vonPeter Strack 02.04.2022

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Bei den Antennen in Ciudad Satélite in El Alto hat der „Brazo Social“, das Sozialwerk des bolivianischen Fernsehsenders RTP, eine Gesundheitsmesse organisiert. An zahlreichen Ständen wird Blutdruck gemessen, werden Ernährungsratschläge gegeben, beweisen Polizeihunde ihre Fähigkeiten, um Menschen aufzuspüren, wird Naturmedizin verkauft…
Nachdem sie sich bei einem Gymnastiktanz mitbewegt hat, stellt mir die TV Moderatorin Marisol Diaz von RTP einen weiß gekleideten älteren Mann mit breitkrempigen Hut vor, mit dem sie früher einmal eine wöchentliche Sendung zu Ernährung und Gesundheitsfragen moderiert hat. Cancio Mamani Lopez müsse ich unbedingt kennenlernen, sagt sie. Der Anthropologe, Journalist und Heilkundige präsentiert gerade am Stand seinen Tokosh, eine weiße dickliche Masse aus fermentierten Kartoffeln. Die, sagt der ehemalige Vizeminister für Dekolonialisierung der Regierung von Evo Morales, kann die Folgen von Alzheimer und Parkinson kontrollieren. Und als probiotisches Nahrungsmittel heile es diverse Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts. Gründe genug, ihn nach seiner derzeitigen Arbeit aber auch seiner Herkunft zu befragen.

Gut bei Parkinson, Alzheimer oder Gastritis: Cancio Mamani mit seinem Tokosh,   Foto: P.Strack

CML: Ich bin in der Provinz Pacajes mitten im bolivianischen Altiplano in der Nähe von Charaña, nahe der chilenischen und peruanischen Grenze geboren. Es ist die kälteste Region Boliviens überhaupt. Dort gibt es viele Lamas, Alpacas, Viscachas, Rebhühner oder Meerschweinchen. Sie sind das Hauptnahrungsmittel.

Und Kartoffeln?

CML: Kartoffeln gedeihen dort nur schlecht. Die Gegend liegt mehr als 4000 Meter über dem Meeresspiegel. Wir versuchen es im kleinen Rahmen trotzdem.

Und wie kamen Sie zur Medizin?

CML: Als ich zwölf war, starb mein Vater an Malaria, die er vom Koka-Anbau im Tiefland mitgebracht hatte. Zusammen mit meinen beiden Brüdern. Alle drei starben an Malaria und ich wurde Waise. Meine ältere Schwester arbeitete damals als Hausangestellte in La Paz. Sie hat mich aufgenommen und versorgt. So konnte ich auch in die Schule gehen, später studieren.

1971 habe ich begonnen, im Radio „Agustín Aspiazu“ zu arbeiten. Später arbeitete ich drei Jahrzehnte bei Radio San Gabriel. An der Katholischen Universität von La Paz habe ich Kommunikationswissenschaften studiert, und danach Anthropologie. Später kam ein Master in Menschlicher Entwicklung und ein Master in Ernährungswissenschaften hinzu. Da habe ich dann den Zusammenhang von Ernährung, Gesundheit und traditioneller Medizin kennengelernt.

Sonne über dem Altiplano in der Regenzeit,    Foto: Marisol Diaz

Und heute?

CML: Ich widme mich der Anthropologischen Forschung, insbesondere was Medizin und Ernährung betrifft. Die besten Ergebnisse hatte ich beim Tokosh. Dieser Quechua-Begriff bedeutet in etwa „verschrumpelt und gegärt“. Und Tokosh ist entsprechend nichts weiter als fermentierte Kartoffel.

Die Kartoffeln für Tokosh müssen dafür im Schatten oder dunklen geerntet werden, nicht wenn die Sonne scheint. Hier spielt die weibliche Mondenergie eine Rolle. Sofort nach der Ernte muss die Kartoffel dann in einem Jutesack in einem Fluss oder Bach in das fließende Wasser gelegt werden. Nach etwa zwei Monaten werden die Kartoffeln aus dem Wasser geholt und in der Sonne getrocknet. Hier kommt die männliche Sonnenenergie ins Spiel. Danach werden die Schalen entfernt und die getrocknete Masse gemahlen. Das ist schon alles.

Im Deutschen und der nordischen Mythologie ist die Sonne weiblich, der Mond männlich…

CML: Interessant. Aber hier ist es eben umgekehrt. Mond ist in Aymara Paxi und symbolisiert in der Andinen Welt das Weibliche, Sonne dagegen das Männliche.

