vonPeter Strack 25.12.2017

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Carlos Vivo war einmal Bergarbeiter. Heute ist er einer der vielen, die versuchen, im dunklen Anzug in den Vorzimmern der bolivianischen Gerichte dem Amtsschimmel ein Schnippchen zu schlagen. Einer derer, die versuchen, für ihre Klienten den Dschungel zwischen Gesetzen, Beziehungen und politischer Einflussnahme zu durchdringen. Politisch ist Vivo bislang unbekannt. Doch das könnte sich mit einer geplanten Eingabe an das Wahlgericht ändern. Vivo will, dass seine politische Gruppierung zu den Parlamentswahlen 2019 zugelassen wird. Obwohl sie die dafür gesetzlich vorgesehenen Auflagen nicht erfüllt. Das Argument: Evo Morales beanspruche die bevorzugte Anwendung des Paktes von San José vor der bolivianischen Verfassung und Wahlgesetzgebung. Dann müsse das auch für jede andre politische Gruppierung gelten. Zumal der von Morales in Anspruch genommene Artikel des „Paktes von San José“ nicht dafür geschaffen wurde, die Regierenden zu stärken, sondern Bürgerinnen und Bürgern gleichberechtigten Zugang zu Wahlämtern zu garantieren. Doch ist auch dem gemeinen Mann zugestanden, was „Jupiter“ jüngst vom höchsten bolivianischen Gericht erlaubt wurde? Und das entgegen dem Volksentscheid vom 21. Januar 2016, der eine Verfassungsänderung abgelehnt hatte, die schon damals Morales eine erneute Kandidatur ermöglichen sollte.

So waren die Justizwahlen am 3. November in Bolivien ein erneuter Weckruf für die Regierungspartei des MAS; oder noch mehr für den Teil der inzwischen gespaltenen sozialen Organisationen und der ländlichen Bevölkerung, die Morales vor allem deshalb unterstützen, weil sie einen Rückfall in neoliberale Zeiten so wie in Brasilien oder Argentinien fürchten. Und die durch ihre Nibelungentreue vielleicht gerade das befördern. Über 51% ungültige Stimmen, dazu noch einmal 16% leere Stimmzettel. Nur ein Drittel der abgegebenen Stimmen wurden für eine Kandidatin oder einen der Kandidaten abgegeben, die zuvor von der 2/3 Mehrheit der MAS im Parlament vorausgewählt worden waren. Die große Mehrheit frühere Funktionsträger der Regierung, darunter zwei Vizeminister.

Gerade einmal 27% stimmten in Santa Cruz gültig ab und magere 37% in der MAS-Hochburg El Alto. Ähnlich in den Bergwerkszentren. In Potosí waren es nicht einmal 16% gültige Stimmen. Es ist eine der Regionen, in denen die Regierung vergeblich versucht hatte, Konflikte durch Ignorieren der lokalen Repräsentanten und ihrer Forderungen zu lösen und die Proteste auszusitzen. So wie derzeit noch während der Weihnachtsfeiertag der Konflikt mit den Ärzten.

Allgemein galt bei den Justizwahlen: Je ländlicher die Region, desto höher war der Anteil der gültigen Stimmen. Aber selbst in der politischen Heimat von Morales, den Munizipien der Kokaanbauregion im Chapare bewegte sich der Anteil der gültigen Stimmen mit zwischen 70 bis 75 Prozent inzwischen in einem deutlich niedrigeren Rahmen, als die früher üblichen über 90%.

Es sei nur um die Richter, nicht um Evo Morales gegangen, betonten Regierungsvertreter nach dem Urnengang. Und die Opposition, die dazu aufgerufen habe, ungültig zu stimmen, habe die Wahl verloren, weil sie die erhofften 70% nicht erreicht habe. Recht bemühte Versuche, wieder einmal das zu ignorieren, was sich schon in Umfragen in den Vormonaten abgezeichnet hatte. Auch deren Repräsentativität war von der Regierung angezweifelt worden, statt dem Mainstream ins Auge zu sehen: Mehr oder weniger zwei Drittel der Bevölkerung lehnen eine erneute Kandidatur von Evo Morales ab. Trotzdem betonte Evo Morales auch nach den Richterwahlen in einem Interview mit der BBC, er selbst habe gar kein Interesse daran, weiter zu regieren. Es sei das Volk, das dies von ihm verlange.

