Vom 14. bis zum 16. November tagt in Buenos die „IV. Konferenz zur nachhaltigen Abschaffung der Kinderarbeit“ (siehe taz Beitrag). Wieder einmal hat die veranstaltende Internationale Arbeitsorganisation den Hauptbetroffenen ein Teilnahme verweigert. Im Vorfeld hatten die organisierten arbeitenden Kinder in Bolivien mehrfach versucht, wenigstens mit den zuständigen Regierungsstellen und Abgeordneten zu reden, damit diese ihre Vorstellungen in der argentinischen Hauptstadt einbringen. Ein Gespräch mit VertreterInnen der Organisation arbeitender Kinder aus der bolivianischen Bergwerksstadt Potosí (CONNATSOP), das am 10. November in La Paz geführt wurde.
Frage: Wofür seid ihr hier an den bolivianischen Regierungssitz gekommen?
Celia: Im Vorfeld der ILO-Konferenz in Buenos Aires wollten wir mit diversen Botschaften, mit der Regierung, mit Ministerien und Parlamentsabgeordneten in Austausch treten. Im Rahmen der Kampagen „It´s time to talk“ hatten wir eine Befragung unter arbeitenden Kindern in Potosí durchgeführt, die ihren Lebensalltag beschrieben haben. Die haben ihre Botschaften formuliert, die wir in La Paz vorstellen wollten. Aber es lief anders als erhofft. Die Verantwortlichen haben nicht mitgemacht. Immerhin waren ein Vertreter des bolivianischen Arbeitsministeriums und einer der argentinischen Botschaft gekommen. Die IV. Konferenz der ILO findet ja in Buenos Aires statt. Aber die argentinische Regierung will keine Beteiligung der arbeitenden Kinder zulassen. Deshalb wollten wir auch mit dem Vertreter Argentiniens reden, damit eine Beteiligung doch noch möglich wird.
Kimberley: Gemäß Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention erwarten wir, dass man unsere Ideen und Meinungen respektiert. Aber in Argentinien wollen sie uns nicht anhören. Wir fühlen uns schlecht deswegen. Wir respektieren ja die ILO, aber dann erwarten wir auch, dass diese Organisation uns anerkennt.
Marco: Wir wollten auch noch mehr über die Konferenz erfahren. Aber der argentinische Vertreter sagte, dass man ihn nicht informiert habe und er deshalb nichts über die Konferenz sagen könne. Wir hatten Theaterszenen vorbereitet, aber wir haben sie nicht gezeigt. Der Vertreter aus Argentinien ließ uns gar nicht zu Wort kommen. Er redete nur von seinem Land, und dass dort die Kinder nicht arbeiten und er darüber froh sei.
Celia: Sobald man ein Kind beim Arbeiten erwische, werde es sofort mit der Polizei weggebracht. Der Vertreter der argentinischen Botschaft sagte uns direkt ins Gesicht, dass wir keinen Grund hätten, uns zu organisieren. Dass sich in Argentinien die arbeitenden Kinder nicht organisieren und wir dafür auch noch nicht reif genug seien. Wir halten dass für eine sehr erwachsenenzentrierte Sichtweise.
Frage: Auf dem Internationalen Forum zur Sozialpolitik mit arbeitenden Kindern im Oktober in La Paz waren aber auch organisierte arbeitende Kinder und Jugendliche aus Argentinien präsent. Und laut Daten des US Arbeitsministeriums aus dem Jahr 2011 sind immerhin 11% der fünf bis 14jährigen in Argentinien erwerbstätig. Auch ein WDR-Film aus dem Jahr 2016 dokumentiert diese Wirklichkeit.
Kimberley: Aber sie haben in Argentinien nicht diese Unterstützung, wie wir sie hier in Bolivien mit dem Kinder- und Jugendgesetz Nr. 548 haben.
Marco: Das hilft uns dabei, unsere Rechte zu kennen und sie zu verteidigen.
