Die Waldbrände, die die Amazonasregion im Norden von La Paz zwischen September und Dezember 2023 heimgesucht haben, bedrohen die Lebensgrundlagen der Tacana. Das Ökosystem ist aus dem Gleichgewicht geraten, Schädlinge vermehren sich und die Gesundheit und schulische Versorgung der Kinder ist beeinträchtigt. Staatliche Hilfen kommen nur langsam und unzureichend, während sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf die nächste durch die Klimakrise verursachte Katastrophe verlagert hat: die Überschwemmungen in der Regenzeit.
Mitte März besuchte der Umweltkommissar der Europäischen Union, Virginijus Sinkevičius verschiedene südamerikanische Staaten, darunter Bolivien. Er hatte Geldzusagen für den Regenwaldschutz im Gepäck, wollte aber vor allem über die neuen Richtlinien der EU reden, die die Importe von Gütern aus abgeholzten Regionen untersagen. Ob diese tatsächlich Wirkung haben werden, oder Europa von anderen Ländern abgelöst wird, wird auch davon abhängen, ob die bolivianische Regierung ihre Politik der Ausweitung der Agroexportproduktion auf Kosten der Wälder zu ändern bereit ist.
Von Karen Gil, Zeitschrift „La Brava“
Camilo González geht über die Reste dessen, was von den Bananen- und Maniokstauden übrig geblieben ist, die er Mitte letzten Jahres gepflanzt hat. Sein Feld liegt inmitten des Waldes der Tacana-Gemeinde Buena Vista im Amazonasgebiet von La Paz. Die Reste vermischen sich mit Baumstämmen mit weiß bedeckter Rinde und blattlosen Ästen. Das Feuer hat seine Spuren hinterlassen.
“Ich hatte auch Nutzholzbäume und Mandarinen; alles ist verbrannt. Ich erntete Copoazú-Früchte, um sie zu verkaufen. Gerade einmal zwei Bäume sind mir geblieben“, sagt Camilo. Er hat das Amt des Dorfschulzen in Buena Vista inne. Auch eine Motacú-Palme und ein 20 Meter hoher Mara-Baum sind vertrocknet. Unter diesen Bäumen hat er Mais, Reis, Bananen, Maniok und Bohnen vor allem für die eigene Ernährung angebaut. So ist es bei den Tacana üblich, die Forstnutzung und Ackerbau verbinden.Don Camilo umgeben von angekohlten Bäumen, Foto: Arnaldo Muiba.
Die Brände im Norden von La Paz haben zwischen September und Dezember 2023 viele Felder zerstört. Doch dank Resten aufbewahrten Saatgutes, sprießen drei Monate später wieder die ersten Pflanzen. “Bald werden wir wieder Bananen ernten“, sagt Camilo voller Hoffnung.
“Selbst die Wurzeln haben gebrannt”
Die Fernsehbilder können kaum wiedergeben, was die Tacana durchmachen mussten, die entlang der Straße zwischen den Munizipien San Buenaventura und Ixiamas leben. “Alles war verbrannt“, fasst Mayra Cartagena, eine Nachbarin von Camilo, zusammen. “Selbst die Wurzeln hatten Feuer gefangen.
Während wir an der einen Stelle gelöscht haben, brannte es an anderer Stelle erneut. Das Feuer war nicht zu kontrollieren.”
Alle halfen beim Löschen mit. Selbst die Kinder, die Wasserbehälter füllten. Doch die Flammen breiteten sich selbst über Bachläufe hinaus aus. „Mit Kanistern und Töpfen sind wir dem Feuer entgegengetreten, konnten es aber nicht stoppen“, berichtet Mayra. Obwohl an die 400 Personen, Freiwillige, Parkwächter, Soldaten, Feuerwehrleute es zu löschen versuchten, trug der Wind die Flammen innerhalb weniger Minuten bis hin auf Bergzüge, die nicht erreichbar waren. Am Ende mussten viele Familien wegen dem erstickenden Rauch evakuiert werden.
Allein im Munizip San Buenaventura waren laut Daten der Verwaltung 1500 Familien und 50.000 Hektar Äcker und Wald betroffen. La Brava hat vier Tacana-Gemeinden besucht. Deren Bewohner*innen sind sich einig, dass es derart große Brände in ihrer Region nie zuvor gegeben habe. Laut Angaben des bolivianischen Verteidigungsministeriums lag La Paz mit 306.440 Hektar im letzten Jahr hinter Beni mit 1,9 Millionen Hektar und Santa Cruz mit 989.344 Hektar betroffener Flächen an dritter Stelle der Provinzen. Fachleute gehen davon aus, dass der Hauptgrund die extreme Trockenheit ab Juli gewesen ist.