Nur: Eine Sache sind die trotz zahlreicher Korruptionsskandale und nach bald 12 Jahren mit immer noch über 50 Prozent ansehnlichen Zustimmungsraten zur aktuellen Regierungspolitik, insbesondere zu den Infrastrukturmaßnahmen. Etwas anderes ist die Sorge der Mehrheit der Bevölkerung über immer autoritärere Formen der Staatsführung. Dazu gehören auch die fehlende Unabhängigkeit der Richter. Und insbesondere die Instrumentalisierung des Justizapparats zur Verfolgung von Oppositionellen.

Vor allem Bürgerinitiativen und Aktivisten der jungen Generation demonstrieren zunehmend gegen die erneute Kandidatur und damit mögliche Wiederwahl von Morales. Viele bezweifeln, dass die Regierungspartei 2019 ein Wahlergebnis akzeptieren würde, bei dem Evo Morales nicht erneut zum Präsidenten gewählt würde. Aus der Demo- sei eine Evokratie geworden.

Kurz vor den Richterwahlen hatte das amtierende Verfassungsgericht noch einmal Öl ins politische Feuer gegossen. Dissidente Stimmen hatte die MAS-Mehrheit per Amtsenthebungsverfahren im Vorfeld bereits aus dem Weg geräumt. So die des Verfassungsrichters Gualberto Cusi, der vor allem wegen seiner indigenen Herkunft vor Jahren mit dem höchsten Stimmenanteil ins Richteramt gewählt worden war. Die übriggebliebenen Verfassungshüter hatten im Oktober dann dem Antrag der Regierungspartei stattgegeben, die Verfassungsartikel und das Wahlgesetz außer Kraft zu setzen, die eine dritte Kandidatur in Folge für die Wiederwahl untersagen. Argument war die erwähnte vorrangige Anwendung des „Pacto de San José“, eines internationalen Vertrages, der eine begrenzte Liste von Kriterien nennt, nach denen Bürger von der Kandidatur ausgeschlossen werden können. Die Tatsache, schon bald drei Legislaturperioden im Amt gewesen zu sein, gehört nicht dazu.

Carlos Vivo gehört einer parteipolitischen Initiative von Berufstätigen, Jugendlichen und Gewerkschaftsvertretern an. Wie andere zivilgesellschaftliche Initiativen sieht Vivo eine Legitimitätskrise der aktuellen politischen Führer in Bolivien, egal ob von der Regierung oder aus den Oppositionsparteien. Deshalb will er bei den Wahlen 2019 kandidieren. Doch davor steht das Gesetz. Es sieht unter anderem notariell beglaubigte Unterschriften von 2% der Wahlbevölkerung als Bedingung für die Einschreibung vor. Dies schließt nicht nur kleine Initiativen aus, sondern ist auch mit hohen Kosten verbunden. „Wir wissen, dass das Wahlgericht unseren Antrag ablehnen wird“, sagt Vivo, „es wurde von der Regierungspartei kooptiert.“ Man stelle den Antrag aber, um das Wahlgericht auf den Prüfstand zu stellen und seine Parteilichkeit offen zu legen. Das gleiche solle danach mit dem Verfassungsgericht durchgespielt werden, sobald das Wahlgericht den Antrag abgelehnt habe.

Dabei wäre es für die MAS sogar nützlich, wenn die Stimmen sich auf möglichst viele oppositionelle Gruppen verteilen. Denn Morales könnte mit 40% der Stimmen zum Präsidenten gewählt werden, wenn der Abstand zum nächsten Kandidaten mindestens 10% beträgt. Doch die Regierung wolle vor allem eins nicht, argumentiert Vivo: Dass neue politische Führer nachwachsen. Kaum trete eine Person ans Licht der Öffentlichkeit, werde sie politisch oder juristisch verfolgt.

„Sein Umfeld will Evo Morales glauben machen, er habe immer noch die Unterstützung wie früher“, sagt Vivo. „Gewiss, es gibt Leute, die ihn bitten, weiter zu regieren, weil sie von seiner Amtsführung profitieren. Vor allem die Kokabauern. Oder Gewerkschaftsführer und Staatsangestellte. Aber es gibt eine starke oppositionelle Bewegung. Viele unterschiedliche Gruppen, vor allem von jungen Leuten, von Fachkräften, aus den Mittelschichten. Aber auch in den Gewerkschaften ist die Mehrheit nicht mehr für Morales. Die über 50% ungültigen Stimmen sind eine klare Stellungnahme gegen die antidemokratischen Tendenzen in der Regierung.“

Titelkarikatur aus: Pagina Siete; Eigentlich nicht erlaubte Werbung für Richterkandidaten vor einem Wahllokal in Quillacollo – wie manche andere Unregelmässigkeiten ohne Folgen; „Nulo“ – Werbung dafür ungültig zu stimmen auch in der winterlichen deutschen Diaspora.

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