vonPeter Strack 20.08.2024

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Noch bis zum 24. November ist in Venedig die 60. Kunstbiennale geöffnet. Dieses Jahr ist der Brasilianer Adriano Pedrosa der Kurator. Das Motto: „Ausländer*innen überall“ handelt von Prozessen der Migration und Dekolonialisierung. Es ist das Thema der Federkünstlerin Alexandra Bravo. Sie hat Bolivien in den ersten Monaten in Venedig vertreten. Russland, das selbst wegen dem Ukraine Krieg nicht in Venedig vertreten war, hatte Bolivien seinen Pavillón zur Verfügung gestellt.

Katalog und Gästebuch aus Venedig, Foto: P. Strack

„Eine gute Gelegenheit, die bolivianische Kultur bekannt zu machen“, so Bravo. Nach ihrer Rückkehr berichtete sie Latinorama in La Paz von ihren Erfahrungen auf der Bienale.

Von Alexandra Bravo

Im Pavillon werden Werke unterschiedlicher bolivianischer Künstler*innen wie Lorgio Vaca, Elvira Espejo, Inés Fontela, Ronald Moran, Humberto Vélez und von 20 Preisträger*innen des Abaroa-Kulturwettbewerbs ausgestellt. Ich selbst habe habe eine Installation von vier Mobiles nach Venedig mitgebracht.

An dem größten hängt eine lange Wurzel. Sie visualisiert den Titel der Ausstellung: „Entwurzelt“. Hinzu kamen aus Federn gestaltete Bilder zum Thema der bolivianischen und lateinamerikanischen Migration nach Europa, sowie mein 2017 in La Paz bei Plural Editores veröffentlichtes Buch „Mal del País“. (Siehe auch dieses vorherige Testimonial von Bravo im Latinorama-Blog)

Entwurzelt, Installation von Alexandra Bravo, Foto: Soraya Gautier Guillet

Das lässt sich mit Nostalgie übersetzen. Das hat nichts mit Chauvinismus oder Patriotismus zu tun. Es geht auch nicht nur um Heimweh im geographischen Sinne und die Erinnerung an die Lebensweise, mit der man sich identifiziert. Sondern vor allem geht es um den Schmerz, der entsteht, wenn man einem nahestehende, geliebte Personen vermisst und keinen Bezug mehr zum historischen Kontext hat. All das habe ich auch in kleinen Vorträgen erklärt.

Allegorische Kostüme zum Anprobieren, Foto: Soraya Gautier Guillet

Kostüme für die Interaktion mit dem Publikum

Um mit dem Publikum zu interagieren hatte ich 20 verschiedene Kostüme meiner Sammlung „Marke Land“ mit Allegorien von geographischen Orten und Kulturen Boliviens mitgebracht. Die konnten die Besucher*innen anprobieren und sich damit fotografieren lassen. Eine davon war eine argentinische Sängerin, Clara Collet. Mit ihr organisierte ich dann auch gleich für den nächsten Tag einen Gesangsvortrag mit dem Lied „Rückkehr“ der bolivianischen Komponistin Matilde Casazola. Sie trug dabei ein Kostüm, das den Sajama-Vulkan, den höchsten Berg Boliviens darstellt.

Alexandra Bravo mit Besuchsgruppe, Foto: Soraya Gautier Guillet

Daniel Benoit, ein uruguayischer Kritiker schrieb: “Es ist schön, diese Ausstellung von lateinamerikanischen Federn, Widerstand und Kunst zu sehen und sich mit einer lateinamerikanischen Schwester zu treffen. Es ist eine herzerwärmende künstlerische Umarmung in diesen kalten Tagen”. Von morgens 11 Uhr bis abends 19:00 Uhr war ich in der Ausstellung und am Ende vor lauter Reden ganz heiser.

Es kamen internationale Delegationen aus der Schweiz, Russland, China usw.. Einen ganzen Morgen habe ich auch mit einer Schulklasse aus Köln verbracht. Und zahlreiche Gespräche mit lateinamerikanischen Künstler*innen haben mich motiviert, ein kontinentales Projekt zur Federkunst in den ALBA-Staaten (Bolivarianische Allianz für die Völker Amerikas) und darüber hinaus zu organisieren.

Federn gehören zur amerikanischen Identität

Denn es gibt nur wenige Künstler*innen, die mit Federn arbeiten. Sie gehören aber zur amerikanischen und bolivianischen Identität dazu. Mir geht es darum, ihren Wert als Ausdrucksform unverstandener Hochkulturen zurückzugewinnen. In der Kolonialzeit wurde die Feder als Zeichen fehlender Zivilisation angesehen. Federn trugen die vermeintlichen Wilden. Und das ist teilweise haften geblieben.

Federn gehören zur amerikanischen Identität, Foto: Soraya Gautier Guillet

Als ich Kinder im bolivianischen Tiefland bat, ihre Federkronen aufzusetzen, antworteten sie mir. „Meine Großeltern haben Federn getragen, aber ich bin kein Wilder mehr, sondern zivilisiert.“ Erst als die Schamanen, die Herren dieser Tradition diese traurige Reaktion sahen, erlaubten sie, dass auch eine Frau mit Federn arbeiten dürfe und zeigten mir ihre Geheimnisse.

Allerdings verwende ich aus unterschiedlichen, vor allem aber ökologischen Gründen und aus Respekt vor der Natur keine Federn wild lebender Vögel. Denn Schmuggel mit exotischen Tieren bedroht die Existenz vieler Vogelarten. Dass ich nur Federn von Stalltieren verwende ist auch ein Aufruf, den Amazonas als einer der letzten Sauerstofflungen der Welt zu retten.

Die Ausstellung auf der Biennale ist noch bis zum 24. November geöffnet, allerdings inzwischen ohne Begleitprogramm.

Foto: Soraya Gautier Guillet

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