vonPeter Strack 17.10.2011

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Die Richterwahl in Bolivien war fuer die Demokratie ein schwieriger Schritt voran.  Dabei hat ihr groesster Verlierer ueberhaupt nicht kandidiert: Praesident Evo Morales.

Es waere so schoen gewesen. Frueher wurden die obersten Richterposten Boliviens im parlamentarischen Geschacher mit Guenstlingen der eigenen Partei besetzt. So kam es mancherorts nie zur Verurteilung eines Politikers, so offensichtlich die Vergehen auch waren. Nun sieht die neue Verfassung vor, dass die Richter als Fachleute auf einer Vorschlagsliste  des Parlaments vom Volk gewaehlt werden. Um die Wahl nicht zu politisieren, und damit auch der materielle Besitz nicht entscheidet, wurden Wahlkampagnen deshalb gleich verboten.

Nur dass die Regierungspartei MAS im Parlament, anders als in der Bevoelkerung, noch  eine 2/3 Mehrheit hat. Und deshalb hatte sie sich gleich gar nicht die Muehe gemacht hat, mit der widerspenstigen Opposition zu Kompromissen bei der Vorschlagsliste zu kommen. So wurde die Wahl zu dem, was sie eigentlich nicht werden sollte: Eine politische Abstimmung.

Oppositionsparteien warben dafuer, ungueltig zu stimmen, und der Praesident beschuldigte nicht nur die Indígenas, die gegen einen Strassenbau in ihrer Heimat, dem TIPNIS-Schutzgebiet  protestierten, sondern alle moeglichen Kritiker auch aus den eigenen Reihen, es ginge ihnen nur darum, die Justizwahlen und damit die Politik des Wandels, des Fortschritts und der Gerechtigkeit zu torpedieren.

Grosser Andrang an den Wahlurnen
Grosser Andrang an den Wahlurnen

Das einzig Positive der Wahl war fuer die Regierung am Ende die hohe Beteiligung, die wie ueblich zu Ueberfuellung und Warteschlangen in den Wahlbueros fuehrte. Und wenn die Umfragen vor den Wahllokalen und die ersten ausgezaehlten Wahlzettel nicht taeuschen, dann hat zumindest in den Staedten bei allen Gremien, sei es die oberste Justizverwaltung, das Agrar- oder das Verfassungsgericht, Dr. Ungueltig den Sieg davongetragen. Zusammen mit den leer abgegebenen Stimmzetteln sind die ungueltigen Stimmen klar in der Mehrheit.

Das verwundert nicht weiter. Schliesslich haben die Menschen aus unterschiedlichsten Motiven ungueltig oder leer abgestimmt. Die rechte Opposition, weil sie nicht beruecksichtigt wurde, andere, weil der Wahlprozess wegen schlechter Informationslage selbst nicht akzeptabel erschien.

Hinzu kamen die vielen Menschen aus der eigenen Basis, deren Kritik Morales und Vize Álvaro García Linera immer wieder einer angeblichen Verbitterung darueber zugeschrieben hatten, dass sie aus der Regierung ausgeschieden seien oder im Dienst irgendwelcher finsteren Maechte (in der Regel der USA) stuenden. Das Problem von Morales ist, dass in seinem Umfeld immer weniger Debatte stattfindet und Schmeichler, Ja-Sager oder Machtstrategen uebrig geblieben sind.

Letzteren zumindest sollte der Wahlausgang zu denken gegeben haben – doch zu sehen ist davon noch nichts. Die Rundfunkansprache von Evo Morales nach Schliessung der Wahllokale und Verkuendigung der Prognosen fiel kurz aus. Ein Lob fuer die hohe Beteiligung und beredtes Schweigen zu den Ergebnissen.

Noch ist nicht zu erkennen, was MAS-Senatorin Gabriela Montaño am Morgen in einem Interview anzudeuten versuchte: Nach dem desastroesen Umgang mit den gegen den Strassenbau protestierenden Indígenas aus Tiefland sei die Partei wieder offener geworden fuer Andersdenkende. Das waere noetig, will sie  „in Gehorsam gegenueber dem Volk“ regieren. Denn die Kritiker stellen inzwischen die Mehrheit.

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kommentare

  • Bei der hohen Stimmbeteiligung sollte man nicht vergessen, dass wählen in Bolivien so gut wie obligatorisch ist, da man ohne die Bestätigung (im Kreditkartenformat) während zwei bis drei Monaten z.B. keine Bankgeschäfte tätigen kann, etc.

