Üblicherweise steht ja der US-Gesandte wegen „Einmischung in innere Angelegenheiten“ in der Kritik der bolivianischen Regierung. Diesmal traf es auch den deutschen Botschafter Matthias Sonn. Der hatte gemeinsam mit anderen EU-Diplomaten die Redaktion der Tageszeitung Página Siete besucht. Um seine Unterstützung der unabhängigen Presse Ausdruck zu verleihen, wie der Botschafter twitterte.
„Unwürdig und unakzeptabel“ sei der Besuch, so Präsident Evo Morales während einer Ansprache in Cochabamba. „Die Botschafter haben das Recht, diplomatische Beziehungen zu pflegen. Sie dürfen sich jedoch nicht in politische Fragen einmischen.“ In Bolivien gelte das andine Prinzip, immer ehrlich zu sein. Doch die Botschafter verteidigten unter dem Vorwand der Pressefreiheit „die Lüge“. Außenminister Fernando Huancanuni legte noch einen drauf: Die einzige Aufgabe der Botschafter seien zwischenstaatlichen Beziehungen. Das Staatsverständnis der derzeitigen Regierung scheint schon seit geraumer Zeit auf sie selbst beschränkt zu sein. Später schwächte die bolivianische Staatsführung ihre Interpretation diplomatischer Gepflogenheiten ab: Kontakte der Botschaften zur Zivilgesellschaft seien doch möglich, dies aber nur, wenn sie über das Außenministerium kanalisiert würden.
Nun ist es umgekehrt keineswegs so, dass die bolivianischen Botschafter bislang in Deutschland alle ihre Kontakte mit Wirtschaft oder Zivilgesellschaft, seien es Besuche bei NRO oder Auftritte bei Diskussionsveranstaltungen, beim Auswärtigen Amt beantragt hätten.
Doch bei der bolivianischen Regierung scheinen die Nerven derzeit blank zu liegen. Bei einer jüngsten Meinungsfrage, die von Página Siete veröffentlicht wurde, wandten sich 75% der Befragten gegen die Möglichkeit einer unbegrenzten Wiederwahl des Präsidenten. 60% hielten es darüber hinaus für illegal, wenn das Verfassungsgericht dem derzeit laufenden Antrag stattgeben würde, die entsprechenden Beschränkungen in der Verfassung aufzuheben. Die Regierung vertritt die Auffassung, die Begrenzung der Wiederwahl auf zwei Amtsperioden verletze die individuellen politischen Rechte. Und die Ergebnisse der Meinungsumfragen spiegelten nicht die Meinung des Volkes wieder.
Die findet sich in dieser Lesart eher auf dem Twitter-Account des Präsidenten. Der heißt auch passenderweise „Evoespueblo“. Die Nachricht, dass dieser deutlich weniger Follower habe, als der des Ex-Präsident Carlos Mesa, sei eine der Lügen von Página Siete, kritisierte die Informationsministerin. Den Twitter Account von Evo Morales gebe es nämlich erst viel kürzer, so Gisela Lopez. Und außerdem seien die Hälfte der Abonnenten von Carlos Mesa keine „echten“ Follower. Ohne allerdings zu erklären, wie sie zu dieser Einschätzung kommt, um die Zeitung deshalb der Verbreitung von Unwahrheiten bezichtigen zu können. Unklar ebenfalls, was unter einem „echten“ Follower zu verstehen sei.
Vöglein, Vöglein auf dem Screen, wer ist als der Beliebeste im ganzen Land anzusehen?
Die hohe Zahl der Konterfeis des Präsidenten auf Plakaten, Schulcomputern, Gondeln des öffentlichen Nahverkehrs und in der Öffentlichkeit allgemein, sei ein Ausdruck der Schwäche der Demokratie, meinte ein deutscher Fotograf, als er Bolivien Anfang des Jahres besuchte. So gesehen ist die jüngste Anordnung der Regierung, die Größe des Bildes von Evo Morales auf den Informationstafeln der Straßenbaubehörde zu vervielfachen (siehe Artikel-Bild), kein gutes Zeichen. Vielleicht wäre es wirksamer für das Ansehen, Evo Morales würde seine Minister anweisen, bei Pressekonferenzen, im Staatsfernsehen, auf Werbetafeln und Twitter-Accounts weniger Attacken gegen Botschafter, die wenigen verbliebenen kritischen Medien oder politische Gegner zu reiten, und dafür mehr die Alltagsprobleme der Menschen sowie inhaltliche Debatten um soziale und politische Fragen in den Mittelpunkt zu stellen. Und dazu gehören sicher auch eine offene Debatte mit Andersdenkenden über unterschiedliche Vorstellungen von Demokratie und divergierende internationale Interessen.
Fotos: Página Siete. Neues Design (Titelbild) und altes Design (letztes Foto), Computer des Bildungsministeriums für Schulen (vorletztes Bild), Tweet des deutschen Botschafters vom Besuch bei Página Siete (erstes Foto im Text).