und 1100 Euro im Monat, 6% sogar ueber 1500 Euro. Doch das Rentengesetz, eine Art Ergaenzungsfonds zu den selbst angesparten Rentenanspruechen, sieht bei extremen Steigerungen in den letzten beiden Jahren ebenso eine Deckelung der Leistungen vor, wie bei den ohnehin hohen Gehaltsgruppen, so dass die angepeilten und vereinbarten 70% des Durchschnittsgehaltes der letzten beiden Jahre nicht erreicht werden. Damit soll eine Erhoehung der Niedrigstrenten kompensiert werden. Rein rechnerisch soll und kann das wohl auch aus den derzeitigen Abgaben finanziert werden. Die jetzigen Forderungen allerdings nicht mehr.
Die vier Fuenftel der Bevoelkerung, die keiner versicherungspflichtigen Beschaeftigung nachgehen, bekommen ohnehin nur die aus Erdoeleinnahmen finanzierte allgemeine Mindestrente, den Bono Dignidad, der mitten im Konflikt von gut 22 auf 28 Euro im Monat erhoeht wurde.
Seit gut zwei Wochen blockiert der Gewerkschaftsdachverband, vor allem Lehrer, Fabrikarbeiter und Bergarbeiter, gezielt Ueberlandstrassen. Es kam zu gewaltsamen Raeumungen durch die Polizei. Auch die Protestierer griffen zu Gewalt, etwa bei der Sprengung einer Bruecke. Nach ihrer Vorstellung soll der Rentenergaenzungsfonds aus staatlichen Mitteln subventioniert werden. Doch trotz Verhandlungen verhaerteten sich eher die Fronten, Universitaeten, Polizei und andere Gruppen schlossen sich den Protesten an.
Mit ihrem Triumphalismus hat die Regierung selber die Erwartungen angeheizt. Etwa bei der angekuendigten Ausweisung von USAID , unter anderem mit dem Argument, die Regierung habe genug Geld und sei nicht mehr auf die Gelder dieser Entwicklungsagentur angewiesen.
Und beim parlamentarischen Durchboxen des Gesetzes, das die Wiederwahl des Praesidenten erlauben soll, hat Morales sich auch nicht mehr Freunde gemacht. In den Uebergangsbestimmungen der neuen Verfassung steht eindeutig, dass Morales‘ Wiederwahl nicht moeglich ist. Es war ein Kompromiss, den die „Bewegung zum Sozialismus“ (MAS) aufgrund massiven Drucks der damaligen Opposition eingegangen war. Doch viele, die den Praesidenten damals liebten, sind heute gerade wegen Verkrustung der Regierungsstrukturen auf Distanz zu ihm gegangen oder stehen nun nicht mit traditionellen Liedern, sondern mit Forderungen und Dynamitstangen vor seiner Tuer. Dass die Praesidentschaftswahlen naeher ruecken, verbessert die Verhandlungsposition der Protestierer und erhoeht die Qual von Evo Morales.
So setzt er derzeit wieder einmal auf die Landbevoelkerung, die nie in den Genuss der umstrittenen Zusatzrente kommen wird. Die Kokabauern stehen fest hinter ihm und haben Gegendemonstrationen angekuendigt. Wieder einmal zur „Rettung der Demokratie und der Politik des Wandels“. Wenn es tatsaechlich um die Demokratie ginge, und nicht um handfeste gewerkschaftliche Interessen, waere das Problem wahrscheinlich schon geloest.
Bauernorganisationen im Norden von Potosí loesten ihrerseits Strassenblockaden von Landschullehrern auf. „Wir koennen der Regierung nicht mehr vertrauen“, aeusserten sich einige Jilaqatas, Anfuehrer der traditionellen Ayllus aus dieser Region juengst, „aber wir werden die MAS von Evo Morales erneut waehlen, denn den anderen Parteien koennen wir noch viel weniger trauen.“ Selbst fuer viele benachteiligte Bevoelkerungsgruppen in Bolivien sind die Wahlen wieder zur Qual geworden.
Und fuer den Praesidenten kommt die Loesung aus dem Kaluyo der Kjarkas auch nicht in Frage: „Waehle einen von uns aus. Und die anderen werden dann gehen“. Auch wenn die Blockierer in Yapacani Gonzalo Hermosa mit seinem melancholischen Kaluyo durchgelassen haben, sie werden die Qual des aktuellen Konfliktes nicht deshalb beenden, weil sich der Praesident fuer die Bauernorganisationen als seine liebste Basis entschieden hat.
Zur zwischenzeitlichen Pause der Protestaktionena auf den Strassen siehe den aktuellen Artikel in der taz.