vonPeter Strack 24.02.2016

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Eine gute Nachricht zu Beginn: Nach Ende des Referendums zur Verfassungsänderung für eine erneute Wiederwahl von Evo Morales kann nicht nur der Präsident sich erst einmal wieder ganz dem Regieren widmen. Ob auf Kabinettsebene oder in den unteren staatlichen Instanzen: Die vergangenen Monate waren vom Wahlkampf beherrscht. So waren zahlreiche Posten der Kinderschutzbüros und Anlaufstellen für Gewaltopfer monatelange unbesetzt geblieben. Manche Einrichtungen ganz geschlossen, während die Frauenmorde zunahmen. Und diejenigen, die eingestellt waren, waren immer wieder und rechtswidrig zu Wahlkampfveranstaltungen abkommandiert worden. Dumm, wenn wie in Cochabamba die entsprechende Instruktion nicht an den MAS-Gouverneur, sondern die oppositionelle Stadtregierung geschickt wurde. Mancherorts durfte die Sekretärin Wache schieben, damit in der Presse nicht von unbesetzten Büros die Rede sei.

SAM_7726Zaghafte Versuche des Wahlgerichtshofs, ein wenig mehr Chancengleichheit herzustellen und die Sendezeit für Propagandaveranstaltungen zeitlich zu begrenzen, waren vom Verfassungsgericht ausgebremst worden – die Informationsfreiheit sei gefährdet. Auch die Wahlbeobachter der Organisation Amerikanischer Staaten kritisierten das finanzielle wie mediale Übergewicht der Regierung und fehlende Chancengleichheit.

So waren nicht nur die staatlichen Medien selbst am letzten Tag vor der Abstimmung, wo Schweigen gelten sollte, voll von Regierungspropaganda. Ob die Einweihung der ersten Phase des Baus von Wassertanks in einer abgelegenen Bergregion mit Vizepräsident Álvaro García Linera nicht auch zwei Tage später hätte stattfinden können? Jedenfalls wurde sie umfassend und live im Fernsehen übertragen. Den Fußtruppen des Präsidentengespanns war es auch gelungen, in La Paz noch die letzten Graffiti gegen eine Verfassungsänderung mit Gekritzel unleserlich zu machen oder mit einem grünen „Ja“ zu übermalen.

Wie als Beweis für die Kritik der Opposition an fehlender Gewaltenteilung und immer enger werden Spielräumen für abweichende Meinungen. Trotzdem setzte sich am Regierungssitz La Paz am Ende deutlich das „Nein“ durch, während in Quillacollo zwar hunderte Meter lang das rote Nein mit zum Teil vollkommen ueberzogenen Parolen wie „Nein zur Diktatur“ auf die Wände gepinselt war, am Ende jedoch das „Ja“ zu einer möglichen Wiederwahl von Morales die Oberhand hatte. Wahlpropaganda ist offensichtlich nicht alles und die Bevölkerung mit mehr kritischem Bewusstsein ausgestattet, als manche Politiker glauben mögen.SAM_7738

In El Alto, das nach der Abwahl des korrupten MAS-Bürgermeisters bei den letzten Kommunalwahlen nun von der Partei des Unternehmers Doria Medina regiert wird, hatte diesmal jedoch wieder der MAS das Sagen. Und das, obwohl kurz vor dem Referendum sich Provokateure und Mitglieder der wegen Korruptionsvorwürfen abgewählten Vorgängerregierung unter eine Gruppe protestierender Eltern gemischt hatten, dabei gewaltsam in das Bürgermeisteramt eingedrungen waren und Möbel und Akten aus dem Büro entwendet hatten, auch aus dem Büro, das die Korruptionsvorwürfe prüfen sollte.

Im Eingangsbereich war das Material angezündet worden. Die drei Straßenecken entfernte Polizeizentrale weigerte sich jedoch, ohne schriftliche Anfrage einzugreifen. Und als diese inmitten des Chaos geschrieben und übergeben wurde, dauerte es noch einmal über ein Stunde, bis Verstärkung eintraf. Da waren sechs MitarbeiterInnen des Bürgermeisteramts bereits an den Rauchschwaden erstickt. Selbst der Vize-Innenminister Marcelo Elío, der laut Informationen der Journalistin Amalia Pando schon vor dem Ausbruch der Gewalt vor Ort war und das Geschehen verfolgte, mochte seine Kompetenzen nicht nutzen und die Polizei zur Hilfe anweisen, sondern sprach stattdessen von einem angeblichen Eigenattentat der Stadtverwaltung. Er beschuldigte die Verwaltung, zum Schutz der Akten die Opfer nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht zu haben.

