vonPeter Strack 06.04.2024

Latin@rama

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Zusammen mit dem Forstingenieur Juan Eddy Terrazas Torrico besuchte ich im Februar Omar Fernández, um 24 Jahre nach dem „Wasserkrieg“ von Cochabamba Bilanz zu ziehen. Damals zwang ein Volksaufstand die Regierenden, die Privatisierung der Wasserversorgung der Region durch ein internationales Firmenkonsortium rückgängig zu machen.

Omar Fernández, Foto: P.Strack

Fernández war im Jahr 2000 Sprecher der Organisation der Bewässerungsbauern und -bäuerinnen von Cochabamba. Später wurde er für Evo Morales „Bewegung zum Sozialismus“ (MAS) zum Senator gewählt. Heute arbeitet er für CODETAMT, das „Komitee zur Verteidigung der Äcker, des Wassers und der Mutter Erde“. Es vereint die selbstverwalteten Wasserversorgungssysteme der Region Cochabamba im Zentrum Boliviens.

Wie ist CODETAMT entstanden?

Fernández: Es ist eine Abspaltung der FEDECOR, der Vereinigung der Bewässerungsbauern von Cochabamba. 2012 wurde ein nationales Gesetz verabschiedet, dass es erlaubt, Ackerland und Wassereinzugsgebiete zu urbanisieren. Familien, die bereits fünf Jahre lang auf einem Stück Land wohnen, sollten dort auch bleiben können. Dagegen haben wir uns auch nicht ausgesprochen. Aber gleichzeitig wurde die Ausweitung der Bebauungsgebiete erleichtert. Das Gesetz wurde vom Präsidenten Evo Morales bei der Abschlussveranstaltung eines internationalen Treffens ausgerechnet zur Nahrungsmittelsicherheit im Stadium von Cochabamba unterzeichnet. Bei der Auseinandersetzung darüber wurden die Bewässerungsbauern in zwei Organisationen gespalten. Und wir haben uns von der Regierung distanziert und uns einen neuen Namen gegeben. (Zur damaligen Politik gegenüber den sozialen Organisationen siehe dieses frühere Interview auf Latinorama)

Gescheiterte Vermittlungsversuche

Omar Fernández war einer der sichtbaren Köpfe der Proteste gegen die Privatisierung aller Wasserressourcen der Region durch das Konsortium „Aguas de Tunari“ unter mehrheitlicher Kontrolle des US-amerikanischen Bechtel-Konzerns. Was war deine Rolle, Eddy?

Eddy Terrazas, mit vertikalem Kräuter- und Gemüseanbau verringert er zu Hause den Wasserbedarf, Foto: P.Strack

Terrazas: Ich habe mich etwa fünf Monate vor dem Wasserkrieg eingebracht. Ich war Mitglied im Komitee zur Verteidigung des Nationalparks Tunari. Aus dem wird die Metropolitan-Region von Cochabamba mit Wasser versorgt. Unter dem Dach des Verbandes der Architekten wurde damals eine Fachgruppe aus Architekt*innen, Wirtschaftswissenschaftler*innen und Rechtsanwält*innen gebildet. Es gab auch Vertreter*innen der Nachbarschaftsorganisationen, der Bewässerungsbauern und Bäuerinnen (FEDECOR). Ich war für FOCOMADE dabei (ein Umweltnetzwerk aus NRO und Basisorganisationen). Dort haben wir dann die Informationen über das Projekt „Aguas de Tunari“ diskutiert, mit dem die Wasserversorgung in private Hände gegeben werden sollte. Unser Ansatz war, zur Konfliktbearbeitung erst einmal das Machtungleichgewicht zu kompensieren. Dafür galt es, die Konsument*innen stärker einzubeziehen, zu informieren und zu stärken. Denn auf der anderen Seite standen neben dem Konsortium die nationale, die regionale und die lokale Regierung.

Tage der Entscheidung

Terrazas: Für den 4. April wurde zur “Entscheidungsschlacht” aufgerufen. Da war ich auch aktiv dabei an der Seite der Stadtbevölkerung und von Kokabauern aus dem tropischen Tiefland von Cochabamba. Die brachten uns bei, wie wir uns vor dem Tränengas schützen konnten. Am 5. April wurde die Installationen von “Aguas de Tunari” besetzt, die Blockaden verschärft und vor der Regionalregierung eine Mahnwache installiert. Menschen aus allen sozialen Schichten waren auf der Straße. Am 7. April rief die Regierung den Ausnahmezustand aus.