In Buena Vista gingen laut Schätzungen der Bewohner*innen etwa 2000 Hektar Ackerproduktion verloren, 70 Familien standen vor dem Nichts. Wellbleche auf dem Boden zeugen von vier Wohnungen, die in Buena Vista abgebrannt sind. Camilo zeigt auf einen Platz, an dem eine Familie nachts vom Feuer überrascht wurde. „Sie haben sich irgendwie retten können, aber ihre Hühner und Enten sind im Feuer umgekommen.“
“An manchen Tagen gibt es nichts zu essen”
Zwei Monate nach den Bränden fehlen den Indigenen die Nahrungsmittel, die sie nicht ernten konnten. Und da es auch keine Überschüsse zum verkaufen gab, fehlt auch Geld. “An manchen Tagen gibt es nichts zu essen. Als Mütter müssen wir auf die Suche nach wenigstens einer Banane gehen, die wir kochen können,” berichtet Delmira Mamío, Präsidentin des Nachbarschaftskomitees von Bella Altura. Diese Gemeinde mit 56 Familien liegt 40 Minuten von Buenaventura und wenige Minuten von der Überlandstrasse entfernt. Was bleibt, ist Solidarität: Das Fleisch eines Wildtiers, das ein Bruder von Delmira erlegt hatte, wurde unter allen Familien der Gemeinde verteilt.
Eine Studie von Marielle Cauthin für die Bolivianische Plattform zum Klimawandel konstatierte den Verlust von 42 ortsüblichen Produkten durch die Waldbrände, vor allem Bananen, Mais, Maniok und Kakao. Zuvor hatte die Trockenheit bereits 40 unterschiedliche Nahrungspflanzen beeinträchtigt. Hinzu kommt der Verlust der Tiere, die wegen der Trockenheit oder den Waldbränden zu Tode gekommen sind. Und die, die überlebt haben, sind mager und geschwächt. Zudem wurden Wasserquellen von Asche kontaminiert oder sind ausgetrocknet. Die Fälle von Durchfall und Mangelernährung haben laut Santos Chamaro, Verantwortlicher des Gesundheitszentrums von Buenavista, zugenommen.
“Die Einnahmen haben sich verringert”
Als Aizar Terrazas seine Kaffepflanzen blühen sah, da war er noch sicher, dass die zweite Ernte im Februar 2024 reichlich sein würde. Beim ersten Mal hatte er 135 Kilo seines ökologischen Kaffees geerntet, danach erwartete er mehr als das Dreifache und damit einen guten Verdienst. Bei der Kaffee-Produktion waren er und andere Nachbarn durch ein Projekt der bolivianischen Regierung mit Setzlingen unterstützt worden. Doch die Waldbrände in Tumupasa, dem Zentrum des indigenen Territoriums „Tacana I“ machten seine Pläne zunichte. Das Geld hatte er unter anderem für den Kauf von Öl und Zucker vorgesehen, die er selbst nicht produziert, vor allem aber für das Studium seiner Tochter. “Die letzten vier Tage Feuer und Wind waren schrecklich. Davor schien mein Kaffee noch sicher zu sein, aber in einer Nacht hat das Feuer zugeschlagen.“ Die Brände erreichten die dorfnahen Äcker, vor allem aber die Kilometer entfernten Forstgebiete. Dort war es schwer, rechtzeitig zum Löschen zu kommen.
Die meisten Familien verarbeiten ihre produzierten Nahrungsmittel oder die Früchte des Waldes. Der Verkauf bringt zusätzliche Einnahmen. Eine dieser Initiativen wird von zehn Frauen in der Gemeinde Tres Hermanos angeführt. Aus Palmfrüchten stellen sie Seife her. Vor den Waldbränden verkaufte die sich gut in den Hotels des Nachbarmunizips Rurrenabaque, das vom Tourismus lebt. “Doch alles ist verbrannt“, berichtet Rufina Porcel, während sie zwischen den Chonta- und Motacú Plamen mit den vertrockneten Ästen geht. Über 20 Hektar sind verloren gegangen.
