Aber wie viel Chile steckt in “Ein Stück von Pina Bausch” (so der Arbeitstitel)? Den ersten Rezensionen nach zu schließen, eher wenig – aber ganz genau weiß das nur das Auge des Betrachters:
Es muss sehr heiß gewesen sein in Chile, wo Pina Bauschs neues Stück entstand. Und knochentrocken war’s wohl auch – so trocken, dass der weiße (Bühnen-)Boden Risse und gefährliche Spalten bekommt. (Ruhr Nachrichten)
Das Große Chile-Erdbeben von 1960 jedenfalls zeigt Pina Bausch nicht gerade. Einmal lässt sie ein wenig mit Kartoffeln werfen, aber vorsichtig, einmal halten die Tänzer offene Weinflaschen schräg über ihre Köpfe, aber kein Tropfen wird vergossen. Die noch titellose Szenenfolge ist nicht besonders chilespezifisch. (Frankfurter Rundschau)
(…) erklingen Lieder von Violeta Parra und Victor Jara, Ikonen der Nueva Canción Chilena. Jara wurde 1973 nach dem Putsch Pinochets gegen Allende verhaftet, gefoltert und ermordet. Der Name Victor wird leise aufgerufen in der dunkelsten Szene, als der Opfer der Militärdiktatur gedacht wird. Dominique Merci und die anderen Männer des Ensembles legen sich in einer Reihe zu Boden, jeder zieht sich eine raue Decke erst über den Körper, dann über den Kopf. Sie scheint endlos zu sein, die Kette der Toten. (Der Tagesspiegel)
Nur in Spurenelementen sind diesmal die Bezüge zum Koproduktionsland – sonst reich sprudelnde Bilder- und Assoziations-Quelle – nachweisbar: Eindeutig lediglich beim komischen Kurzbesuch einer mit Alpaca-Mützchen und Poncho ausgestatteten Figur, die einige Augenblicke auf einem Stuhl sitzt und mit Befremden dem pulsierenden tänzerischen Treiben auf der Bühne zuschaut. (nachtkritik.de)
Auch das Rauchen einer Zigarette und das reichliche Wasser-Trinken sind alte Pina Bausch-Topoi. Doch bekommen sie hier und jetzt einen neuen Sinn. Der Rauch steigt auf wie aus einem chilenischen Vulkan, und das reichliche Trinken, oft aus unmöglichen Lagen und unter seltsamen Verrenkungen, wird in der trockensten Wüste der Welt zur Überlebens-Notwendigkeit (…) ein großes Thema oder auch nur ein roter Faden fehlt; der eine oder andere Hinweis auf karge Lebensumstände, vielleicht sogar Pinochets Schreckensherrschaft, bleibt allzu blass. (Die Welt)
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=hR_AoUUCG_g[/youtube]
Noch Genaueres weiß nur Pina Bausch.
@simon
Ja, man sieht eben immer, was man sehen will. Da ist der weiße Boden mal wüstentrocken und dann wieder eine Eisfläche.
Dass Chile ausgerechnet von einer Figur mit “Alpaca-Mützchen” repräsentiert werden soll, kann es irgendwie auch nicht sein. Andererseits – wie stellt man ein “Land” tänzerisch dar, ohne fokloristische Klischees zu verwenden? Möglicherweise sind da noch viel mehr Verweise versteckt, nur merkt es keiner …
Grüße
Claudius