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In der Folge gab es einen Toten, eine Person im Koma, 32 Verletzte (vor allem durch Schüsse) und 17 festgenommene Aktivisten… Doch am 11. April musste “Aguas de Tunari” dann doch gehen. Die “Koordination für das Wasser und das Leben”, die die Proteste koordiniert hatte, und das Bürgermeisteramt vereinbarten, den Wasserbetrieb gemeinsam zu übernehmen. Es blieben Millionenverluste der Hühnerfarmen, Industrie- und Milchbetriebe sowie die Schäden an öffentlichen Gebäuden und Anlagen. Ich habe mich damals noch an einigen Sitzungen beteiligt, dann aber wegen dem aufkommenden Streit unter den “Wasserkriegern” zurückgezogen.

(Zu den kritischen Tagen sieha auch  die Rezension des Romans des damals für die 6. Brigade in Cochabamba verantwortlichen Generals Gil in der ila 326)

Es ist gelungen, die Privatisierung zu verhindern

Welche Bilanz kann man heute, 24 Jahre nach dem Wasserkrieg, ziehen?

Wasserspeicher und Bohrungen der Nachbarschaftsorganisationen wie hier im Kami-Viertel in Quillacollo sollten unter die Kontrolle des Konsortiums “Aguas de Tunari” gebracht werden, Foto: P.Strack

Terrazas: Das Ziel damals war, dass die Bevölkerung Cochabambas die Besitzrechte über das Wasser behält und die Privatisierung zu verhindern. Das ist gelungen. Denn damals sollten auch die lokalen Wasserversorgungssysteme in den Besitz von „Aguas de Tunari“ übergehen. Nicht einmal eigenes Geld wollte das Konsortium investieren. Stattdessen haben sie die Gebühren bis zu 250% erhöht. Ich hatte vorher umgerechnet knapp 13 Euro im Monat bezahlt. Nach der Erhöhung waren es fast 40. Mit diesem Geld wollte das Konsortium seine Kosten decken. Das war der Tropfen, der 2000 das Fass zum Überlaufen gebracht hat.

Die Konflikte damals hatten auch politisch Folgen…

Fernández: 2009 ist in Bolivien eine neue Verfassung in Kraft getreten. An deren Erarbeitung haben wir uns beteiligt. Und so sind viele Artikel zum Wasser aufgenommen worden. Doch dass Wasser ein Menschenrecht ist, dass die Mechanismen der Selbstversorgung respektiert werden, ist Theorie geblieben. Es fehlten politischen Maßnahmen, um diese Rechte auch durchzusetzen.

Mit der Privatisierung sollten Probleme, wie die maroden Leitungen oder der Wassermangel, gelöst werden. Was ist in dieser Richtung geschehen?

Terrazas: Der internationale Konzern bot damals keineswegs Perspektiven für ein besseres Wassermanagement und die Lösung dieser Probleme. Jedenfalls haben dann wieder nationale Fachleute und Aktivisten den städtischen Wasserbetrieb von Cochabamba (SEMAPA) übernommen. Allerdings entpuppten sich manche als neue Caudillos, es gab parteipolitische Manipulation, Korruption und Streit um Pfründe. So konnte von einem effizienten Managment nicht die Rede sein. Immerhin wurde das Misicuni-Staudamm-Projekt als die wichtigste Option der Wasserversorgung weitergeführt, auch wenn es langsam ging. Und aufgrund von Korruption – unter anderem des chinesischen Ingenieur- und Baukonzerns CAMC – haben sich die Baukosten verdreifacht.

Während die einen autonom bleiben wollen, warten diese Demonstrantinnen aus Quillacollo auch im April 2024 noch darauf, ebenfalls vom Misicuni-Staudamm mit Wasser versorgt zu werden, Foto: Facebook

Ein Problem scheint auch, dass der Untergrund des Stausees von Misicuni nicht dicht genug ist und durch den Druck der Wassermassen zu viel Wasser in den Berg filtriert. Auch in der Frage des Wassertransports gibt es Mängel. Probleme mit Erdbewegungen konnten wohl gelöst werden. Die Turbinen für die Stromproduktion wurden aber so tief gelegt, dass jetzt das Wasser wieder hochgepumpt werden muss, damit es zum Beispiel nach Sacaba fließen kann. Diesen Motoren- und Energieverbrauch hätte man sich sparen können, hätte man die Turbinen an höherer Stelle installiert.

