Es wird bald nach Beginn meines Studiums 1980 gewesen sein, als ich meine erste LN in den Händen hielt. Zusammen mit der ila (damals noch: ila-info), der taz und anderen waren die Hefte im DIN-A5-Format aus Berlin eine unverzichtbare Quelle für Menschen, die sich der Solidaritätsbewegung mit Ländern in Lateinamerika und der Karibik zugehörig fühlten. Vor allem Nicaragua und El Salvador waren damals in aller Munde. 14 Jahre später erschien mein erster LN-Beitrag, eine Reportage aus Kolumbien.
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Die langjährige LN-Redakteurin Claudia Fix erinnerte letztes Jahr folgendermaßen an Hans-Christian Ströbele:
Als die Lateinamerika Nachrichten Anfang 2016 auf die 500. Ausgabe zusteuerten, war sofort klar, zu welchem Thema wir ein Dossier produzieren wollten: Solidarität! Tragen wir doch das „solidarisch” neben dem „kritisch und unabhängig” nicht nur im Untertitel, sondern sind als Zeitschrift und Kollektiv auch selbst ein Kind der internationalen Solidarität. Bei der Sammlung der Themen kamen wir sehr schnell auf eine Soli-Kampagne der 1980er Jahre, die den Älteren sehr geläufig, für die Jüngeren jedoch sehr befremdlich war: „Waffen für El Salvador”. Wie konnte eine solche Kampagne, mitten in Zeiten der Friedensbewegung und mit Unterstützung selbst kirchlicher Kreise, Spenden von fast fünf Millionen DM erhalten und zur finanziell erfolgreichsten Solidaritätsaktion der neueren Linken werden?
Untrennbar mit der Kampagne verbunden ist der Name von Hans-Christian Ströbele. Christian, linker Anwalt, Mitbegründer der Grünen und der taz, viermal erfolgreicher Direktkandidat für den Bundestag im Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain und mit seinen Markenzeichen roter Schal und Fahrrad als MdB dort bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund. Zu Zeiten der Kampagne war er im Vorstand des Vereins Freunde der alternativen Tageszeitung, dem damals die taz gehörte. In dieser Funktion verwaltete er auch das Konto für die immer − auch innerhalb der taz − sehr umstrittene Kampagne.
Einen Termin mit ihm zu finden, war leicht: Sehr gern ließe sich der MdB von den Lateinamerika Nachrichten zu der Kampagne interviewen, wurde uns ausgerichtet. So saßen wir dann, in angemessener Besetzung von jüngster und damals ältester LN-Redakteurin, etwas befangen in seinem Abgeordnetenbüro, das eher nach taz aussah: voller Bücher und handbeschrifteter Aktenordner. Christian konnte erzählen und das tat er gerne an diesem grauen Januarmorgen. Spannende Geschichten, aber auch fundierte politische Einschätzungen − nachzulesen weiter unten.
Als das Interview zu Ende war, wollten wir gerade aufstehen, als uns Christian leicht bestürzt fragte, ob wir denn von ihm gar kein Statement zu den Lateinamerika Nachrichten haben wollten? Doch, sicher, wollten wir, daran hatten wir nur nicht gedacht.
Hans-Christian Ströbele ist sehr bekannt für seine Arbeit in diversen Untersuchungsausschüssen und im parlamentarischen Kontrollgremium der Geheimdienste, auch sein Engagement für Edward Snowden. Weniger bekannt ist sein langjähriges parlamentarisches Engagement für Lateinamerika. Wenn er von seinen Reisen und seinen Begegnungen mit den Menschen in Lateinamerika sprach, strahlten seine Augen. Und dann erzählte er uns, dass er vor seinen Reisen immer die Berichte der LN zu den Ländern lese: „Denn da weiß ich, das ist eine Berichterstattung von unten, über die wirklichen Probleme. Das sind nicht nur Informationen von der Botschafterebene, denn die Botschaften verkehren ja meistens mit der Oberschicht.”
Am Ende unseres Interviews sprach Christian noch einmal über den Begriff der Solidarität, ein Leitmotiv seines Lebens. Für ihn war Solidarität vor allem „eine dringende Notwendigkeit, nach wie vor”. Aus dieser Haltung heraus unterstützte er nicht nur viele Jahre die Kampagne für El Salvador, sondern auch die Lateinamerika Nachrichten. Sehr gerne hätten wir mit Christian und seiner Frau Juliana Ströbele-Gregor, die ihre eigene Geschichte in der Redaktion hat, ein Interview zum fünfzigsten Geburtstag der LN geführt. Es hat nicht sollen sein. LN nimmt Abschied von einem großen Unterstützer und politischen Freund.