Dass das Ja zur Verfassungsänderung für eine Wiederwahl von Evo Morales in El Alto trotz all dem eine deutliche Mehrheit bekommen hat, die auch kaum geringer ausfiel als in den Umfragen zuvor, gehört zu den Besonderheiten der Abstimmung. Immerhin war der Polizeichef abgelöst und waren Vertreter des MAS als mutmaßliche Autoren der Übergriffe in Untersuchungshaft genommen worden.

Eindeutig war dagegen das Nein in der Stadt Potosí, deren Sprecher des Buergerkomittes bei dem wochenlangen Konflikt im vorigen Jahr von der Regierung ignoriert und als Vertreter der USA oder Rechten ohne soziale Basis bezeichnet worden waren. Über 85% der Bevölkerung stimmten in der Bergwerksstadt nun gegen die Verfassungsänderung. So macht es sich der Vizepräsident etwas einfach bei seiner Wahlanalyse: Dort wo Nein gestimmt worden sei, seien die Menschen reich, dort, wo sie Ja gestimmt hätten, arm. Gewagt angesichts der wirtschaftlich kritischen Situation im krisengeschüttelten n Potosi. Auf Departamentsebene setzte sich das Ja nur in Cochabamba, La Paz deutlich und in der früheren MAS-Hochburg Oruro knapp durch, dies vor allem mit den Stimmen der ländlichen Gemeinden.SAM_7736

Während Oppositionsgruppen am Wahlabend aufgrund von Meinungsumfragen nach der Stimmabgabe und einer Schnellauszählung der Wahlakten, die einen Vorsprung von 2 bis 4 Prozent der Stimmen für das Nein ergaben, bereits zum Feiern auf die Straßen gingen, sprach Vizepräsident Alvaro García Linera, der anstelle des angekündigten Evo Morales zur Pressekonferenz kam, von einem technischem Patt und war zuversichtlich, dass das Ja nach der Auszählung durch den Wahlgerichtshof und „drastischen Veränderungen“ am Ende vorne liegen würde. Die Feiern seien verfrüht und Teil der Schmutzkampagne der Opposition, die den Wahlgerichtshof unter Druck setzen wolle.

Als Schmutzkampagne und Intrige der USA versuchte die Regierung auch die Meldung des Journalisten Carlos Valverde zu relativieren. Der hatte öffentlich gemacht, dass in der Leitung der Dependance einer der wichtigsten multinationalen Konzerne aus China in Bolivien eine 29-jährige Frau sitzt, mit der der Präsident in den ersten beiden Regierungsjahren eine Beziehung hatte. Und dass dieser Konzern wie inzwischen üblich zumeist ohne Ausschreibung Großaufträge des Staates im Umfang von mehreren hundert Millionen Dollar bekommen hat.

Nach dem Tod eines gemeinsamen Sohnes im Jahr 2007 habe er Gabriela Zapata nicht mehr gesehen, beteuerte Morales, um den Korruptionsverdacht auszuräumen. Bis im Internet dann ein Foto auftauchte, das ihn Jahre später mit ihr zusammen auf dem Karneval von Oruro zeigte. Unabhängig davon, ob und wer welche Beziehungen zu wessen Gunsten genutzt hat, spülte der Fall ein Phänomen an die Oberfläche, dass der Glaubwürdigkeit der Regierung nicht minder schädlich ist. Auf ihrem Facebook-Account outete sich Zapata, die zwar als Doktorin unterschreibt, aber keinen Berufsabschluss hat, als glühende Verehrerin von Evo Morales und dem Prozess des Wandels.

In Zeitungsbeilagen präsentiert sie sich als elegant gekleidete, erfolgreiche Jungunternehmerin, auch in der von ihr bewohnten Villa in einem der reichsten Viertel von La Paz. Wie auch immer ihr kometenhafter Aufstieg aus mittelständischen Verhältnissen zu erklären ist: Sie ist das derzeit sichtbarste Beispiel einer neuen Bourgeoisie, die sich im Umfeld der Regierungspartei etabliert hat.