Wasserversorgung ist keine Priorität

Die Regierung spricht von einem Anteil von über 95% der städtischen Bevölkerung Boliviens, die Zugang zu Trinkwasser hat. Der Ingenieur Gonzalo Maldonado sagt im Interview in der April-Ausgabe der Zeitschrift ila, dass wegen des Bevölkerungszuwachses heute ein geringerer Anteil der Bevölkerung von Cochabamba an Trinkwasser angeschlossen ist als im Jahr 2000.

Fernández: Nur das Munizip Sacaba, Liebling der aktuellen Regierung, hat 70 Millionen Bolivianos (umgerechnet knapp 10 Millionen US Dollar) für den Ausbau des Leitungssystems bekommen. Evo Morales hat den Bau der Stadtbahn von Cochabamba mit 490 Millionen USD Kosten priorisiert. Mit dieser Summe könnte die ganze Metropolitan-Region Cochabamba einen Wasseranschluss bekommen.

Wasser ist keine Priorität, Stadtbahn in Cochabamba, Foto: P.Strack

Terrazas: In Cochabamba haben einige Viertel genug Wasser. Aber im Norden und in der Südstadt gibt es Mangel. Im Süden haben selbst viele Schulen keinen Anschluss. Aber nicht nur die fehlenden Anschlüsse sind ein Problem. In meinem Wohnviertel in der Nordstadt von Cochabamba gibt es einen hohen Anteil Luft in der Leitung, die von den Geräten gemessen wird, was natürlich die Rechnungen erhöht. Die Elektroduschen brennen schnell durch.

An Karneval allerdings hatte es bei den Wasserschlachten nicht den Anschein, als ob das kühle Nass in Cochabamba Mangelware sei.

Terrazas: Viele haben Regenwasser gesammelt, um damit zu spielen, zumal das Bürgermeisteramt Wasserschlachten verboten hatte. Aber eigentlich ist das lächerlich. Wie viel Wasser wird an Karneval verschwendet? Wenig im Vergleich zu dem, was durch marode Leitungen verloren geht. Von 40 bis 50% ist die Rede. Und wer zahlt das? Die Verbraucher*innen! Und bei all dem nimmt der Staat noch mehr Steuern ein.

Parteiinteressen überwiegen fachliche Kriterien

“Badet euch mit Coca Cola, spart Wasser”, dieser Demonstrant in Quillacollo hat Sorge, dass durch eine Bohrung der Coca Cola-Fabrik (auch ein Selbstversorger) der Grundwasserspiegel weiter sinkt, Foto: Internet

Hätten Bechtel/Aguas de Tunari das technische Know How zur Lösung solcher Probleme mitgebracht?

Terrazas: Es ging bei dem Konflikt damals nicht um technische, sondern um politische Fragen. Der bolivianische Ingenieur Camargo hatte einen fertigen Plan zur Verbesserung des Leitungssystems und der Klärung der Abwässer. Das Hauptproblem scheint mir bis heute die Korruption und parteipolitische Quotierung bei den Stellenbesetzungen. Sie verhindern, dass der städtische Wasserbetrieb von Cochabamba (SEMAPA) nach fachlichen Kriterien geführt wird. Berufserfahrung spielt nur eine untergeordnete Rolle und so können auch die technischen Herausforderungen nicht bewältigt werden.

Aber die Verfügbarkeit von Wasser konnte deutlich erhöht werden?

Fernández: Letztes Jahr haben wir mit Demonstrationen erreicht, dass SEMAPA eine Vereinbarung unterzeichnet, nach dem das Wasser des Stausees Wara Wara dem Munizip Sacaba, das Wasser von Escalerani dem Munizip Tiquipaya und die Bohrungen in Quillacollo dem Munizip Quillacollo zur Verfügung stehen werden, sobald Misicuni fertiggestellt ist. Dank dieses Stausees wird der Cochabambiner Wasserbetrieb SEMAPA jetzt auch von dort mit Wasser beliefert. In der Südzone von Cochabamba hat sich die Versorgung deshalb verbessert. Die Leute dort sind damit natürlich einverstanden, auch weil sie bisher mehr als das Doppelte an die Tankwagen zahlen mussten.