  • Das es in La Paz mehr ungültige Stimmen gab, liegt vorallem daran, dass La Paz die Hochburg der MSM ist, die ja die „voto nullo“ (nicht voto blanco) Kampagne im Mai gestartet und bis heute angeführt hat.
    Ausserdem war La Paz in den letzten Wochen auch die Hochburg der Proteste gegen den Strassenbau im TIPNIS. Nirgens wie in La Paz wurde also von allen Seiten gegen die Wahlen aufgerufen. Ich selbst war bei einer Demo gegen den Strassenbau dabei und habe überall Werbung der MSM gegen die Wahlen gesehen. Die waren da deutlich auf Stimmenfang.

  • … nur dass das Zahlenverhaeltnis umgekehrt ist: 45% ungueltig, 17% leerer Stimmzettel. Auf den „ungueltigen“ Stimmzetteln stand u.a. z.B. zum Beispiel „TIPNIS ja – Strasse nein“.
    Erfahrungsgemaess werden sich die Prozentzahlen noch veraendern, da die Ergebnisse der laendlichen Regionen spaeter kommen Evo Morales dort grosse Unterstuetzung erfaehrt. Ob das aber noch ueberall der Fall ist? So ist der Anteil der ungueltigen Stimmen diesmal in La Paz, frueherer MAS-Hochburg anscheinend hoeher als in Santa Cruz. Offensichtlich ist in Bolivien politisch manches in Bewegung geraten.

  • Erläuterung, Ergänzung:
    Ungültige Stimmen durch falsche oder Mehrfachkreuze oder Beschädigung (zerrissener Zettel) nennt man in Boliven „voto nulo“ (gegenüber „voto blanco“ s. o.)

  • Das wichtigste Wahlergebniss scheint mir die Tatsache, dass es am ganzen Wahltag im gesamten Land offenbar zu keinerlei Gewaltanwendung kam – weder von staatlicher noch von zivilgesellschaftlicher Seite und dass der Wahlprozess, d. h. die Wahllokale von beiden Seiten aktiv geschützt wurden (Roberto Laserna in Radio Erbol). Daraus kann man wohl schließen, dass die Rechtmäßigkeit des Prozesses als einem grundsätzlich demokratischen Verfahren – bei aller Kritik an den Vorschlagslisten – von einer großen gesellschaftlichen Mehrheit in Blivien als schützenswertes Gut betrachtet wird.

    Zweit wichtigstes Ergebnis:
    Das Wahlergebnis reflektiert die wachsende Regierungskritik in verschiedenen Gruppen und Schichten der bolivianischen Gesellschaft, von der Peter Strack berichtet hat.

    Inzwischen gibt es schon die ersten vorläufigen Zahlen zum Ergebnis der Richterwahlen: (Durchschnittliches Ergebnis für alle Wahlen)

    Gültige Zustimmung zu den Listenvorschlägen: 37,6 % der abgegebenen Stimmzettel
    Ungülitge Stimmen durch Beschädigung oder fehlerhafte Markierung: 16,7 % der abgegebenen Stimmzettel
    Ungültige Stimmen durch Abgeben eines unausgefüllte Stimmzettels (voto en blanco, entsprechend der Kampagne z.B. des Movimiento Sin Miedo – MSM): 45,7 %
    Das bedeutet dass vermutlich mehr als 45 % derjenigen, die aktiv von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht haben, eine grundsätzliche Kritik an den vorgelegten Listen üben.
    Die Wahlenthaltung wurde gestern Abend mit ca. 20 % eingeschätzt und das finde ich einen Beweis für die feste demokratisch Grundhaltung der bolivianischen Bevölkerung. (Alle Zahlen aus Pagina Siete: von ATB/IPSOS 16.10.2011 23.00 Uhr)

    Die amtierende Ministerin für Autonomie, Claudia Peña, interpretierte das Wahlergebnis als Folge der gewalttätigen Repressionen der Polizei gegen die TeilnehmerInnen des Protestmarsches gegen die Fernstrasse durch das indigene Territorium TIPNIS (Radio Erbol).
    Juan del Granado vom MSM fordert nun wegen der tendenziösen und unrechtmäßig zustande gekommenen Listen den Rücktritt des Präsidenten des nationalen Wahl-Gerichtshofes, Wilfredo Ovando (Radio Erbol).

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