Wofür ist Tokosh gut?

CML: Es hat probiotische Wirkung. Letztes Jahr haben auch wissenschaftliche Studien bestätigt, dass Nahrungsmittel mit Laktobazillen und Bifido-Bakterien Hirnerkrankungen wie Parkinson und Alzheimer kontrollieren helfen. Sie wirken auch bei Erkrankungen des Magen- und Darmtrakts wie Gastritis oder Magengeschwüren. Tokosh hilft auch bei Darmbeschwerden und Haemorhoiden. Man darf nicht vergessen, dass wir zwei Gehirne haben: Das Gehirn selbst und den Magen.

Wir haben den Tokosh hier in den Labors der Agronat A.G. In Huajchilla in der Nähe von La Paz überprüfen lassen. Sie haben bestätigt, dass er diese Laktobazillen enthält. Und damit diese Bakterien nicht abgetötet werden, soll man den Tokosh auch roh essen. Morgens, mittags und Abends einen kleinen Löffel.

Alle Sorten sind geeignet, am besten jedoch die bitteren,     Foto: P.Strack

Gibt es spezielle Kartoffeln, um Tokosh herzustellen?

CML: Am besten funktioniert es mit bitteren Sorten. Aber wir haben es auch mit anderen Sorten getestet, auch der holländischen Kartoffel. Und es klappt auch. Es ist ein Segen für die Menschheit.

Sie erwähnten wissenschaftliche Studien…

CML: In Kolumbien gibt es einen Kinderarzt, Jairo Madriñán Tascón vom Universitätskrankenhaus del Valle in Cali. Er hat mir die Information über die Studien weitergegeben. Ich selbst spreche kein Englisch.

Die bolivianische Regierung hat sich die Förderung der traditionellen Medizin auf die Fahnen geschrieben.

CML: Unter der Regierung von Evo Morales war ich zeitweise Zeremonienleiter im Außenministerium. Da habe ich gelernt, wie der Staat funktioniert. Danach wurde ich zum Direktor für Anthropologie im Kulturministerium ernannt. Schließlich war ich als Vizeminister für die Koordination der Dekolonisierungsprozesse verantwortlich. Aber in der Politik ist es für mich nicht gut gelaufen. Deshalb bin ich lieber zur Ausübung meines Berufs zurückgekehrt. Ich produziere Kartoffeln, Tokosh und eine Reihe anderer traditioneller Nahrungsmittel.

Was ist mit dem Gesundheitsministerium? Bekommen sie Unterstützung vom Staat?

Am Stand liegen auch Publikationen von Mamani Lopez aus,   Foto: P.Strack

CML: Früher gab es ein Vizeministerium für traditionelle Medizin. Doch das hat inzwischen nicht mehr diesen Rang. Geblieben ist ein Direktor. Die Regierung misst der natürlichen Medizin in der Praxis keine so große Bedeutung bei, obwohl sie eigentlich eine eher indigene oder volksnahe Regierung sein will. Da ist noch viel Arbeit nötig.

In meinem Verständnis gibt es vier große Richtungen in der Medizin: Als erstes eine gesunde und natürliche Ernährung, dann die traditionelle Medizin, drittens die integrative, alternative Medizin und schließlich die allopathische Medizin (Schulmedizin Anm. PS). Manche diskriminieren die traditionelle althergebrachte Medizin. Aber meiner Ansicht nach sollten sich alle vier Richtungen ergänzen.

Das zu organisieren wäre die Aufgabe des Gesundheitsministeriums.

CML: Aber sie bevorzugen die Allopathische Medizin und das ist nicht in Ordnung. Man muss auch andere Wege erproben. Ich habe während der COVID-Pandemie zum Beispiel das CDS getestet. Zweimal ist Andreas Kalcker nach La Paz gekommen und hat uns gezeigt, wie man das produziert. Kalcker sagt, dass das CDS 120 Krankheiten heilen könne und dass er das erprobt habe. Ich habe es bei COVID-Erkrankungen angewendet. Und da hat es funktioniert.

Haben sie Träume?

CML: Ich will mein Wissen über die althergebrachte traditionelle Medizin noch weiter vertiefen. Nicht als alleinige Methode, aber als komplementäres Element bei Heilungsprozessen. Und dann will ich, dass die Leute lernen, wie sie selbst Tokosh herstellen können. Denn Kartoffeln haben sie alle.

Koka und Kartoffeln, beides ist Medizin.      Foto: Marisol Diaz

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