Hans-Christian Ströbele 2016 im Bundestag, Foto: Rainer Jensen, dpa
Und nun das schon erwähnte Interview aus dem Jahr 2016
von Claudia Fix und Mirjana Mitrovic:
Ihr Name ist eng mit der Solidaritätsaktion „Waffen für El Salvador“ verbunden, als Vorstand des Herausgebervereins der Tageszeitung (taz) und Verwalter des Spendenkontos. Aus welcher Motivation ist die Spendenaktion damals ins Leben gerufen worden?
Zunächst muss man sich erinnern, dass Lateinamerika damals, völlig anders als heute, im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit auch in Deutschland stand. Insbesondere deshalb, weil mit Unterstützung der USA, aber auch westeuropäischer Länder, grausame Diktaturen etabliert worden waren. Von Chile über Argentinien, Bolivien, Brasilien, Peru, in Guatemala oder El Salvador. In diesen Ländern entstanden unterschiedliche Formen der Volksbewegung und des Widerstandes gegen die Diktaturen.
In Uruguay die Tupamaros zum Beispiel, die für manche in der undogmatischen Linken eine Zeitlang Vorbild waren. In Nicaragua die Frente Sandinista, die dann nach einiger Zeit auch erfolgreich war. In den Nachbarländern Guatemala und El Salvador hat das sehr, sehr viel länger gedauert. Das waren grauenhafte Bürgerkriege mit schlimmen Massakern und Menschenrechtsverletzungen.
Nachdem in Nicaragua die Widerstandsbewegung gesiegt hatte, wandte sich die Militärregierung in El Salvador im Auftrag der Großgrundbesitzer mit unvorstellbarer Grausamkeit gegen die Bevölkerung. Und dann gab es ein spektakuläres Ereignis, das in der ganzen Welt wahrgenommen wurde: Die Erschießung des katholischen Erzbischofs Óscar Romero in der Kathedrale am Altar – der kein Linker, sondern ein Konservativer war, der sich aber für die Armen eingesetzt hatte. Das lenkte noch einmal mehr Aufmerksamkeit auf El Salvador. Dadurch bekam diese Kampagne „Waffen für El Salvador“, wir haben immer gesagt „Waffen für das Volk von El Salvador“, noch einen großen Schub.
Aus welchem Verständnis von Solidarität ist die Spendenaktion ins Leben gerufen worden?
Erstens wollten wir solidarisch sein. Aber für mich persönlich, und ich glaube für andere auch, ging es auch um die innerdeutsche oder innereuropäische Frage: Gibt es Situationen, in denen man Militanz und Waffengewalt gegen Unterdrücker anwenden kann oder muss? Es gab kaum eine Universität, in der nicht diskutiert wurde, wann und unter welchen Umständen das gerechtfertigt ist. Wir wollten ganz klar zeigen, wir sind auf der Seite des Volkes.
Das ging bis weit in die evangelische Kirche hinein. Helmut Gollwitzer, ein ganz berühmter evangelischer Theologe, hat hinterher sogar gespendet. Dass die Solidarität bis weit in die Bevölkerung hineinreichte, zeigte der völlig unerwartete finanzielle Erfolg. Ich glaube, das war die erfolgreichste Spendensammlung der neuen Linken nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland. Insgesamt waren über vier Millionen DM zusammengekommen.
Wie genau wurden die Spenden übergeben? Das war ja damals noch um einiges komplizierter als heute, oder?
Die Sammlung lief so ab, dass das Geld in US-Dollar umgetauscht und dann in bar übergeben wurde. Es gab Quittungen und die mussten die Comandantes der vier Guerillabewegungen unterschreiben, weil wir vermeiden wollten, dass nur ein Teil der FMLN-Bewegung das Geld bekam. Die Übergabe haben meistens taz-Redakteure gemacht.
Die Reisen gingen übrigens fast alle über Kuba, weil uns das sicherer erschien als über Miami. Von dort gab es einen Direktflug nach Nicaragua. Weil wir davon ausgingen, dass die Kubaner Verständnis dafür gehabt hätten, wenn man ihnen das erklärt oder ihnen vielleicht auch eine Quittung vom letzten Mal gezeigt hätte. Man müsste die Kubaner mal fragen, ob sie jemals festgestellt haben, was in den Plastiktüten drin war.
