Nelson Gallego zeigt auf die blaue Umhängetasche mit den gelben Sternen, eins von den Utensilien, mit denen die WahlbeobachterInnen in Honduras auf ihre Präsenz aufmerksam machten. 700 internationale und 15.000 Wahlbeobachter aus Honduras selbst, so viele wie nie zuvor, waren am 24. November, dem Tag der Präsidentschafts- und Parlamentswahl, durch 5.433 Wahllokale mit 16.000 Wahltischen und 180.000 WahlhelferInnen gezogen. „Wegen euch war es so friedlich“, sagt er.
Drei Tage nach den Wahlen stehen wir am Gepäckband in San Pedro Sula. Der junge Flughafenarbeiter hat Redebedürfnis. Er will wissen, was ich vom Wahlausgang halte. „Ich versteh’s nicht“, antwortet er sofort selbst. „Die Armen haben doch alle LIBRE, also Xiomara, gewählt. Irgendwie komisch, dass der Andere mehr Stimmen hat.“ Warum die Leute denn nicht massenhaft auf die Straße gegangen seien, wenn es nach Wahlbetrug röche, will ich wissen. Die Demonstrationen nach der Pressekonferenz der LIBRE-Partei am Montag und die StudentInnendemos am Dienstag seien eher klein gewesen, die Reaktion der Sicherheitskräfte martialisch – aber eben wie üblich.
LIBRE-VertreterInnen an dem Wahltisch hätten die Auszählakten mit unterschrieben und sicher überprüft, ob die Daten exakt auf die Website des Wahlgerichts übertragen seien. Nelson zuckt die Achseln: „Wir sind eben ein passives Volk“, mutmaßt er. Was in gewissem Widerspruch zur Feststellung des Politologen Miguel Calix steht: „NachbarInnen, die verschiedenen Parteien angehören, hassen sie sich gegenseitig. Die HonduranerInnen sind politisch die Intolerantesten überhaupt“.
Tatsächlich bescheinigten von EU über OAS bis zur Menschenrechtsorganisation FIDH der Organisation des Wahltags passable Transparenz. Den Prozess bis zum Wahlsonntag beurteilten die internationalen Wahlbeobachtungsmissionen und -begleiterInnen – so der Begriff für von Parteien Eingeladene – dagegen als „trübe“, „intransparent“ und sehr „ungleich“ im Hinblick auf Ressourcen.
Nun werden Wahlen selten erst am Wahltag gewonnen. Betrug findet nie nur am Wahltag statt. Dennoch konzentrierte sich die Debatte auf der Zielgerade auf die Frage der Organisation des Urnengangs. Steht Ärger am Wahltisch an, schließlich ist allgemein bekannt, dass 30 Prozent der HonduranerInnen nicht im Wahlregister auftauchen? Funktionieren die Scanner zur Datenübertragung ins Wahlgericht? Können die angeheuerten Studierenden sie bedienen und sind sie überhaupt da? Sind alle Parteien unter den Wahlhelfern, wie abgemacht, vertreten? Werden Hochrechnungen erst bekannt, wenn Tendenzen sich konsolidieren, oder deuten Parteien und Medien am Wahlschluss Prognosen in Ergebnisse um?
Nur eins war schon vorher klar. Die Wahlen in Honduras bedeuten das Ende des herkömmlichen Zweiparteiensystems, das fast so alt ist wie die Republik. Mit acht KandidatInnen für die Präsidentschaftswahlen und neun Parteien, die sich für 128 Sitze im Parlament, 298 Bürgermeisterämter und 20 Sitze im Zentralamerikanischen Parlament bewarben, traten so viele politische Kräfte an wie nie zuvor.
„Ich habe die Partido Nacional erst zu einer sozial-christlichen, konservativen Partei gemacht“, lobt sich Präsident Porfirio („Pepe“) Lobo vor den europäischen WahlbeobachterInnen. „Bis 2004 hatte die Partido Nacional überhaupt keine Ideologie, aber ich fand, wir brauchen so etwas hier auch, und habe ein Parteiprogramm geschrieben“.
Das hat ihm 2006 trotzdem eine Wahlniederlage gegen Manuel („Mel“) Zelaya eingebracht. Der hatte nach seiner Amtseinführung 2007 begonnen, seine ideologisch ebenso schwächelnde Liberale Partei auf einen sozialen Kurs zu führen, und machte sich zum Fürsprecher einer neuen Verfassung. Das Ergebnis drei Jahre später war bekanntermaßen der Putsch.
