vonGaby Küppers 23.03.2011

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Vierte Konferenz gegen Feminicidios im Europäischen Parlament beklagt mangelnden Umsetzungswillen von Regierungen

Wenige Tage vor dem Internationalen Frauentag trafen sich am 3. März 2011 AktivistInnen, ForscherInnen, Regierungsgesandte und VertreterInnen der EU-Institutionen im Brüsseler Europäischen Parlament (EP) zum Thema Morde an Frauen (Feminicidios). Auf dieser vierten Konferenz seit 2007 ging es um Bilanz und Perspektiven im Hinblick auf Verantwortlichkeiten und Fortschritte bei deren Bekämpfung insbesondere in Mexiko und Zentralamerika. Gleichzeitig stand die Planung von Aktionen im Vorfeld des 7. Gipfels der Staatschefs aus EU, Lateinamerika und der Karibik im Mai 2012 in Santiago de Chile.

Ein Großteil der TeilnehmerInnen kam nicht zum ersten Mal zu dieser ganztägigen Veranstaltung, auch diesmal auf Einladung von Raul Romeva, grünes Mitglied des EP aus Katalonien und Berichterstatter des ersten EP-Berichts zur Straflosigkeit von Feminicidios in Mexiko und Zentralamerika, der Heinrich-Böll-Stiftung, CIFCA, Grupo Sur, ALOP und Amnesty International. Sie attestierten der Konferenz Fortschritte in der strategischen Debatte. Harsche Kritik dagegen ging an die Adresse von Regierungen und europäischen Institutionen. Sie täten lediglich so, als setzten sie Programme und Empfehlungen um, während die Zahl der straflos ausgehenden Frauenmorde weiter steigt.

„Wir wollen keine Simulationen. Wir wollen keine Absichtserklärungen mit Regierungslogos. Wir wollen konkrete Aktionen“, sagt Andrea Medina Rosas, Vertreterin der Koordination der Frauen in Ciudad Juárez, der mexikanischen Grenzstadt zu den USA, in dem das Phänomen der Feminicidios Anfang der 1990er Jahre erstmals bekannt und benannt wurde. „Von 1993 bis 2001 gab es in Ciudad Juárez 214 Fälle von Feminicidios. 2010 waren es dann in einem Jahr allein schon 304. Doch wer das in Ciudad Juárez laut sagt, wird von den Medien und Behörden angefeindet als jemand, die die Stadt schlecht machen wolle und ihre Anstrengungen nicht anerkenne, das Phänomen in den Griff zu bekommen. MenschenrechtsverteidigerInnen stehen direkt in der Schusslinie.“

Andrea Medina (hier mit Raul Romeva) meint das wortwörtlich. Am 3. Januar 2010 wurde die Menschenrechtsverteidigerin Josefina Reyes in Ciudad Juárez erschossen, ihr Sohn Julio César war im Jahr davor ermordet worden. Im August 2010 wurde auch ihr Bruder Rubén Reyes Salazar umgebracht. Am 8. Februar 2011 schließlich wurden ihre Enkel Malena und Elías und dessen Ehefrau Luisa Ornelas gekidnappt und umgebracht. Josefinas Tochter Sara und deren Tochter protestierten daraufhin vor dem Gebäude der Staatsanwaltschaft, woraufhin bewaffnete Männer deren Wohnung mit Molotowcocktails in Brand setzen.

Die Tragödie der Familie Reyes verschlägt unweigerlich die Sprache. „Was tut die EU? “, fragt die Moderatorin Ulrike Lunacek, grüne Europaabgeordnete aus Österreich. „Würde die EU die restlichen Familienmitglieder in ein Schutzprogramm aufnehmen, ihnen zu einem Aufenthalt in Europa verhelfen?“ Gianfranco Bochicchio, Referatsleiter für Mexiko in der EU-Kommission, gibt keine klare Antwort. Der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton lägen die Menschenrechte sehr am Herzen“, erklärt er. „Aber wir sind ja nicht der Wachhund Mexikos“, meint er.

