vonClaudius Prößer 12.10.2010

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Heute Nacht soll sie beginnen, die Bergung der 33 seit zwei Monaten in der Mine San José eingeschlossenen Bergleute. Dass die Rettungsaktion bald vorbei ist, möchte man nicht nur den Verschütteten und ihren Familien wünschen, sondern auch der chilenischen und der Weltöffentlichkeit. So präsent war Chile schon lange nicht mehr in den internationalen Medien – mit einem Thema, das menschlich so bewegend wie politisch irrelevant ist. Wobei: Politisch ist es natürlich schon, wenn eine glückliche Fügung – das Überleben der Bergleute und die Chance, sie wohlbehalten aus 700 Metern Tiefe an die Oberfläche zurückzuholen – von den Regierenden ebenso wie von den Medien bis zum letzten Tropfen ausgepresst wird. Die Livecams, Dauerreportagen, Hintergrundanalysen, 3-D-Animationen überstürzen sich seit Wochen, und immer nutzen Präsident Piñera und seine Minister jede sich bietende Gelegenheit, ihre Verdienste in dieser nationalen Angelegenheit zu unterstreichen.

Sicher: Die Kosten der Aktion sind immens und wurden von der Regierung nicht gescheut. Andererseits – hätte es sich ein Präsident leisten können, die 33 in ihrem unterirdischen Verlies sich selbst zu überlassen? Natürlich nicht. Und so macht Piñera daraus, was er ohnehin am besten kann: eine gigantische, symboltriefende Show. Er selbst will heute Abend bereitstehen, wenn – hoffentlich – die ersten Kumpel aus der Rettungskapsel steigen, die in den Werkstätten der chilenischen Marine maßgefertigt und zu allem Überfluss in den Nationalfarben weiß-rot-blau angemalt wurde. Mehr als ein Redakteur und Presseblogger hat in den vergangenen Tagen dann aber doch gewagt, die Frage zu stellen, ob das alles nicht eine propagandistische Verwurstung erster Güte ist.

Den vorläufigen Höhepunkt bildet die Verteilung eines täuschend echten Faksimiles des Zettels, der als erstes Lebenszeichen der Bergarbeiter bei den Bohrungen ans Licht kam. Er wird, wie eine Ikone gerahmt und mit dem Logo der Republik Chile versehen, an Staatsgäste und andere wichtige Menschen verschenkt. Piñera ist das ultimativ positive Symbol für seine Amtszeit in den Schoß gefallen, und er beutet es bis zum Erbrechen aus.

Bilder: La Tercera (ganz oben), dpa (oben), Blog elquintopoder (unten)

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https://blogs.taz.de/latinorama/symbolisch_bis_zum_erbrechen/

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kommentare

  • Ich stimme dem Autor zu, gebe aber zu bedenken, dass jede(r) andere Präsident(in) egal welcher Couleur das genauso gemacht hätte. Wichtig ist das 33 Menschen gerettet wurden. Da kann man dann mediale Ausschlachtung vielleicht auch hinnehmen. Vielleicht kann dieser Umgang mit Menschenleben ja auch Vorbild für andere Staaten sein, siehe China.

  • [..]hätte es sich ein Präsident leisten können, die 33 in ihrem unterirdischen Verlies sich selbst zu überlassen?

    Einer schon. Aber nicht der chilenische. Waren ja auch nur zwanzig, das macht dann immer im Jahr knappe 2600, aber wenn man genug hat…

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