Der sozialliberale Flügel löste sich aus der PL. Zusammen mit Teilen der Widerstandsbewegung gegen den Putsch gründete dieser Flügel LIBRE (dt. „frei“), für „LIBertad y REnovación“, also Freiheit und Erneuerung. LIBREs Präsidentschaftskandidatin wurde Xiomara Castro, die Ehefrau Zelayas.
Noch vor vier Monaten sagten alle Umfragen Xiomara einen klaren Wahlsieg voraus. Angst hatten LIBRE-AnhängerInnen nur, dass der „Oficialismo“, die regierende PN, ihren Wahlsieg nicht anerkennen würde und es zu Straßenschlachten und Toten käme.
Der Hauptwidersacher von der Regierungspartei PN, Juan Orlando Hernández, hatte einen schlechten Start in den Wahlkampf. Bei den von Betrug und Unregelmäßigkeiten überschatteten Vorwahlen im November 2012 zeigte sich, dass er keineswegs der Wunschkandidat der PN war. Aber das fünfzehnte von 17 Geschwistern boxte sich durch. Gesetzeswidrig ließ er sich im Amt des Parlamentspräsidenten zum PN-Kandidaten küren, trat nicht, wie vorgeschrieben zurück und baute von dem Posten aus seine Macht weiter aus. Der „parlamentarische Diktator“, so Xiomara, hob nach und nach die Gewaltenteilung auf.
Lobo war nur noch für die laufenden Geschäfte zuständig – den Rest machte Juan Orlando. Zu seinen letzten Schachzügen gehörte die parlamentsgestützte Inthronisierung seines Parteifreunds Oscar Fernando Chinchilla als neuem Generalstaatsanwalt für fünf Jahre statt bis zum Ende der Legislaturperiode. Der brachte seine Behörde auf Linie. Er wickelte die allzu kritische Menschenrechts- und Korruptionsabteilung ab und schickte die Magistraten am 28. Oktober auf gefährliche Außenposten. Auch im Obersten Gerichtshof räumte das Parlament auf und entließ vier Richter, die in der Abteilung Verfassungsrechte das umstrittene „Modellstadt“-Projekt und die neue, aus dem Boden gestampfte Militärpolizei für verfassungswidrig hielten.
Die Militarisierung des Kampfs gegen die Gewalt aber ist ein Herzstück im Programm Juan Orlandos. Damit nutzt er geschickt das Gefühl allgegenwärtiger Unsicherheit in einem Land aus, in dem sich nach 19 Uhr kaum noch jemand auf die Straße traut und das Militär in seinem Ruf weit vor Parlament und staatliche Institutionen liegt. Zwei Wochen nach seinem Wahlsieg fahre er ins kolumbianische Medellín, um die dortigen militärischen „Befriedungsstrategien“ zu studieren, ließ er die Europaabgeordneten wissen. In einem Fernsehspot umgibt er sich mit Batallons in Tarnanzügen. Die Angstkampagne ging offensichtlich auf.
Schützenhilfe bekam er vom Präsidentschaftskandidaten der Alianza Patriótica (AP), Romeo Váquez Velásquez. Der Ex-Kommandant der Streitkräfte unter Mel Zelaya weigerte sich, die „vierte Urne“ für ein Referendum zur Verfassunggebenden Versammlung zu verteilen, wurde Protagonist der Putschisten und dafür mit dem Vorsitz von Hondutel, der staatlichen Telekommunikationsgesellschaft, belohnt. Vázquez Velásquez ist in seiner Freizeit Agrarunternehmer. Partner in seiner Firma Vasquez Zelaya ist seine Ehefrau Lícida, mit Familiennamen Zelaya Lobo. Es ist alles Familienklüngel in der honduranischen Regierung. Man könnte auch sagen: ein korrupter Haufen.
„Juan Orlando ist der korrupteste von allen Parlamentspräsidenten überhaupt“, sagt ein europäischer Diplomat unumwunden. „Keiner hat sich in seiner Amtszeit so bereichert wie er.“ Juan Robando (der, der stiehlt) nennt der Volksmund Juan Orlando.
Ein Gutteil seiner Wahlkampffinanzierung kommt zweifellos aus öffentlichen Quellen. Über die Schützenhilfe von „Narcobürgermeistern“ der PN wagt niemand laut zu reden. Honduras ist Drogentransitland. Nicht verwunderlich, dass nur schätzungsweise ein Prozent des Transportguts abgefangen werden. Aber der Drogenhandel ist kein Thema im Wahlkampf. Wohl aber die Maras, die Jugendbanden, die aus einem ganz anderen, nämlich armen, Milieu stammen als reiche Drogencapos. Sie schmieren sicher niemanden von der PN und kaufen für sie auch keine Stimmen, haben sie doch viel zu befürchten von der harten Hand eines Präsidenten Juan Orlando.