Genau das, ein Wachhund, sollte die EU aber sein, erläutert Andrea Medina am Beispiel des Urteils des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs (CIDH) zu Feminicidios-Fällen in Campo Algodonero. Im Dezember 2010 war der erste Jahrestag dieser bahnbrechenden Verurteilung Mexikos. Bis dahin sollte Mexiko einer Reihe von Aktionen durchgeführt haben. „Doch die Regierung hat in der Hauptsache simuliert.“ So hat nicht die Regierung, wie angeordnet, das Urteil selbst in ganz Mexiko bekannt gemacht. Diese Aufgabe mussten Frauen- und Menschenrechtsgruppen selbst übernehmen. Zudem sollte ein Denkmal errichtet werden und die mexikanische Regierung sollte sich offiziell entschuldigen. Das Denkmal und der Akt wurden kurzfristig für den 10. Dezember angekündigt, dann auf den 8. März verschoben. Inzwischen deutet die Regierung an, das Ganze fände im November statt.

Überdies sollte die Regierung eine Website einrichten, die Feminicidios in Ciudad Juárez seit den 90er Jahren dokumentiert, damit sich Familien, die ihre vermissten Töchter, Ehefrauen, Schwestern etc. suchen, auf eine Datenbank stützen könnten. Die Website wurde am 10. Mai 2010 tatsächlich eingerichtet, aber sie enthält auch Daten wie etwa Autodiebstähle. Informationen dazu werden fortlaufend aktualisiert. Zu Feminicidios gibt es seit jenem 10. Mai keinen neuen Eintrag.

Von ganz wesentlicher Bedeutung für die Bekämpfung von Straflosigkeit bei Feminicidios sind die vom CIDH angeordneten einheitlichen Protokolle zum Anzeigen neuer Fälle. Diese werden derzeit ausgearbeitet. Die EU hat 300 000 Euro zu diesem Projekt beigesteuert. „Wir wollen nicht einfach mehr Geld, wenn wir nicht wissen, wohin es fließt“, sagt Andrea Medina. Projektpartner der EU ist die mexikanische Regierung. Frauenrechtsverteidigerinnen wurden nicht einbezogen. „Die EU läuft Gefahr, sich zur Komplizin des mexikanischen Simulationssystems zu machen“, sagt Andrea Medina. Zwei der drei Klägerfamilien im Urteil Campo Algodonero verließen inzwischen aus Sicherheitsgründen die Gegend.

Katariina Leinonen von der Menschenrechtsabteilung der EU Kommission verweist auf den existierenden hochrangigen Menschenrechtsdialog zwischen der EU und Mexiko. Der zweite dieser Dialoge habe just am Vortag der Feminicidios-Konferenz stattgefunden. Menschenrechtsorganisationen mit Büros in Brüssel hatten allerdings beklagt, erst in letzter Minute, informell und selektiv zu einer Vorbesprechung eingeladen worden zu sein. So hatten sie sich den berühmten „Dialog mit der Zivilgesellschaft“ nicht vorgestellt.

Silvia Escobedo, Menschenrechtsbeauftragte Spaniens und in dieser Eigenschaft Vorsitzende des ersten Dialog im Mai 2010, hält den Dialog für sehr wichtig. Von Anfang an sei das Wort „Feminizid“ in diesem Dialog verwendet worden, unterstreicht sie.

Ulrike Lunacek will Konkreteres wissen: Wie sah die Tagesordnung aus? Wer hat teilgenommen? Welche Beschlüsse wurden gefasst? Doch so weit gehen Transparenz und Dialog offenbar nicht.

Auch Carmen Odilia Reina aus Guatemala mahnt mehr Einsatz gegen Straflosigkeit von Seiten der EU an. Für 2003 seien in Guatemala 363 Feminicidios dokumentiert. 2010 stieg die Zahl auf 740 an. In der Region Alto Verapaz sei etwa der Ausnahmezustand verhängt worden. Soldaten vergewaltigten und mordeten unter diesen Bedingungen straflos. „Das ist staatlicher Mord“, entrüstet sich Carmen Reina.

Einer der letzten grauenhaften Fälle von Feminicidio ist der an Mindi Rodas. Im Dezember 2009 verletzte ihr Ehemann sie so schwer, dass ihr Gesicht vollkommen entstellt wurde. In einer langwierigen Prozedur wurde ihr Gesicht allmählich wieder hergestellt, allerdings trug Mindi eine Maske. Dennoch engagierte sie sich als Menschenrechtsverteidigerin gegen Feminicidios. Im Dezember verschwand Mindi. Im Januar tauchte ihr Leichnam auf. Vom Täter keine Spur.

Das guatemaltekische Parlament hat vor zwei Jahren Guatemala vor zwei Jahren ein Gesetz gegen Femicidios angenommen. Seither wurden einige hilfreiche Strukturen, aber auch unnütze Parallelstrukturen, wie die Präsidialbeauftragte, die für den Posten nicht qualifiziert ist, aber versorgt werden musste, nachdem ihr Ehemann und Minister bei einem Flugzeugunfall abgestürzt war.

