vonNiklas Franzen 30.06.2016

Latin@rama

Politik & Kultur, Cumbia & Macumba, Evo & Evita: Das Latin@rama-Kollektiv bringt Aktuelles, Abseitiges, Amüsantes und Alarmierendes aus Amerika.

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Von Caren Miesenberger

Interview mit dem Afrofunk-Kollektiv aus Rio de Janeiro, das mit Tanz, Musik und Partys gegen sexistische und rassistische Diskriminierung kämpft.

Taísa wohnt in São João de Meriti, Renata in São Gonçalo und Sabrina in Madureira. Wie habt ihr euch kennengelernt?[1]

Sabrina: Wir haben uns 2012 in der Lapa bei der Künstlergruppe Tá na Rua [Auf der Straße] kennengelernt, wo Taísa und Renata als Schauspielerinnen mitmachen. Mein Freund ist auch bei Tá na Rua, deshalb bin ich damals mitgegangen.

Wie kamt ihr darauf, euch zum Kollektiv Afrofunk zusammenzuschließen?

Taísa: Wir waren schon befreundet und wollten etwas zusammen machen, aber wussten nicht richtig, was. Dann habe ich mal eine Performance gemacht, zusammen mit einem Freund, der schon länger mit dieser Idee von Afro und Funk[2] liebäugelte. Bei der Performance gab es eine Pombagira[3] und eine Funk-Tänzerin. Danach kam ein Workshop und wir haben uns zusammengetan, um ein richtiges Kunstkollektiv zu gründen. Wir wollten diese Tänze zusammenbringen, aber auch den Funk-Tanz bekannter machen, innerhalb der Kreise, die sich in Rio de Janeiro mit Afrotanz befassen.

Ihr gebt Workshops, singt, tretet öffentlich auf – was macht ihr bei Afrofunk noch?

Táisa: Afrofunk Rio ist ein Kollektiv für künstlerische Produktion. Wir präsentieren uns als Tanztruppe, richtig als Show. Wir machen Veranstaltungen und geben Tanzunterricht für Kinder oder Frauen. Unser Kollektiv produziert Ideen, Konzepte und Kultur. Wir behandeln Fragen afrobrasilianischer Kultur, der aus Rio de Janeiro und der Kultur des Körpers. In unserem Workshop gehen wir speziell den afrobrasilianischen Tänzen nach, die von der offiziellen Geschichtsschreibung vergessen wurden. In den Shows integrieren wir Elemente wie Rap, Samba, Funk – immer mit Tanz, Gesang, Theater und so weiter. Wir organisieren auch Partys. Wir sind ein Kaleidoskop (lacht)!

IMG_0741Ihr werdet ein Lied names „Nenn mich nicht Morena[4]“ herausbringen. Könnt ihr beschreiben, worum es darin geht?

Sabrina: Hier in Brasilien wird das Problem der ethnischen Zugehörigkeit und Hautfarben sehr wenig diskutiert und es ist sehr kompliziert. Um nicht zu sagen, dass ich eine Schwarze [negra] bin, sagen die Leute, dass ich eine Morena bin. Aber wir verstehen uns nicht als Morenasmorena, das ist eine weiße Frau mit schwarzen Haaren. Wir sind keine morenas. Und dazu kommt noch, dass die Leute nicht Schwarze [negra] sagen wollen, weil sie meinen, dass Schwarzer [negro] eine Beleidigung wäre. Für uns ist negro keine Beleidigung und das wollen wir mit dem Lied sagen.

Wie unterstützt eure Arbeit die Sozialbewegungen?

Sabrina: Auf verschiedene Weisen. Das Wichtigste ist wohl, dass wir uns mit der Frage nach ethnischer Zugehörigkeit und dann auch mit der Frage des Frauseins befassen. Das sind die beiden Bewegungen, die bei uns ganz oben stehen. Und dann natürlich auch das Problem der fehlenden Chancengleichheit. Das hängt alles zusammen.

Mit welchen gesellschaftlichen Problemen befasst sich eure Arbeit?

Taísa: Wir befassen uns nicht direkt mit irgendeinem gesellschaftlichen Problem, sondern wir befassen uns mit der Freiheit; denn das größte Gesellschaftsproblem ist die Unterdrückung. Dadurch gehen wir ganz verschiedene Probleme zugleich an. In einer Stadt, die extrem gewalttätig, rassistisch, sexistisch und konservativ ist, ist es eine Frage der Menschenwürde, sich mit der Freiheit zu beschäftigen. Und außerdem gibt es da ja auch noch das Klischee, die Erwartung, dass alle an ihrem angeborenen Platz bleiben und an mehreren Stellen zugleich arbeiten müssen.

Was kann die brasilianische Gesellschaft von euch lernen?

Sabrina: Die brasilianische Gesellschaft kann lernen, sich von der Unterdrückung zu befreien, vom Rassismus, Sexismus, von Gewalttätigkeit, von dieser konservativen Struktur.

Wann habt ihr in eurem Leben zuletzt die gesellschaftliche, rassistische oder sexistische Unterdrückung erlebt?

Sabrina: Wir haben auf unserer Facebook-Seite des Afrofunk zwei Videos veröffentlicht, wo Taísa und ich tanzen. Und da hat ein Mann geschrieben: „Die sollten ihre Familie planen!“, und wollte damit sagen, dass wir nicht tanzen sollen. Und auch bei einem Clip, in dem Taísa tanzt und sich so richtig in den Hüften wiegt, hat einer geschrieben: „Das ist das Einzige, was diese Scheissgören können“, als ob das schlecht oder falsch wäre. Das waren die letzten Vorfälle von Rassismus und Sexismus, die wir abgekriegt haben.

