vonHildegard Willer 01.08.2014

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Am 4. Juni 2014 wurde in Lima ein Museum eingeweiht, das noch gar kein Museum ist. Die neue Gedenkstätte für die Opfer des peruanischen Bürgerkrieges der 80er und 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts erhebt sich wuchtig  an der Steilküste  im Nobelviertel Miraflores. Eine grosse Esplanade bietet einen wunderschönen Ausblick auf den Pazifik; dort finden seit Juni Konzerte und im Auditorium Filmvorführungen statt. Das Museum selber ist noch nicht eingerichtet – bis heute ist es ein Politikum, wie und welcher Opfer das offizielle Peru gedenken,  und wer vielleicht gar als Täter gebrandmarkt werden soll.  Dabei hat die offizielle Wahrheitskommission schon vor 11 Jahren festgestellt, wie viele vor allem indigene Bauern und Bäuerinnen dem Gemetzel zwischen Leuchtendem Pfad und der peruanischen Armee zum Opfer gefallen sind: 70.000.

Eine Zahl, die heute den meisten Peruanern wenig sagt, am allerwenigsten den Bewohnern von Miraflores, wo das Museum steht.  Vor vier  Jahren hatte BMZ-Minister Dirk Niebel auf einer Peru-Reise den Grundstein für das Museum gelegt – die Bundesrepublik hat das Museum zu Beginn fast vollständig finanziert (der Beschluss dazu stammte noch aus den Amtszeiten der SPD-Ministerin Wieczorek-Zeul).  Bis heute deckt der peruanische Staat erst 30 Prozent der Kosten für das Museum – und das, obwohl Peru in Geld schwimmt und viele Regionen ihren neuen Geldsegen aus den Bergbauabgaben gar nicht umsetzen können.  Das geringe Interesse der peruanischen Regierung für die Aufarbeitung des jüngsten Bürgerkrieges ist nur ein Spiegelbild dessen, wie der grösste Teil der peruanischen Gesellschaft statt schmerzhafter Erinnerung lieber Erlösung im neuesten Einkaufszentrum sucht.

Abseits der grossen Politik haben jedoch in den letzten Jahren vermehrt junge peruanische  Schriftsteller, Maler und Filmemacher sich mit der Aufarbeitung der jüngsten Gewaltgeschichte ihres Landes beschäftigt.  Man denke nur an die preisgekrönten jungen Literaten Daniel Alarcón oder Santiago Roncagliolo. Immer noch eine Seltenheit sind die von Betroffenen selber verfassten literarischen oder künstlerischen Werke –  in der Regel  stellen die „Opfer“ mit ihren mündlichen Zeugnissen das Material für die künstlerische Verarbeitung und Kritik durch zwar engagierte aber auch nicht persönlich betroffene Dritte.

Heeder Soto ist beides: Betroffener und Künstler. Er hat seinen Vater im Bürgerkrieg in Ayacucho verloren, hat sich bereits als Jugendlicher für die Sichtbarmachung des Geschehenen und für die rechtliche Aufarbeitung eingesetzt.  In seinem ersten Dokumentarfilm „Caminantes de la memoria“ (Wanderer der Erinnerung) lässt er gleichaltrige Betroffene und Täter zu Wort kommen, heute 30-40-jährige Männer (und wenige Frauen), die als Kinder Zeugen der Gewalt wurden, aus ihren Heimatdörfern vertrieben wurden, und als Kinder bereits  auf dem schmalen Grad zwischen Täter und Opfer zu balancieren gelernt haben.  Der Film zeigt, dass Aufarbeitung auch bedeutet, den langen Weg zurück ins Heimatdorf zu gehen, den Mut zu haben, alte Stätten erfahrener Gewalt wiederzusuchen, auf der Suche nach Heimat und Versöhnung.

Der Film „Caminantes de la Memoria“ wird am 8. August um 19 Uhr im Haus der Demokratie und der Menschenrechte in Berlin gezeigt.

Caminantes de la Memoria– ein Dokumentarfilm über die Postkonfliktsitutation in Peru. Verschiedene Akteure kommen zu Wort; Täter, Kinder von TäterInnen, Opfer, Kinder von Opfern und MenschenrechtsaktivistInnen. Ein Film, der eine bisher unbekannte Seite Perus zeigt.

Heeder Soto (Filmemacher aus Ayacucho/Peru), zur Zeit (noch!!) in Berlin lebend, hat seinen Film „Caminantes de la Memoria“ fertiggestellt und lädt uns ein, ihn gemeinsam zu sehen und im Anschluss zu diskutieren. Es wird der erste preview sein, bevor der Film auf internationale Festivals geht!! Der Film dauert 73 Minuten und ist in spanischer Sprache gedreht.

Wann: 8. August 2014 ab 19 Uhr

Wo : Haus der Demokratie und Menschenrechte im Havemannsaal (Greifswalderstr. 4, mit Tram 4 bis Am Friedrichshain), Berlin

Heeder Soto ist Künstler, Anthropologe, Filmemacher und Menschenrechtsaktivist.

 

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kommentare

  • Der groesste Teil der peruanischen Bevoelkerung hat leider keine Teilhabe an diesen Schwimmbecken voller Geld. Und kann deshalb auch nicht Erloesung in den Einkaufszentren suchen.
    Ich wuenschte mir ein bisschen weniger europaeische Arroganz und ein bisschen mehr kritische Reflexion im Hinblick auf unsere eigene Aufarbeitungsphase, bevor mit erhobenem Zeigefinger mangelnde Moral angeprangert wird. Jene naemlich ist auch bei uns noch nicht vollendet, wie die aktuellen Israel-Diskussionen in Deutschland bezeugen. Nur hatten wir Deutschen es leichter bei der Identifikation des Hauptschuldigen.
    Wer die Ausstellung „Yuyanapaq. Para recordar“ im Museo de la Nacion unvoreingenommen besucht und mit den Menschen in Peru darueber spricht, erkennt das Dilemma:
    So lange die jetzige Elite auf den Sesseln der Macht sitzt, wird es keine objektive Aufarbeitung geben koennen. Und so bleibt den juengeren Generationen hier auch nur die Flucht nach vorn.

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