vonGerhard Dilger 25.08.2015

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Nach der Pleite von RR Donnelley übernahmen die Beschäftigten den Druckereibetrieb in Garín (13. August 2014)

Die Utopie fasziniert noch immer: Arbeiter übernehmen im Betrieb die Kontrolle, schmeißen den Chef raus, produzieren eigenständig, ohne Rücksicht auf Renditeerwartungen von Investoren und anonymen Märkten. In Argentinien wurde dies zur Wirklichkeit: Nach einer Dekade Neoliberalismus lag die Wirtschaft des Landes zur Jahrtausendwende am Boden, unzählige Unternehmen stellten die Produktion ein. Tausende Beschäftigte wollten das nicht hinnehmen, sie führten die Betriebe in Eigenregie weiter.

So beginnt die Rezension von Johannes Schulten in der jungen Welt.

Und heute? Auch fast 15 Jahre später existieren viele dieser Firmen noch immer: Etwa 13.000 Arbeiter sind in über 300 selbstverwalteten Firmen tätig. Und wie man im gerade erschienenen Reportageband »Sin Patrón. Herrenlos. Arbeiten ohne Chefs« erfährt, gibt es von Zeit zu Zeit sogar noch Zuwachs. Wie im Sommer 2014, als die Beschäftigten die insolvente US-Druckerei RR Donnelley in Buenos Aires übernahmen.

Vor allem als Zeitdokument aus der Umbruchsepoche nach dem Staatsbankrott 2001/02 sei das Buch, das in Argentinien 2007 in einer aktualisierten Auflage erschien, lesenswert, findet Schulten. Doch die aktuellen Anmerkungen des Übersetzers Daniel Kulla zur den zehn Fallbeispielen stünden

(…) im Widerspruch zum in der Einleitung vermittelten Bild einer kämpferischen und im Aufwind befindlichen Bewegung.

Zudem: Die

(…) spannende Frage, ob mit Eigentumsstrukturen gebrochen werden kann, während man im kapitalistischen Markt verbleibt, und ob darüber hinaus eine Verbesserung der materiellen Situation der Beschäftigten erreicht werden kann, bleibt weitgehend unbeantwortet. Angaben zu den Arbeitsbedingungen, Löhnen oder anderen ökonomischen Kennzahlen finden sich nur selten. Auch der interessanten Frage, ob es Versuche gab, alternative Märkte, z. B. über regionale Strukturen, zu finden, wird kaum nachgegangen.

Lavaca (Hg.): Sin Patrón. Herrenlos. Arbeiten ohne Chefs, übersetzt und mit einem Vorwort von Daniel Kulla, Verlag AG Spak Bücher, 2015, 254 Seiten, 19 Euro.

Foto: Reuters

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