Von Niklas Franzen
Wenn der brasilianische Karneval beginnt, tritt fast ein gesamtes Land in einen kollektiven Ausnahmezustand. Die Bilder des Karnevals in Rio de Janeiro sind weltbekannt. Ohne Zweifel steht der Karneval in der Megametropole São Paulo im Schatten der schillernden Partys unter dem Zuckerhut.
Jedoch erlebt auch São Paulo in den letzten Jahren ein regelrechtes Revival des Straßenkarnevals. So finden in diesem Jahr fast 200 Umzüge auf den Straßen der Metropole statt. Einer davon ist der Bloco Saci da Bixiga. Beheimatet im traditionellen Arbeiterstadtteil Bixiga in der Innenstadt São Paulos, versteht sich der Bloco Saci da Bixiga jedoch nicht allein als Karnevalsveranstaltung.
„Für uns bedeutet Karneval nicht nur Spaß und Party, sondern auch die Artikulierung von sozialen Themen“, sagt Claudimar Gomes dos Santos. Claudimar ist Bewohner Bixigas, Aktivist und Vorsitzender des linken Zentrums Espaço Cultural Latino Americano (ECLA). Seit 2010 organisiert ECLA nun schon zum vierten Mal den politischen Umzug.
Mit jährlich wechselnden Themen soll der Karneval in São Paulo repolitisiert werden. So stand in den letzten Jahren die Wohnungsfrage, die Demokratisierung der Medien und der Kampf gegen Unterdrückung im Vordergrund. Claudimar grenzt den Bloco Saci da Bixiga klar von den kommerziellen Megaevents in den Sambastadien ab: „Der Karneval wurde vom Kapitalismus in eine große Show verwandelt. Unser Ziel ist es, die ursprüngliche Idee des Karnevals zurückzuerobern. Karneval war immer das Fest der einfachen Brasilianer“.
Mit dem diesjährigen Motto „50 Jahre Widerstand gegen die Militärdiktatur“ soll an den Putsch im Jahre 1964 erinnert werden, der eine über 20-jährige rechte Diktatur einleitete. In diesen Jahren wurden hunderte Menschen ermordet, gefoltert oder mussten aus Brasilien fliehen. Claudimar sieht die Notwendigkeit, die Zeit der Diktatur fast 30 Jahre nach ihrem Ende zu thematisieren, auch in der aktuellen Situation des Landes. So sei das Erbe der Militärdiktatur immer noch in der brasilianischen Gesellschaft spürbar. Dies zeige sich vor allem in der alltäglichen Polizeigewalt.
Vilma, Frau von Claudimar und Veranstalterin der diesjährigen Veranstaltung, erinnert mit einer kurzen Rede vor dem Beginn des Umzugs an den Widerstand gegen die Militärdiktatur und die soziale Verpflichtung des Karnevals. „Unser Umzug ist die Möglichkeit, ein politisches sowie kulturelles Zeichen zu setzen“, ruft sie den Versammelten zu. Nach den einführenden Worten setzt sich der Zug mit dem Rhythmus der Trommelgruppen in Bewegung.
Viele TeilnehmerInnen tragen die roten T-Shirts mit dem Logo des diesjährigen Mottos. Menschen aller Altersstufen sind anwesend. Die Stimmung ist ausgelassen, auch der einsetzende Regen tut dieser keinen Abbruch. Die feiernde Menschenmenge folgt einem mit Fahnen und politischen Bannern geschmückten Lautsprecherwagen.
Auf diesem befindet sich auch eine Nachbildung von Saci, dem Namensgebers des Umzugs. Die koboldartige, einbeinige und Pfeife rauchende Figur mit schwarzer Haut ist eine populäre Gestalt der brasilianischen Mythologie.
Das Liedgut lässt keine Zweifel am politischen Charakter der Veranstaltung. Klassische Karnevaltexte vermischen sich mit der Verhöhnung rechter Politiker, dem Aufruf zu internationaler Solidarität und einer scharfen Sozialkritik. Zwischen den Liedern ist immer wieder der auf Demonstrationen populäre Schlachtruf „Es wird keine WM geben“ zu hören.
Seit mehreren Monaten mobilisieren linke AktivistInnen gegen die im Juni stattfindende Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land. In der Kritik stehen die enormen Ausgaben und die mit dem Sportevent einhergehenden Räumungen, sozialen Verschärfungen und die zunehmende Repression gegen soziale Bewegungen.
Rund drei Stunden zieht der Umzug singend und tanzend durch Bixiga. Viele Bewohner des Stadtteils schließen sich spontan an. Die wandelende Party endet am Startpunkt in der Rua Abolição (Straße der Abschaffung (der Sklaverei)), in der sich auch das linke Zentrum ECLA befindet. Eine steile Treppe in einem unscheinbaren Haus führt in großen Raum, der einer Mischung aus Bar und Büro gleicht. An der Wand hängen Fahnen und Poster von linken Organisationen, internationaler Bewegungen und der Landlosenbewegung MST.
Für Claudimar ist ECLA „der wichtigste Treffpunkt für die Linke in der Stadt“. Sowohl soziale Bewegungen, studentische Organisationen, LGBT-Gruppen als auch Bewohner des Stadtteils nutzen den Raum. Der Ort sei offen für alle – nur Rechte seien nicht willkommen. Immer wieder betont Claudimar die Unabhängigkeit des Zentrums von jeglichen Parteizugehörigkeit, während sich das linke Zentrum mit immer mehr Menschen füllt. Die regierende Arbeiterpartei PT sei zwar willkommen, jedoch stellt Claudimar klar, dass ECLA scharfe Kritik an der aktuellen Regierung habe.
Die Feier auf der Straße verlagert sich immer mehr in das linke Zentrum. Bevor sich Claudimar an diesem Abend endgültig der Party widmet, verspricht er, dass der Bloco Saci da Bixiga auch im nächsten Jahr wieder auf die Straße gehen wird, um feiernd auf Missstände aufmerksam zu machen.
Fotos: Alexandre Maciel