Kimberley: Nun, erfüllt werden diese auch nicht. Aber statt uns vor Ausbeutung, vor Mißhandlung und Diskriminierung zu schützen, will die ILO nur die Kinderarbeit ausrotten. Wir arbeiten doch nicht nur, weil wir es gerade so wollen, sondern um unsere Familien zu unterstützen. Die von der ILO sagen: Warum arbeiten sie? Sie sollten spielen und zur Schule gehen. Dabei arbeiten wir, damit wir zur Schule gehen können und bessere Menschen werden. Und mit unserer Arbeit schätzen wir auch viel mehr unser Leben.
Marco: Die Abschaffung der Kinderarbeit ist wie ein Traum der ILO. Statt uns zu unterstützen geben sie für diesen Traum viel Geld aus und erreichen doch nichts.
Frage: In Potosí hat es ein großes Programm zur Abschaffung der Kinderarbeit in den Bergwerken gegeben.
Luis: Ja, sie wollten die Arbeit von Kindern und Jugendlichen in den Bergwerken beseitigen, weil die gefährlich ist. Ich weiß das, ich habe genug gesehen. Aber wenn die Verantwortlichen zu Kontrollbesuchen kommen, dann verstecken sich die Kinder im innern des Berges.
Frage: Die Anzahl arbeitender Kinder in den Bergwerken ist deutlich zurückgegangen.
Celia: Genaue Zahlen gibt es nicht. Aber mehr als 100 Kinder und Jugendliche sind es schon noch, die in Potosí in den Stollen arbeiten.
Frage: Anscheinend gehen vor allem Jugendliche ab dem 14. Lebensjahr ins Bergwerk. Gibt es auch jüngere?
Marco: Ja, aber sie verstecken sich. Denn sie wissen nicht, was sie sonst arbeiten könnten, wenn sie aus den Bergwerken geholt werden.
Celia. Die Bergwerke gehören zu den wenigen beständigen Arbeitsmöglichkeiten in Potosi. Mein Bruder zum Beispiel ist 15 und arbeitet seit seinem 14. Lebensjahr im Berwerk. Das ist besorgniserregend. Ich weiß, wie sie arbeiten. Mein Vater ist auch Bergarbeiter. Aber was kann man tun? Es gibt nicht viele Fabriken in Potosí. Welche Arbeit kann man für sie finden?
Frage: Habt ihr diese Frage dem Vertreter des Arbeitsministeriums gestellt?
Celia: Nein. Der Vertreter aus Argentinien hat fast die ganze Zeit in Anspruch genommen. Und ohnehin verfolgt auch das bolivianische Arbeitsministerium die Abschaffung der Kinderarbeit. Bis zum Jahr 2019 soll das angeblich erreicht sein. Aber die Wirklichkeit ist eine andere.
Frage: Nach dem jüngsten Zensus der Regierung gibt es derzeit etwa 750.000 arbeitende Kinder und Jugendliche in Bolivien. Etwa 50.000 weniger als in Studien von vor 10 Jahren.
Marco: Aber auch diesen Zahlen kann man nicht trauen. Denn zumindest in Potosi gibt es keine sicheren Arbeitsmöglichkeiten für die Eltern, wo sie ausreichend verdienen könnten.
Frage: Ihr seid alle in der CONNATSOP organisiert. Es gibt Stimmen, die sagen, dass die organisierten arbeitenden Kinder nicht für die anderen sprechen können, die nicht organisiert sind.
Luis: Da sind wir nicht mit einverstanden. Denn ob organisiert oder nicht organisiert, wir erleben alle die gleiche Wirklichkeit bei der Arbeit. Und zum Teil auch die gleichen Situationen der Ausbeutung. Der Unterschied bei den organisierten arbeitenden Kindern ist, dass wir die Gesetze kennen, die uns schützen. Aber ansonsten haben wir die gleichen Ziele.
Kimberley: Wir sind nicht untereinander gespalten. Wir kämpfen dafür, gehört und unterstützt zu werden. Sie sollten lieber fragen, warum wir arbeiten, und dann Vorschläge machen, statt uns nur zu kritisieren und zu veruteilen.