Raul Romeva nimmt als EP-Berichterstatter zu Feminicidios den Einwand einer Teilnehmerin aus dem Publikum auf, die gemeinsam mit anderen Frauen versucht hatte, bei der guatemaltekischen Vertretung der EU eine Anlaufstelle zum Thema Gewalt gegen Frauen zu finden. „Wir wurden abgewiesen“, beklagt sich Glevys Rendón, von LAMMP . Angeblich habe die EU-Vertretung nicht genügend Kapazitäten. Im Feminicidios-Bericht von 2007 wurde die Einrichtung von sogenannten „Focal Points“ in EU-Vertretungen, sprich -Botschaften, gefordert, konkrete Verantwortliche, die für Hilfestellungen zum Thema Feminicidios zur Verfügung stehen. Die gibt es bis heute nicht. „Offenbar kommt für die EU-Kommission das Thema Feminicidios erst auf die Tagesordnung, wenn alle übrigen Probleme gelöst sind“, kritisiert Raul Romeva.

Katariina Leinonen, hält dagegen, dass man ein „Burden Sharing“ pflege: Manche Lasten würden geteilt, so übernähmen Botschaften der Mitgliedstaaten häufig gewisse Aufgaben. Zudem gäbe es in 60 EU-Vertretungen rund um die Welt inzwischen „Focal Points“ zum Thema Menschenrechte. Gender würde überdies in allen Politiken der EU immer weiter ins Zentrum gerückt. „Oh ja“, merkt Carmen Reina bitter an. „Wer ein Projekt bei der EU erfolgreich beantragen will, muss eineN GenderbeauftragteN im Projekt vorweisen. Aber diese Formalität ist schnell getan, besagt jedoch für die Praxis nichts“.

Die Konferenz macht deutlich: Immer wieder reden die EU-KommissionsvertreterInnen von Projekten, wenn die ParlamentarierInnen und ExpertInnen Politiken meinen. Die Neuausrichtung der EU-Außenpolitik seit dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags im Dezember 2009 scheint dies eher noch zu befördern, statt zu verringern. Sei einem guten Jahr baut die EU ihre Außenvertretungen um und aus. Es gibt eine diplomatische Schiene, die EAS (Europäischer Auswärtiger Dienst) und eine für Entwicklungszusammenarbeit, DEVCO (Development and Cooperation).

Andrea Medina warnt davor, das Thema Straflosigkeit von Feminicidios auf die Ebene von Projekten zu beschränken: „Die EU-Handelspolitik gibt den konkreten politischen und wirtschaftlichen Rahmen vor, in dem die Morde in Mexiko stattfinden. Dieser Rahmen muss sich ändern, und daher muss sich auch die Politik, die diesen Rahmen stabilisiert, ändern.“

Ulrike Lunacek will von den EU-RednerInnen wissen, was hat sich durch die EADS tatsächlich im Kampf gegen Straflosigkeit verbessert habe? Gianfranco Bochicchio will sich nicht festlegen: „Wir stehen erst am Anfang eines großen Abenteuers“. Katariina Leinonen glaubt, es helfe, jetzt zwei als zuvor eine Menschrechtsabteilungen zu haben. Allerdings bestehe zwischen den verschiedenen Institutionen noch Koordinierungsbedarf. Rats- und Kommissionsarbeitsgruppen zu Lateinamerika und zu Menschenrechten sprächen sich häufig nicht ab.

Es hapert also an der kontrollierten und koordinierten Umsetzung von an sich lobenswerten Leitlinien und Grundsätzen. Projekte ersetzen Politik, und wenn Menschenrechtsverletzungen zu offenkundig werden, führt man einen Dialog.

Frauengruppen, die zu Feminicidios arbeiten, sind in Sachen Koordination und Zusammenarbeit schon viel weiter gekommen. Was fehlt, sind Kanäle zu Entscheidungsträgern. Auf einem Strategietreffen im Anschluss an die Konferenz beschlossen die Teilnehmerinnen, den 25. jedes Monats zum Aktionstag zu machen, um bis zum EU-Lateinamerika-Gipfel im Mai 2012 immer wieder neu auf das Thema Straflosigkeit der Feminicidios aufmerksam zu machen und von staatlicher Seite energische Aktionen zu deren Beendigung einzufordern.

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