In einem anderen Interview mit Ihnen steht, dass Sie nicht glauben, dass Waffen mit dem Geld gekauft wurden, aber dass die Aktion „Mullbinden für El Salvador“ eben keine gesellschaftliche Provokation gewesen wäre. Glauben Sie tatsächlich, dass keine Waffen von den Spenden gekauft wurden?
Natürlich wurde gerätselt, was machen die denn mit dem Geld? Was ich von vielen gehört habe war, dass es nicht für Waffen ausgegeben worden ist, weil sie genügend Waffen hatten. Denn wenn sie Kasernen überfallen haben, haben sie Waffen erbeutet. Waffen waren auch in Mexiko oder sonstwo zu bekommen. Aber dass das Geld explizit für Waffen war, sollte ja Diskussion hier anregen.
Wie kam es dazu, dass auch Christ*innen für den „bewaffneten Kampf“ spendeten? Hatte das vor allem mit der Ermordung Romeros zu tun?
Wenn man jetzt sagt, das war nur, weil der Erzbischof Romero ermordet worden ist, dann stimmt das nicht. Er war ja nicht der einzige. Es wurde auch eine Gruppe von Nonnen ermordet, ganz grausam, in San Salvador. Und ein Jesuiten-Pater. Bischöfe, die der Kirche der Befreiung zugeordnet wurden haben, hatten es sehr schwer und wurden vom Papst nach kurzer Zeit versetzt. Die Repression richtete sich dort gegen alle, die auf der Seite der armen Leute und der Landbevölkerung waren. Der traurige und spektakuläre Höhepunkt war die Ermordung des Erzbischofs Romero, der letztes Jahr vom Papst selig gesprochen wurde.
Es ist heute unvorstellbar, dass so viele Menschen in Deutschland für Waffen spenden, und das zu Zeiten der damaligen Friedensbewegung! Gab es denn auch viel Kritik an der Kampagne?
Klar! Und wie! Das sollte ja auch so sein. Die Auseinandersetzung, ob die Sammlung nicht eingestellt werden sollte, wurde auch in der taz immer wieder heftig geführt. Natürlich waren viele zu Recht sehr kritisch, auch in der Redaktion selbst. Diese Stimmen hatten ihre Berechtigung, und wir mussten uns damit auseinandersetzen. Aber das ganze war auch Teil der Berichterstattung in der taz.
Warum hat die taz den Restbetrag an die Organisation Pro Búsqueda übergeben, die sich um die Suche nach während des Krieges verschwundenen Kindern kümmert?
Anfang der 1990er Jahre ist die Sammlung eingestellt worden. Ich glaube, etwas mehr als 2.000 Euro waren übrig geblieben. Aber das Problem war: Wer hat denn nun zu sagen, wer das Geld bekommt? Ich hab das immer wieder, auch bei der taz, versucht, zu thematisieren. Aber die hatten zu dem Zeitpunkt andere Sorgen. Also hat sich die Entscheidung über Jahre hingeschleppt. Irgendwann haben wir es dann so geregelt, dass die taz entschieden hat, wir geben das Geld an eine Gruppe in El Salvador. Da gab es mehrere, die zur Auswahl standen.
Dass Verschwundene gefunden werden müssen, hatte ja mit dem Krieg zu tun. Andere Länder, wie etwa Südafrika kamen nicht in Frage. Dazu fühlten wir uns nicht berechtigt. Und das Geld an die Leute zurückgeben? An wen? Das waren ja viele tausend Spender mit Spenden von fünf, zehn und viel höheren DM-Beträgen.
Was bedeutet für Sie generell Solidarität?
Es gibt ja berühmte Sprüche wie „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker“ und so, aber in diesen hohen Regionen will ich mich gar nicht bewegen. Solidarität ist eine dringende Notwendigkeit, nach wie vor, und ich bedaure – ich will das jetzt mal ganz böse formulieren – dass Solidarität manchmal eine Modesache zu sein scheint. Als ob es gar nicht an der Dringlichkeit des Engagements und des Problems hängt, dass man Solidarität übt oder sich überhaupt für andere Länder interessiert. Das darf eigentlich nicht sein.
Alte Texte neu gelesen – dieses Interview erschien im LN-Dossier 14 (Februar 2016) und wurde in der Jubiläumsausgabe 588 zu 50 Jahren LN erneut abgedruckt.
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