Celia: Wir Sprecherinnen und Sprecher der organisierten arbeitenden Kinder erheben die Stimme auch für all die anderen Kinder, die sich nicht organisieren können. Wir stellen nicht nur Forderungen für das Wohl von ein paar wenigen. Zum Beispiel das Gesetz 548, an dem wir mitgewirkt haben, ist ja auch nicht nur für die organisierten arbeitenden Kinder, sondern für alle Kinder und Jugendlichen in Bolivien.
Frage: Ihr habt gerade ein Manifest mit Eurer Position und Euren Forderungen verabschiedet. Es ist nicht das erste dieser Art. Was erhofft ihr Euch davon?
Celia: Wir wollen an der Vierten Konferenz der ILO beteiligt sein. Man stelle sich vor, wir Kinder würden anstelle der Erwachsenen reden, ohne deren Situation wirklich zu kennen. Das wäre genau das, was die ILO gerade mit uns macht. Sie sehen die Lebenswirklichkeit der arbeitenden Kinder nicht, treffen aber Entscheidungen für sie. Nun, trotz des Gesetzes 548, schenkt uns auch der bolivianische Staat derzeit nicht viel Beachtung. Gestern haben wir das erneut erfahren müssen.
Frage: Gibt es sonst noch etwas, was die Menschen in Deutschland wissen sollten?
Celia: Bekanntlich unterstützen einige NRO aus Deutschland uns bei der Organisation. Das ist eine große Unterstützung, für die wir dankbar sind. Sie sind Verbündete in unserem Kampf.
Gustavo: Damit man uns Gehör schenkt und uns versteht.
Carla: Sie können uns helfen, unseren Stimmen Gehör zu verschaffen, wenn die Verantwortlichen in den staatlichen Stellen uns nicht zuhören.
Elva: Es ist schon das zweite Mal in jüngster Zeit, dass wir die Verantwortlichen eingeladen haben und dass sie nicht gekommen sind. Aber wir werden weiter darauf bestehen. Wir geben uns nicht geschlagen. Unser Kampf muss weiter gehen.
Am Gespräch beteiligten sich die 17jährige Kimberley, Verkäuferin, Alejandra Liset, 16 Jahre, die in einem Internet-Cafe arbeitet, Celia, 16 Jahre, Händlerin auf dem Markt, alle im 11. Schuljahr. Der 15jährige Bergarbeiter Luis Guillermo, der 16jährigen Schweißer Marco Antonio, der das zehnte Schuljahr besucht. Die 14jährige Händlerin Carla, der gleichaltrige Maurer Gustavo, sowie die 17jährige Elva. Sie arbeitet in einer selbstverwalteten Bäckerei, mit der die Organisation arbeitender Kinder in Potosí einen konkreten Beitrag gegen die Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen leistet und aus Deutschland u.a. von Zorro e.V. unterstützt wird.
Weil sie in Buenos Aires, erneut vor verschlossenen Türen stehen, und damit in der UN-Konvention verankerte Rechte verletzt werden, hat die lateinamerikanische Bewegung arbeitender Kinder MOLACNATS eine Beschwerde (Carta de Reclamo al Comite Derechos del niño de Ginebra_ENGL) an die Kinderrechtskommission der UNO geschickt.
Open Democracy hat zur Tagung eine Debattenseite auf Englisch mit Dokumenten, wissenschaftlichen und Hintergrundartikeln online gestellt.
Der Konsultationsprozess „Time to talk“ mit arbeitenden Kindern aus zahlreichen Ländern wurde von Partnerorganisationen der NRO Save the Children, Kindernothilfe und terre des hommes organisiert. Die Ergebnisse werden auf einem Nebenevent der Konferenz am 15.11. in Buenos Aires vorgestellt.
Siehe auch den neuen Nachrichtendienst der lateinamerikanischen Bewegung arbeitender Kinder auf spanisch.
Fotos: Nach zehn Stunden Anreise der arbeitenden Kinder und Jugendlichen aus Potosi war das Interesse der für sie zuständigen Erwachsenen überschaubar (PASOCAP/CONNATSOP)
Zeichnungen: Alejandra Lopez Maida/Inti Watana