Auch die Bildung der Kinder wurde beeinträchtigt. Ohne das Geld für Schreibmaterial und Schuluniformen haben viele Eltern es vorgezogen, ihre Kinder zu Hause zu lassen.
Unterstützung kommt nur zögerlich
Luis Alberto Alipaz ist der Bürgermeister von San Buenaventura. Er sagt, er habe schon zu Beginn der Trockenperiode um Unterstützung nachgesucht, da die Eigenmittel des Munizips nicht ausreichen. “Das Vizeministerium für Zivilverteidigung brachte etwas Lebensmittel, aber nur für die Versorgung der ehrenamtlichen Löschteams. Und die Regionalregierung hat etwas Gerätschaft bereitgestellt und Unterstützung für die Versorgung von Wildtieren.”
Eine punktuelle Unterstützung für die Tacana-Gemeinden war auch das Saatgut der NRO „Soluciones Prácticas“. Das ist jetzt gesät, aber bis zur Ernte wird es noch dauern. Mais- und Reis-Saatgut gab es auch vom Vizeministerium für Zivilverteidigung, aber erst im Februar. Und das Bürgermeisteramt brauchte mehr als einen Monat, um es an die indigenen Organisationen und Siedlergemeinden weiterzugeben, damit die es verteilen. Auch die Munizipien von La Paz, Rurrenabaque und San Buenaventura schickten Hilfe.
“Der Wald ist aus dem Gleichgewicht geraten”
Laut Silvia Gallegos, Doktorin in Naturressourcen und Spezialistin für niedergebrannte Bergwälder dauert es etwa 50 Jahre bis die Flächen wieder mit Wald bedeckt sind. Aber um alle Schäden rückgängig zu machen, benötige es vier Jahrhunderte. Die Biologin Ariely Palabral erwartet, dass der fehlende Baumbestand dazu führen wird, dass die botanische Vielfalt und die Wassermenge in den Bächen zurückgehen wird. Tatsächlich haben die Tacanas seit dem Ende der Waldbrände ein Austrocknen der Quellen beobachtet.
“Ein Wurm vernichtet die Anpflanzungen”
Während Camilo in Buena Vista über seine Felder geht, zeigt er auf Reste von Gras, das er nach dem Feuer gesät hat, um damit sein Vieh zu ernähren. Das Gras wurde jedoch von etwa ein Zentimeter großen Würmern aufgefressen. “Diese Würmer sind nach den Bränden aufgetaucht, das erste Mal überhaupt hier“, versichert er. Es sind nicht die einzigen Schädlinge. Ein Kakaoproduzent von Tumupasa, berichtet, dass seit Jahresanfang der „Hexenbesen“ seine Plantage befallen hat. Das Insekt entzieht den Pflanzen die Flüssigkeit, so dass die Früchte schwarz werden. Früher “gab es nicht viele davon. Man konnte das kontrollieren und die Pflanzen haben produziert. Aber jetzt sind die Schädlinge außer Kontrolle geraten. Selbst im Urwald sind sie zu finden. Das muss an den Bränden liegen“, meint der Landwirt.
Die Fachfrau Gallegos sieht einen Zusammenhang mit dem Klimawandel und mit den Veränderungen des Waldes durch die Feuer. Tiere, die die Würmer fressen wurden dezimiert oder sind verschwunden. „Das Ökosystem ist durch die Abholzungen, die Trockenperioden, die Feuer und die Überschwemmungen aus dem Gleichgewicht geraten,“ so Gallegos. Und die Effekte würden sich noch verstärken. Der Botaniker Fuentes empfiehlt daher, auf widerstandsfähigere Arten zurückzugreifen, die zum Beispiel unter den wilden Kakao-Sorten im Madidi Nationalpark zu finden seien.
Zukunftsangst
Trauma und Angst sind die Gefühle, die die Tacana zum Ausdruck bringen. Den Wald brennen zu sehen und wie das Feuer die Dörfer umzingelte, hat vor allem auf die Kinder Wirkung hinterlassen. Als sie nach den ersten Tagen geschaut haben, was aus dem Wald geworden war, erzählt die Präsidentin der Frauenorganisation von Tres Hermanos, Mariela Chipunavi, hätten die Kinder geweint und es sei ihnen schwer gefallen die Asche der Pflanzen anzusehen, die sie selbst mitgeholfen hatten zu säen.
