Vor einigen Wochen besuchten wir den bolivianischen Maler Ruperto Salvatierra Lazarte in seinem bescheidenen Anwesen in Quillacollo, wo er unentwegt malt und Tausende seiner Bilder gelagert hat.
Nie hat er viel verkauft. Heute noch weniger als früher. Die Leute hätten kein Geld mehr, meint Salvatierrra, trotz der unbestreitbar in den letzten Jahren vergrößerten Mittelschicht. Oder sie würden es angesichts unsicherer Perspektiven für kommende schwierige Zeiten sparen. Er werde inzwischen von seiner Familie unterstützt.
Entsprechend kritisch äußert sich der Künstler zu den seiner Meinung nach schlecht ausgebildeten jungen Modemalern, die mit vergleichsweise kostensparend hergestellten Aquarellen nach dem Marktgeschmack durchaus etwas Geld verdienen. Er, der zwar die Akademie besucht hat, aber vor allem Autodidakt ist, habe viel von den Kunstkritikern gelernt. Aber heute gäbe es keine Kunstkritik mehr, nur noch Händler. Salvatierra nutzt den französischen Ausdruck marchands. Die Jungen seien orientierungslos und es gäbe keine Nachfrage mehr für wirkliche Kunst. Selbst die Ölfarben müsse er inzwischen selbst aus den USA importieren. Der Laden, in dem er sie früher habe kaufen können, habe geschlossen. Die staatlichen Autoritäten interessierten sich nicht mehr für Kunst, meint Salvatierra. Eine vom Nationalen Kunstmuseum für dieses Jahr geplante Wanderausstellung seiner Gemälde sei nach der Auswechslung des Verantwortlichen gestrichen worden.
Immerhin ist nun im privaten Centro Pedagógico Cultural der Stiftung Simón I. Patiño in Cochabamba eine Retrospektive von 136 seiner Werke zu sehen. Sie zeigen eine Vielfalt von Motiven in unterschiedlichen Stilrichtungen, die er im Laufe der Jahrzehnte erprobt hat: Landschaftsgemälde, Porträts, Akte, Alltagsszenen vom Markt oder von Wäscherinnen am Fluss. Mal in bunten hellen, mal in Erdfarben. Abstrakte Bilder, surrealistische, sehr naturgetreue Darstellungen oder Mischungen wie das Bild einer jungen Frau, die ihrem Bündel auf dem Rücken, die dem Betrachter intensiv in die Augen zu schauen scheint. Immer sind es Ölgemälde. Und von den elektronischen Medien, etwa der Videokunst, hält er überhaupt nichts. Was auf dem Computer produziert werde, sei leblos. Er dagegen male nach den drei Grundprinzipien: Liebe, Konzentration und Gefühl.
Tatsächlich herrscht reger Publikumsverkehr in den Räumen im Untergeschoss der Villa des früheren Zinnmagnaten Patiño, als ich Salvatierra für ein Interview dort aufsuche. Auch wenn der unzufrieden ist. Es sei zu abgelegen vom Stadtzentrum. Und in Bolivien verstehe man viel von Kunsthandwerk, aber nicht viel von bildender Kunst. Aus seinem Viertel habe er zwei Dutzend Leute zur Eröffnung eingeladen. Niemand sei gekommen.
„Eine weitere so umfangreiche Ausstellung wird nicht noch einmal möglich sein“, meint der um die 70 Jahre alte Künstler. Am liebsten hätte er deshalb wenigstens 200 Bilder ausgestellt. Denn jedes Porträt zeige eine Person. Und jede Person sei eine eigene Welt. Dass er die meisten Porträts jedoch von seiner Frau, seinen Töchtern oder sich selbst gemalt hat, hat aber auch finanzielle Gründe.
Die Selbstporträts zeigen den Wandel der Person Ruperto Salvatierra. Was gleich geblieben ist, ist das Selbstbewusstsein und die Begeisterung für die Kunst. Er selbst bezeichnet sich als einen andinen Condor, der die unterschiedlichsten Facetten aufweise.
Mit sechs Jahren habe er seine Leidenschaft für die Kunst entdeckt, als er beim Schafe Hüten an Bächen zusammen mit anderen Kindern Tiere aus Lehm geformt habe. Kleine nur 3 Zentimeter hohe Figuren aber mit vielen Details. Später habe er sie gezeichnet. Und jeder wisse, dass die Zeichnung die Grundlage jeden Malstils sei.
Die Malerei scheint in der Familie zu liegen. Sein Großvater hatte die Wände seines Hauses mit Teer bemalt. „Als Kind interessierte ich mich dafür aber noch nicht“, erzählt Salvatierra. „Erst als ich selbst die ersten Preise für meine Gemälde bekam, schaute ich mir die Wandgemälde meines Großvaters genauer an. Und mir wurde klar, dass es sich um Kunstwerke handelte. Es gab Vögel die sehr detailgenau und realistisch dargestellt waren und die die Figur des Simón Bolivar in Lebensgröße einrahmten. Der war zwar sehr schlicht gemalt, aber schaute gleichzeitig nach vorne und zur Seite. Auf der anderen Seite war das Hauptbild: Ein surrealistisch dargestellter Beerdigungszug, bei dem der Sarg von Hunden getragen wurde. Vorneweg der Priester als Bär mit seiner Bibel. Und im Vordergrund ein Schwein mit einer Schürze, die einzige rote Stelle des Gemäldes.“ Auch Rupertos Tochter wurde Malerin.
Ruperto selbst malt alle möglichen Motive, aber die Porträts seiner „Mädchen“, wie er sie nennt, hält er für das Besondere. Die Quechua-Frauen, -Jugendlichen und Kinder ländlicher Regionen in ihrer typischen selbst gewebten oder gestickten Kleidung.
Ich frage ihn, warum er, wenn er so viel Kritik an der kommerziellen Ausrichtung der Kunstakademien hat. nicht selbst unterrichtet. Dafür habe er keine Zeit. Auch nicht dafür, sich um Ausstellungen oder den Verkauf zu kümmern. In Bolivien hatte er zahlreiche Ausstellungen und auch den ein oder anderen Kunstpreis gewonnen. Aber nur einmal seien seine Bilder im Ausland gezeigt worden: in North Carolina. „Wenn ich nicht male, bin ich nicht glücklich. Und mir fehlt noch so viel. Ich habe zig Themen im Kopf. Die Grautöne zum Beispiele habe ich bisher wenig benutzt.“