Woher insgesamt die Wahlkampfgelder stammten und um wie viel es sich handelte, weiß niemand. Aber dass die Summen höchst unterschiedlich verteilt waren, war anhand von Wahlplakaten, Wahlspots in Fernsehen und Rundfunk offensichtlich. Die PN kam auf locker doppelt so viel wie alle anderen zusammen. „Mein Chef ist in der Liberalen Partei“, sagt Giovanni Dominguez, Redakteur bei El Tiempo, und fährt ganz offen fort: „Daher stellt er seinen Parteifreunden jeden Tag eine Seite kostenlos zur Verfügung.“ Andere Journalisten schreiben Verlautbarungen aus Wahlkampfbüros ab. Zeitungen sanieren sich mit Großanzeigen der Nationalen und Liberalen. Oder der Regierung, die in den letzten sechs Monaten Juan Orlando hilft, indem sie sich selber ganzseitig lobt.
LIBRE hat wenig Geld. Und wird obendrein verfolgt. Die Gruppe der JournalistInnen und MenschenrechtlerInnen hat hohe Opferzahlen. Zwei Tage vor der Wahl wurde der Radiosender gestört. Angeblich weiß niemand wie.
Zwei Tage vor den Wahlen ließ das TSE zudem sechs Umfrageinstitute zu, die am Wahlabend berichten dürfen. Dazu gehört die Firma von Arturo Corrales, Minister und im Besitz einer Stromablesefirma. Damit verschafft er sich Zugang zu sozusagen jedem Haushalt, eine wunderbare Datenbasis auch für Juan Orlando.
Der wiederum ist sich am Vorabend der Wahlen sicher: er wird mit einem Vorsprung von 12 bis 13 Prozent gewinnen. Allein mit seinem Call Center würde er am Wahlsonntag drei bis vier Prozent holen. 400 bezahlte Leute sitzen dort vor Computern und fordern telefonisch zum (Juan-Orlando-)Wählen auf. Wenn die Daten nicht von den StromkundInnen stammen, sind sie von der tarjeta cachureca, einer Karte, die ihren BesitzerInnen 15 Prozent Nachlass in angeschlossenen Geschäften, Restaurants und sogar Privatunis gibt.
Datenschutz? Juan Orlando lacht. Das sind hervorragende Datenbanken für geschäftliche Zwecke. So wird heute gearbeitet. Tarjetas cachurecas wurden noch vor Wahllokalen verteilt, berichteten BeobachterInnen. Und auch, dass viele sicherlich im Bewusstsein gewählt hätten, dass ihre Daten erfasst und ihnen beim falschen Kreuz Nachteile entstehen könnten. Die zum Wählen notwendigen Personalausweise werden traditionell von Parteien ausgegeben und erst zuletzt unabhängig. Auch das macht ein voto LIBRE schwieriger. Die einschüchternde Präsenz von PN-AnhängerInnen in Wahllokalen war notorisch. Zudem bestätigten BeobachterInnen vielerorts die Befürchtung, die PN versuche, sich über den Kauf von an alle Parteien ausgegebenen Blankoakkreditierungen die Kontrolle über die Wahltische zu sichern. Viele vermeintliche VertreterInnen kleinerer Parteien wussten auf Anfrage nicht einmal den richtigen Namen “ihrer” Partei, für die am Ende auch keine Stimme abgegeben wurde.
Weitere Nachteile bei einer Niederlage Juan Orlandos redeten PN-Bürgermeister Empfängern des Bono 10000 ein, einer Familienzulage für arme Familien, wenn sie ihre Kinder zur Schule schicken. Das Geld stammt freilich nicht aus Juan Orlandos Privatschatulle, sondern ist ein Weltbankprogramm, aber viele glaubten die Lüge.
Kann gut sein, dass Honduras ein Familiengeschäft bleibt. Einer wie Juan Orlando, der die Gewaltenteilung aufhob, wird sich als Präsident wohl kaum Empfehlungen widmen, die unabhängige Institutionen, Transparenz und eine funktionierende Justiz einfordern. Das ist die Crux der internationalen Präsenz und ihrem Gutheißen des Wahltags. Ein Juan Orlando Hernández wird dies als Gütesiegel missverstehen.
Die Langversion dieses Artikels erscheint in der Dezember-ila 371.