Bei einem Treffen des Verbandes der Tacana-Gemeinden in der Nähe von San Buenaventura fragten die Leute nach irgendeiner Hilfe, um mit diesen Gefühlen umgehen zu können. Sie fürchten, dass die Feuer in diesem Jahr noch verheerender werden, aber auch, dass sie wegen drohender Prozesse ihre Äcker nicht mehr brandroden könnten. “Wir sind Indigene, wir leben von unseren Feldern. Was wird aus uns, wenn wir nicht mehr roden können?“, fragt Alba Duval, Bewohnerin von Buenaventura besorgt. Die Brandrodung ist eine althergebrachte Technik der indigenen Gemeinden. Sie räumt die Felder schnell und billig. Sonst bräuchten sie Geräte, die sie nicht haben. Die Spezialistin Silvia Gallegos erklärt, dass kontrollierte Brandrodung durchaus möglich ist: Nachts, wenn wenig Wind und die Feuchtigkeit noch relativ hoch… und am besten begleitet von Regen. Während der Waldbrände war viel davon die Rede, dass Personen absichtlich Feuer gelegt haben. Die Tacana berichten selbst davon, dass sie Ortsfremde dabei gesehen haben.
Die Forstbehörde (ABT) hat 508 verwaltungsrechtliche und 44 Strafverfahren wegen Brandstiftung eröffnet, vier davon in San Buenaventura und 16 in Ixiamas. Üblicherweise haben die Indigenen für Brandrodung bei der Behörde die Genehmigung eingeholt, wenn die Fläche größer als drei Hektar war. Doch bei geringerer Fläche scheuten sie den bürokratischen Aufwand. Nay, Mitglied des Dachverbandes der Tacana-Gemeinden meint, dass die Gesetzeslage nicht ausreichend erklärt wurde. Der Generaldirektor der Forstbehörde, Franz Valdez, setzt dagegen auf stärkere Bestrafung. Seit 2021 habe man Fortbildungen angeboten, aber die Bevölkerung habe kein Problembewusstsein. „Irgendwann wird die Behörde müde zu informieren und Bewusstsein zu schaffen. Und so halten wir es für nötig, hart durchzugreifen“, bekräftigt er. Mit dem Gesetz 1525 vom März 2023 gibt es eine Strafandrohung von drei bis acht Jahren Gefängnis für Brandstifter. Doch das schreckt nicht ab, da man mit einem Schuldgeständnis die Inhaftierung umgehen kann. Derzeit sind zwei der 49 wegen Brandstiftung Angeklagten in Untersuchungshaft.
Die Forscherin Marielle Cauthin bezweifelt, dass die Bestrafung der Brandrodung die einzige Lösung zur Verhinderung der Waldbrände sei, zumindest wenn es sich auf Indigene oder Siedler beschränke. Das Hauptproblem sei das Entwicklungsmodell, dass sich seit 2015 mit Wucht im Norden von La Paz ausgebreitet habe.
Denn dieses Modell schaffe Anreize für die Erweiterung der Anbauflächen, so Cauthin. “Es ist ein kapitalistisches Modell der Enteignung, das sich mit Schock und Traumata durchsetzt.“ Es erziehe mit Gewalt, und deshalb sei auch die Lösung komplexer als nur die Kriminalisierung der Bewohner*innen der Region. Die Indigenen wiederum schlagen interne Kontrollen in den Gemeinden vor. Die würden auch erlauben, schneller zu reagieren. Aber sie wissen auch, dass die Feuer in der Vergangenheit in Zonen entstanden sind, die sie selber nicht kontrollieren. Für den Augenblick bleibt ihnen nichts anderes, als sich fortzubilden, um vorbereitet zu sein für die nächste Saison, von der sie hoffen, dass sie weniger desaströs ausfallen mag.
Der Text von Karen Gil wurde mit Unterstützung der Bolivianischen Arbeitsgruppe Klimawandel und Gerechtigkeit erstellt. In seiner spanischen Version wurde er von Mabel Franco bearbeitet und am 14. März in der Online-Zeitschrift La Brava veröffentlicht. Die Kürzung und Übersetzung ins Deutsche übernahm Peter Strack.
Zur Thematik siehe auch diesen letztjährigen Beitrag auf Latinorama zu den Yuki, sowie den Beitrag „Aufforsten statt Abbrennen“ über die Arbeit von CESATCH in Chuquisaca