“Wasser ist Leben und keine Ware. Unsere Bohrungen werden nicht privatisiert”, Proteste im Jahr 2024 in Tiquipaya, Foto: P.Strack

Die Kommunen haben höhere Tarife als die nachbarschaftlichen Wasserkomitees

Fernández: Aber die Politik nutzt die Zustimmung dort aus, um allen anderen Tariferhöhungen und das städtische Versorgungsmodell aufzudrängen. Seit über einem Jahrzehnt hat sich die Regierung immer weiter von den Forderungen des „Wasserkriegs“ entfernt. Nichts wurde mit den sozialen Organisationen abgesprochen. Man hat den Preis auf 1,83 Bolivianos pro Kubikmeter Wasser im Staubecken von Misicuni festgelegt. Nach unseren Berechnungen wären 0,75 Bolivianos angemessen. Und SEMAPA verkauft das Wasser an die Haushalte für 6, 8 oder 10 Bolivianos. Während die Selbstversorger Kooperativen, mit denen wir arbeiten, das Wasser für 0,5 bis 1,5 Bolivianos für einen Kubikmeter verkaufen. Wenn man auf den Preis von Misicuni noch 3 bis 4 Bolivianos für den Transport hinzurechnet, ist das weit mehr, als die Mehrheit der Bevölkerung in den Munizipien Sipe Sipe, Quillacollo, Vinto, Colcapirhua oder Sacaba derzeit mit den eigenen Versorgungsstrukturen bezahlen müssen. Wenn diese jetzt per Dekret in ein Gesamtsystem des Betreibers von Misicuni einbezogen werden, führt das für sie zu einer Preiserhöhung um das Drei- bis Vierfache. Aus dem Interesse parteipolitischer Kontrolle soll Misicuni bzw. sollen Kommunale Unternehmen ein Monopol bekommen und die lokalen Wasser Komitees ersetzen. Dagegen haben wir mit einer Demonstration in Tiquipaya protestiert. (Siehe diesen vorherigen Beitrag auf Latinorama).

Omar Fernández bei den Protesten in Tiquipaya, Foto: P.Strack

Gegen Monopole und für die Umsetzung der Verfassung

Bei diesen Protesten vor dem Bürgermeisteramt wendeten sich Sprechchöre und Transparente gegen eine “Privatisierung” der Wasserversorgung. Aber geht es bei den städtischen Dekreten nicht eher um eine “Verstaatlichung” der Infrastruktur nachbarschaftlicher privater Versorgungskomitees?

Fernández: Die deutsche GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit) hat vor Jahren das Privatisierungsmodell in Bolivien entwickelt und setzt sich heute als GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) für die Munizipalisierung ein. Die Verfassung sieht aber ausdrücklich Basisorganisationen als Träger solcher Versorgungssysteme vor, bzw. Mischbetriebe von Basisorganisationen in Kooperation mit den staatlichen Einrichtungen. Und im Gesetz 3470, das die Rahmenbedingung für den Betrieb von Misicuni festlegt, steht, dass die Wasser Organisationen vor Ort am Ende für die Verteilung verantwortlich sind. Wenn die munizipalen Betriebe jedoch ein Monopol bekommen, verschwinden die anderen Systeme, die die Menschen heute mit Wasser versorgen. Das Wassergesetz von Colcapirhua und das, was in Tiquipaya geplant ist, würde die nachbarschaftlichen Wasserkomitees abhängig von den Entscheidungen des Munizips machen. Es sind Stadtregierungen der „Bewegung zum Sozialismus“, die diese Politik vorantreiben. Statt der Basisorganisationen, die bereits Erfahrung haben und günstig Wasser anbieten, werden bürokratische Apparate und damit Arbeitsplätze für Parteimitglieder geschaffen.

Günstiger: Wasserleitungen werden in Eigeninitiative der Nachbarschaft gelegt, so wie hier im Kami-Viertel in Quillacollo, Foto: P.Strack

Sieben Jahre lang war ich Sprecher der Bewässerungsbauern des Departamento Cochabamba. Und 17 Jahre lang haben wir dafür gekämpft, dass der Misicuni-Tunnel und Staudamm gebaut wird. Aber wofür das Volk einst gekämpft hat, das wollen jetzt politische Gruppen für ihre Zwecke kontrollieren. Wir Wasser Organisationen mobilisieren deshalb gerade wieder die Bevölkerung, damit respektiert wird, was in der Verfassung steht: Dass die munizipalen Betriebe nicht zu exklusiven Versorgern werden und damit ein Monopol bekommen.

Erfolgreiche Proteste: Unterschrift unter eine Vereinbarung mit der Munizipalregierung von Tiquipaya, das Gesetz zur Munizipalisierung der gesamten Wasserversorgung zurückzuziehen (links Omar Fernández), Foto: P.Strack

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https://blogs.taz.de/latinorama/selbstorganisation-statt-staedtischem-monopol/

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