vonGerhard Dilger 19.01.2024

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„Heute bin ich hier, um Ihnen zu sagen, dass der Westen in Gefahr ist.“

Nach einer extrem freundlichen Begrüßung durch WEF-Gründer Klaus Schwab durfte der argentinische Ultra Javier Milei in Davos seine Überlegungen zum Thema „Freiheit statt Sozialismus“ vortragen.

Für argentinische Ohren waren sie nicht ganz neu. Vieles war bereits in einer Rede enthalten, die er vor knapp fünf Jahren gehalten hatte (ein TEDx-Talk), ein Hohelied auf Wachstum und Kapitalismus. Schon im Wahlkampf und beim Amtsantritt hatte Milei Bruchstücke seiner jahrelang einstudierten Thesen in anderen Variationen vorgetragen und das aus seiner Sicht glorreiche 19. Jahrhundert beschworen. An der Schwelle zum 20. soll Argentinien die „Weltmacht Nummer Eins“ gewesen sein, heute dümple es auf Platz 140 (!) dahin.

Im Stil einer Agenturmeldung hob FAZ-Herausgeber Gerald Braunberger jetzt einige Punkte der Mileis-Rede hervor:

Argentinien sei ein bedeutendes Land gewesen, Milei beschrieb es als ein „Land der Freiheit“. Aber als es den Kollektivismus eingeführt habe, sei es bergab gegangen. „Die Geschichte der Menschheit zeigt, dass freies Unternehmertum erst den wirtschaftlichen Wohlstand gebracht hat (…) Freihandelskapitalismus ist das einzige Instrument, um die Armut in der Welt zu beenden (…) Die Daten sind eindeutig. Soziale Gerechtigkeit ist nicht gerecht, sie ist inhärent ungerecht, weil sie auf der Erhebung von Steuern beruht. (…) Der Markt ist ein Entdeckungsprozess, der Erfolgreiche belohnt und schlechte Ideen aus dem Markt drängt (…) Erfolgreiche Unternehmer sind Helden, die der Gemeinheit nützen. Dieses Modell werden wir in Argentinien umsetzen.“

„Milei mischt Klaus Schwabs Weltwirtschaftsforum auf,“ frohlockte die Junge Freiheit, und noch euphorischer titelte die Welt: „Mit einer flammenden Rede mischt Milei die Davos-Elite auf.“ Ulf Poschardt, der Chefredakteur der Springer-Blatts, hatte sich schon nach Mileis Wahlsieg im November als größter deutscher Milei-Fan geoutet und legte jetzt nach: „300 000 (!!) Verordnungen will er streichen“, Milei sei „von linken und ganz linken Regierungen umgeben“.

Der Westen brauche „wieder eine wehrhafte Vorstellung von Freiheit“, so Hobbyphilosoph Poschardt. Milei „ist so klar sortiert, wie man sich das nur wünschen kann von einem westlichen Politiker“, er wolle aus Argentinien einen „wehrhaften Freiheitskämpfer“(!) wie Israel oder die Ukraine machen, aber, so realistisch ist der Welt-Gruppe-Herausgeber dann doch: Seine Erfolgschancen „liegen sicher im untersten zweistelligen Bereich“.

Ohne Frage: Milei fasziniert. Auf den ersten Blick beeindruckt sein Gelehrtengestus, „schließlich war er ja auch jahrzehntelang Professor für Volkswirtschaft“, behauptet etwa die Chronistin der Süddeutschen. „Milei, 53, Ökonom und ehemaliger Chefvolkswirt verschiedener argentinischer Unternehmen, wirkt in seiner Rede wie ein Anti-Habeck,“ heißt es in der Wirtschaftswoche. Auch Poschardt lobt seine angebliche „ökonomische Kompetenz“.

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Dabei war Milei weder jahrzehntelanger VWL-Professor noch Chefvolkswirt – der studierte Ökonom und Hundefreund weiß sich nach unzähligen TV-Auftritten fraglos medienwirksam in Szene zu setzen und glaubt das Märchen des wohltätigen Kapitalismus, das er erzählt, wirklich. Seine Fähigkeiten als Debattierer und wohl auch als Politiker sind deutlich begrenzter – als Mastermind gilt seine Schwester Karina.

„Kollektivisten“ sind für Milei: „Kommunisten, Faschisten, Nazis, Sozialisten, Sozialdemokraten, Nationalsozialisten, Christdemokraten, Keynesianer, Neokeynesianer, Progressive, Populisten, Nationalisten oder Globalisten“. Zwischen diesen gäbe es keine substanziellen Unterschiede, so der Argentinier, denn sie alle behaupteten, dass „der Staat alle Aspekte des Leben leiten“ müsse.

Klimaleugnung und Antifeminismus setzte er durchaus originell in Beziehung:

Für die Sozialisten gibt es auch einen Konflikt zwischen Mensch und Natur. Sie behaupten, dass wir Menschen den Planeten beschädigen und dass er um jeden Preis geschützt werden muss, sie gehen sogar soweit, sich für Bevölkerungskontrolle oder die blutige Agenda der Abtreibung einzusetzen.

Mileis skurriler Auftritt löste in Davos Beifall, aber auch Kopfschütteln und Fremdschämen aus. Ultrarechte in Europa und vor allem in den USA, verstärkt durch soziale Netzwerke und nahestehende Medien, feierten ihn als Helden. Das Gift breitet sich weiter aus (-> Das Coming-Out der Arschlochgesellschaft).

Einer seiner größten Fans ist Elon Musk. Der reichste Mann der Welt hat ein Auge auf die Lithium-Vorräte in Argentinien geworfen, und Milei will bereits Musks Satellitendienst Starlink alle Hindernisse aus dem Weg räumen. Musk lobt den Ultralibertären, der tatsächlich in einer Parallelwelt lebt, auf X: „Good explanation of what makes countries more or less prosperous“, postete dann die mit AI ins Englische übersetzte und mit Milei-Stimme versehene Rede und schließlich das hier mit dem Zusatz „so hot right now“:

Da haben sich zwei gefunden. Die Rechnung bezahlen Millionen Argentinier:innen.

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