Als sich Evo Morales am Tag nach dem Referendum dann selbst zu Wort meldete, mahnte er auch eine Debatte zum Internet an, das mit Falschmeldungen und unbelegten Unterstellungen Regierungen stürzen könne und menschliche Werte untergrabe. Was er dabei nicht in Betracht zog: dass Regierungsvertreter selbst und ueber das Fernsehen ständig unbelegte Behauptungen ueber Andersdenkende verbreiten, ohne dass es irgendwelche Konsequenzen haette. Und dass das Internet um so mehr Raum gewinnt, je weniger Platz es für politische Debatten und die Auffassungen Andersdenkender in den Massenmedien und innerhalb der politischen Parteien gibt.

Je enger die Ergebnisse bei der Endauszählung wurden, desto nervöser wurden Befürworter und Gegner der Verfassungsänderung. Wiederholte Ausfälle der Internetplattform und eine teilweise sehr stockende Auszählung bekräftigen Sorgen. Die Walhbehörde beteuerte eine transparente Auswertung. Insbesondere die Gegner befürchteten Wahlbetrug. Wie nie zuvor waren Fotos von den Auszählungsergebnissen in den Wahllokalen gemacht worden, um diese mit den Endergebnissen zu vergleichen.

Nicht ganz unbegründet: Bei früheren Wahlen hatte es dort, wo es eng wurde, etwa bei der 3% Klausel für die Ökopartei, bei der 2/3 Mehrheit im Parlament oder den Gouverneurswahlen in Chuquisaca kleine Manipulationen gegeben. Indem die Präsidentschaftsstimmen, nicht die Parteistimmen als Grundlage der Sperrklausel interpretiert wurden, in dem eine Wahlakte für nichtig erklärt wurde, weil es nicht sein könne, dass der indigene Präsident in einer indigenen Gemeinde keine Mehrheit erhalte.

Oder indem in Chuquisaca die Stimmen des kleinen FRI komplett annulliert wurden, weil er keinen Gouverneurskandidaten vorweisen konnte. Rechtswidrig, wie später geklärt wurde, weswegen auch das Wahltribunal den Hut hatte nehmen müssen. Aber rückwirkende Korrekturen sieht das Wahlgesetz nicht vor, so dass seitdem der Morales nahestehende Gouvaneur sein Amt ausübt, während der knapp unterlegene ebenfalls kleinbäuerliche Kandidat mit einer Korruptionsanzeige in Untersuchungshaft sitzt.

Auch diesmal hatte es Versuche von Unregelmäßigkeiten gegeben, wie die vorherige Markierung von Wahlzetteln beim Ja, oder absichtliche Fehler beim Unterschreiben der Wahlakten, um bei nicht gewolltem Ergebnis eine spätere Annullierung zu provozieren. Aber laut internationalen Wahlbeobachtern waren dies Ausnahmefälle. Wohl aber wurde eine gründliche Revision des Wahlregisters eingefordert, so wie von der Opposition schon lange gefordert.

Zwei Tage nach der Wahl war es dann soweit. Mit 51 Prozent an Nein-Stimmen war die Verfassungsänderung abgelehnt. Kein Sieg allein der traditionellen Rechten, keine Niederlage des tiefgreifenden Wandlungsprozesses, den Evo Morales und die ihn tragenden sozialen Organisationen vor zehn Jahren in Angriff genommen hatten. Eher die Chance für Kurskorrekturen und die Abkehr von einem zunehmend autoritären Regierungsstil. Schon am Wahlabend hatte der Bürgermeister von La Paz, Luis Revilla, gefordert, nun sei Erneuerung angesagt, sowohl bei der Regierungs-, wie auch bei den Oppositionsparteien.

Gestärkt worden durch den für Morales gescheiterten Versuch, die Verfassung zu ändern, sind eher die sozialen und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Nur das Staatsfernsehen Bolivia TV fuhr kurz vor Mitternacht, als das Ergebnis endlich klar war, immer noch mit der Übertragung von aufgezeichneten Interviews und Stellungnahmen fort, nachdem die Stimmen der Bauern noch fehlen und das Ja sicher gewinnen würde. Anscheinend war die neue offizielle Lesart der Ereignisse noch nicht kommuniziert worden.

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