vonNiklas Franzen 26.11.2014

latin@rama

Seit 2008 Nachrichten vom anderen Ende der Welt und anderswoher.

Mehr über diesen Blog

Leblon-Ipanema. Keine Wolke ist über dem weltberühmten Strand in der schicken Südzone von Rio de Janeiro zu sehen. Die Sonne knallt auf die gebräunten Körper der „Reichen und Schönen“ der Stadt am Zuckerhut. Die Ruhe wird plötzlich durch eine Gruppe gestört, die sich auf der Promenade singend und tanzend dem Strand nähert. Die rotgekleideten Demonstranten sind Mitglieder der MTST, der Bewegung der obdachlosen Arbeiter. „Wir sind heute in den Stadtteil der Elite gekommen, um symbolisch den Strand zu besetzen“, sagt der 52-jährige Eduardo Alves de Oliveira, der seit über einem Jahr Mitglied der Bewegung ist.

Es ist der 20. November. Seit 1995 ist der „Tag des schwarzen Bewusstseins“ offiziell Feiertag in weiten Teilen Brasiliens. Das Datum bezieht sich auf den Todestag von Zumbi dos Palmares, Symbol des schwarzen Widerstandes gegen die Sklaverei, der im Jahre 1695 im Auftrag der portugiesischen Krone hingerichtet wurde. „Zumbi ist hier – jetzt und immer“, rufen die Demonstranten, die aus São Gonçalo in der Metropolregion von Rio de Janeiro stammen. Zwölf Tage lang hielt die MTST dort ein leerstehendes Gelände besetzt.

DSC04164
„Weniger Hass – mehr Wohnungen“

Die Wohnungslosenbewegung entstand vor über 15 Jahren in São Paulo. Seitdem versucht sie mit Besetzungen, obdachlosen und armen Familien eine Alternative zu bieten. In der Megametropole wohnen tausende Menschen in den Besetzungen der MTST. Seit kurzer Zeit existiert die Bewegung auch in Rio de Janeiro. Ähnlich wie in São Paulo weist die Stadt riesiges Wohnungsdefizit auf. Da die Mieten kontinuierlich steigen, landen immer mehr Familien auf der Straße. Für viele Cariocas – die Einwohner von Rio de Janeiro – bleibt deshalb die Teilnahme an einer Besetzung die einzige Alternative. So auch für Celi Gomes. „Mein Lohn reichte einfach nicht mehr, um die Miete zu zahlen“, sagt die sechsfache Mutter am Rande der Kundgebung. Aus diesem Grund beschloss sie zusammen mit 200 weiteren Familien, das leerstehende Gelände in São Gonçalo zu besetzen. Mittlerweile hat die Stadtverwaltung erklärt, die Familien in das staatliche Wohnungsprogramm „Minha Casa, Minha Vida“ aufzunehmen und versprochen Wohnungen bereitzustellen. Die Bewegung feiert dieses Zugeständnis als Sieg und hat ihre Zelte abgebaut.

„Wir wollen heute jedoch nicht nur unseren Sieg feiern, sondern an diesem wichtigen Tag auch klarmachen, dass Rassismus und soziale Ausgrenzung den Zugang zu Wohnungen erschweren“, erklärt Carlos Augusto Mello da Silva, Sprecher der MTST. Die Bewegung ist dafür mit 10 Bussen in das Eliteviertel gereist. Auf dem Weg wurden die Busse von der Militärpolizei angehalten und die Besetzer mussten penible Durchsuchungen über sich ergehen lassen.DSC04143

Auch Rio de Janeiro ist weit vom oft proklamierten Ideal der „Rassendemokratie“ entfernt. Hautfarbe bestimmt auch hier die Klassenzugehörigkeit. So wohnen in den Reichenvierteln unweit der Traumstrände Copacabana und Ipanema praktisch keine Schwarzen. „Die meisten von uns waren noch nie hier und wenn, dann nur zum Arbeiten“, erklärt da Silva. „An diesem freien Tag wollen wir deshalb wie alle anderen die Sonne und das Meer genießen“. Die Demonstration endet gutgelaunt mit Musik und Bier am Strand. Gegen 16 Uhr machen sich die Besetzer auf den Heimweg und am Strand von Leblon geht alles wieder seinen gewohnten Gang

 

Fotos: Lukas Hofmann (phoho.de)

 

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/latinorama/recht-auf-strand-wohnungslose-in-rio-de-janeiro/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert