vonClaudius Prößer 11.05.2009

Latin@rama

Politik & Kultur, Cumbia & Macumba, Evo & Evita: Das Latin@rama-Kollektiv bringt Aktuelles, Abseitiges, Amüsantes und Alarmierendes aus Amerika.

Mehr über diesen Blog

Chile ist vernetzter als jedes andere lateinamerikanische Land, so viel steht fest. Die Dichte hochwertiger, also schneller Internetanschlüsse ist enorm, aber noch bleiben große Lücken in der Fläche. Vor allem ärmere Haushalte können es sich nicht leisten, sich das Netz ins Haus zu holen – aber jetzt hat sich Telefónica Chile, Tochter der spanischen Telefónica und landesweit größter Anbieter, etwas ganz Innovatives ausgedacht und seit Wochen aggressiv beworben: Banda Ancha Libre heißt es, sprich: Breitband für lau. “Surf gratis – und das für immer” lautet der Slogan, und beim Produkt-Launch in der vergangenen Woche war auch Pablo Bello da, Staatssekretär für Telekommunikation, der sich persönlich als Speer­spitze der Digitalisierung versteht und im Vorstand der Stiftung País Digital sitzt.

Screenshot: www.telefonicachile.cl

Inzwischen haben viele aufmerksame Blogger das Kostenlos-Internet analysiert (hier, hier oder hier) und als großen Schwindel gebrandmarkt. Dass man für einmal Modem-Kaufen à 29.900 Peso (knapp 40 Euro) mit­nichten einen lebenslangen Freipass ins WWW, sondern bloß ins Chilean Wide Web erhält, ist der Werbung zumindest noch klar zu ent­nehmen: Nur Sites mit der Länderkennung “.cl” kann man gratis an­steuern, da fällt das meiste, was heute so Spaß macht (von Youtube bis Facebook) oder Wissen schafft (wie Wikipedia) schon mal weg. Weniger deutlich erkennbar ist, dass sich der Zugriff auf dieses chi­le­ni­sche Intranet mit 300 kbps ehrlicherweise kaum als “Breit­band­zugang” be­zeichnen lässt. Richtig gemein wird es bei den Bedingungen, unter denen die Frei-Nutzer ihren Zugang temporär aufs Weltnetz ausdehnen und gleichzeitig beschleunigen können. Das wird nämlich ganz schnell ganz teuer, und hätte Telefónica nicht eine Kappungsgrenze bei 15.000 Pesos (30 Euro) pro Monat eingebaut, landeten die armen Billigsurfer ganz schnell in der Schuldenfalle.

Den ganz Armen bleibt für die Überwindung der “digitalen Kluft” immerhin der Gang in eines der vielen telecentros comunitarios, wo sie (auch bei uns in Puerto Montt) kostenlos ins Netz eingewiesen werden und surfen können – völlig kostenlos.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/latinorama/teuer_gratis_surfen/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert