vonGerhard Dilger 14.09.2008

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In bemerkenswerter Offenheit hat Spiegel Online im bolivianischen Konflikt gegen Präsident Evo Morales Partei ergriffen.

„Der Indio-Präsident (…) spricht schlecht und ungern Spanisch, er nennt sich Sozialist, in seinem Büro hängt ein riesiges Porträt von Che Guevara aus Kokablättern,“ höhnt Jens Glüsing, langjähriger Spiegel-Korrespondent in Rio. Der „unbedarfte Indio-Präsident“, ein – wie könnte es anders sein – „Schützling“ von Hugo Chávez aus Venezuela, „spaltet das Land“, lautet Glüsings schlichte Diagnose.

Dazu passt die wohlwollende Charakterisierung des Unternehmers Branko Marinkovic: „Er ist in Santa Cruz geboren, hat sich hier hochgearbeitet, jetzt besitzt er eine Fabrik für Speiseöl. Er ist weiß, er zählt zur wirtschaftlichen Elite des Landes, er hat Arbeitsplätze geschaffen und mitgeholfen, die von der Zentralregierung in La Paz lange vernachlässigte Provinzstadt in eine blühende Metropole zu verwandeln.“

Kein Wort davon, dass es die rechtsextremen jugendlichen Anhänger von Marinkovic waren, die am Dienstag Regierungsbüros in Santa Cruz besetzten und plünderten. In Orwellschem Neusprech bezeichnete Marinkovic, der Vorsitzende des örtlichen „Bürgerkomitees“, die eher hilflosen Aktionen von Polizei und Militär in Santa Cruz als „Repression“ und  „Antwort der Regierung auf eine friedliche Bürgerdemonstration.“

Das Agieren des mittlerweile ausgewiesenen US-Botschafters Philip Goldberg verharmlost Glüsing als „unglücklich“. Der wirkliche Bösewicht ist natürlich Chávez: Der nämlich schüre einen „neuen Kalten Krieg in Lateinamerika. Er hat ausgerechnet das ‚kranke Herz’ Südamerikas, wie Bolivien gern genannt wird, zum Schauplatz für seinen Showdown mit dem ‚Imperium’ auserkoren.“ Ungekürztes Original hier.

P. S. Besonders verräterisch ist Glüsings durchaus umstrittene Einschätzung, Morales spreche schlecht Spanisch. Ähnlich wird sich in Brasilien gerne über das angeblich schlechte Portugiesisch und den fehlenden Universitätsabschluss von Präsident Lula mokiert – in jenen Kreisen, die sich bis heute noch nicht damit abgefunden haben, dass nun ein Vertreter des einfachen Volkes das höchste Staatsamt bekleidet.

Beide Präsidenten, besonders der begnadete Rhetoriker Lula, bedienen sich eines umgangssprachlichen Registers, das auch von der breiten Bevölkerung verstanden wird – im Gegensatz zur geschraubt-juristischen Rhetorik vieler anderer Politiker.

Den BolivianerInnen kommt Evos „schlechtes Spanisch“ viel natürlicher vor als  jenes seines neoliberalen, 2003 vertriebenen Vorgängers Gonzalo Sánchez de Lozada: Der nämlich lebte bereits in seiner Jugend – wie auch jetzt wieder – in den USA und hat einen markanten Gringo-Akzent. Beide sind im folgenden Videoausschnitt über den Wahlkampf 2002 zu sehen – nach dem damaligen US-Botschafter Manuel Rocha, der sich als Morales´ größter Wahlhelfer entpuppte.

[youtube]http://de.youtube.com/watch?v=eq6pB2Yo8cU[/youtube]

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https://blogs.taz.de/latinorama/spiegel_online_contra_evo_morales/

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kommentare

  • Stern online ist noch schlimmer – ich habe sogar einmal geweint, dass die Deutsche uns nicht verstehen und so falsches schreiben

  • Nun, seit Aust ist der Spiegel nach und nach zum Bild-Populismus und politisch nach rechts gerückt. Schön, dass Sie, Herr Dilger, die Lage zutreffender beschreiben, wie heute auch in der TAZ. Ich bin auch der Meinung, dass der „unbedarfte Indio-Präsident“ angesichts seiner Bildungsvoraussetzungen, Armutsbedingungen und Berufserfahrungen als Arbeiter, Coca-Bauer, Trompeter und Gewerkschaftler eine hervorragende, gemäßigte und erfischend ehrliche Figur abgibt. Die deutschen Medien allgemein machen mir hingegen langsam Angst. Die Berichterstattungen zum Georgien-Konflikt aktuell oder zum mißlungenen Putsch in Venezuela waren und sind meist armselig. Da scheinen noch viele Eisklumpen vom kalten Krieg in den Hirnen von Redakteuren zu schlummern, einfache Feindbilder sind ja auch leichter zu kommunizieren.

  • Betr. Jens Glüsing

    Lese ich da den Spiegel oder den Bayernkurier?

    Ich erinnere mich an Zeiten, als der Spiegel sich noch kritisch mit der Todesschwadronenpolitik der Amerikaner und Ihrer verbündeten indigenen Ausbeutereliten in Lateinamerika auseinandersetzte.
    Nach Herrn Glüsing war es also auch schon Chavez ideologischer Vorreiter Fidel, der letztlich die USA dazu gewungen hat Präsident Allende ermorden zu lassen, und zehntausende zu Tode zu foltern?
    Das wäre doch die Schlussfolgerung dieser kleinen Spiegel -Online Schmiererei.

    Bei der Seidel Stiftung ist bestimmt noch ne Stelle für nen Schreiberling dieses Formates frei, um die Arena-Möderpartei in El Salvador PR-mäßig zu unterstützen.

    Peinlich, Peinlich…

    Matthias Richter
    Düsseldorf

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