Renata: Aber wir spüren ständig irgendwelche Kleinigkeiten, die so sind wie diese Kommentare. Wir arbeiten auch daran, die Kriminalisierung des Hinterns, des Tanzens, des Körpers abzubauen. Es gibt nämlich immer noch viele Leute, die meinen, dass der Körper nur mit Sex zu tun hat, und dass Tanzen und sich in den Hüften wiegen nicht ein ganz allgemeines Körperverhalten ist.

UnknownWas sind die wichtigsten Kämpfe für die feministische Bewegung in Brasilien?

Sabrina: Die Freizügigkeit; die Freiheit, zu tun, was man möchte; anzuziehen, was man möchte; Raum und Chancen zum Handeln in allen Bereichen. Dass die Frau nicht nur Begleitung ist, sondern Protagonistin.

Könnt ihr von der Kulturarbeit allein leben?

Sabrina: Ich hatte immer zwei Jobs, also eine bezahlte Arbeit, um meine Kulturarbeit finanzieren zu können. Zur Zeit habe ich nur die Kulturarbeit – unsere gemeinsamen Shows und auch den Karneval. Im Moment leben wir von der Kunst, aber es ist sauschwierig; manchmal zählen wir jeden Cent. Es ist unmöglich, nur von der Kunst zu leben. Unsere größte Schwierigkeit ist, in den kulturellen „Markt“ reinzukommen, der uns einen gewissen Verdienst bringen würde. Wir machen unheimlich viel, aber dabei kommt nicht immer auch eine entsprechende Bezahlung raus.

Taísa: Es ist schwierig… In Rio gibt es ganz viele tolle Arbeit. Ich glaube, nein, ich bin sicher, mehr als irgendwo anders in Brasilien. Aber das ist alles ganz auf den Markt ausgerichtet. Was ein kritischeres Konzept hat, bleibt außen vor. Aber gleichzeitig glaube ich, dass die derzeitige Künstlergeneration in Rio immer mehr Raum für so etwas schafft. Mir scheint, dass vor fünf oder sechs Jahren die unabhängige Szene noch viel kleiner war. Heute gibt es viel mehr Veranstaltungen in allen möglichen Teilen der Stadt. Das bringt kein Vermögen, aber Leute wie wir werden mehr – Leute, die nicht im Geld schwimmen, aber die irgendwie durch die Kunst überleben. Wir leben nicht, wir überleben. Aber ich glaube, es wird langsam besser.

Ist es für alle im Kulturbereich arbeitende Leute in Rio de Janeiro schwer, ein gutes Einkommen zu bekommen?

Sabrina: Nicht für alle, glaube ich, aber für die Meisten. Da gibt es Leute wie uns, eine Clique von Frauen, die sich mit Afrokultur befassen, und da ist es wie bei der brasilianischen Gesellschaft insgesamt: Wer arm, schwarz und Frau ist, hat immer weniger Chancen. Das zeigt sich eben auch in der Kulturszene. Natürlich gibt es in Rio auch Leute, die schwarz und weiblich sind und trotzdem gut verdienen, aber das ist schwierig.

Renata: Ich mache bei Tá na Rua mit, und ich glaube, dass es für niemanden einfach ist. Viele Leute sind schon ganz lange in der Szene und haben Schwierigkeiten, ihren Unterhalt zu verdienen oder künstlerisch zu arbeiten. Tá na Rua ist eine Gruppe, die aus reiner Überzeugung auf die Straße geht, aber die Behörden interessieren sich meist nicht für unsere Arbeit. Ich glaube, generell ist es mehr eine Frage des Widerstands – es gibt eine Clique, die das als Form von Widerstand macht und sich auch durch diese Schwierigkeiten nicht davon abbringen lässt.

Welche Pläne habt ihr für die Zukunft?

Taísa (lacht): In ganz Brasilien und in der ganzen Welt auftreten!

Unsere Idee ist wirklich interessant, und wir gebrauchen eine Sprache, die dem Sprachgebrauch hier auf der Straße sehr ähnelt, mit Einflüssen des Funks, des Karnevals mit seinem Glitzer, der Bedeutung, die der Körper bei den einfachen Leuten hat. Damit bieten wir etwas sehr Wichtiges an. Und im Moment ändert sich sehr viel in der brasilianischen Kulturszene. Schwarze haben immer mehr Raum, um ihre Kultur vorzustellen. Und das ist etwas, was wir selber schaffen, nicht etwas, was uns geschenkt wird. Wir sind Schwarze Frauen aus der Peripherie und haben sehr viel Lust darauf, so viel zu besetzen wie wir können.

 

[1] São João de Meriti und São Gonçalo sind Städte im Großraum Rio de Janeiros, Madureira ist ein Viertel in der Nordzone Rios, Lapa ein Viertel direkt im Stadtzentrum.

[2] Brasilianische Musikgattung, ähnelt Hip-Hop.

[3] Weibliches Geistwesen in brasilianischen Afroreligionen, vor allem bei der Umbanda.

[4] “Moreno” heißt eigentlich braun, brünett, wird aber auch zur Bezeichnung Schwarzer Menschen gebraucht.

 

Übersetzt von Monika Ottermann

Fotos 1&3: David Peixoto, Foto 2: Larissa Eval


Dieser Text erschien zuerst in dem Magazin Brasilicum der Kooperation Brasilien zum Thema „Kultur und Widerstand in Brasilien“

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