vonGerhard Dilger 23.09.2010

Latin@rama

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In der Debatte um den Versuch von Minister Niebel (FDP), Ecuadors Dschungel-statt-Öl-Initiative zu sabotieren, ist bislang ein zentraler Aspekt unterbelichtet geblieben.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=4-UT9Q7LHAI[/youtube]

Es erscheint auch zweifelhaft, ob dieser Ansatz (die Yasuní-ITT-Initiative, GD) gegenüber den zahlreichen anderen derzeit diskutierte Alternativlösungen (z. B. Reducing Emissions for Deforestation and Degradation, REDD) tatsächlich komparative Vorteile aufweist. (…) Gleichzeitig arbeiten wir mit Ecuador jedoch weiterhin beim Thema Klimawandel und Waldschutz (REDD) intensiv zusammen (…)

schrieb Niebel am 14. Januar.

Eine Antwort geben Oilwatch-AktivistInnen in ihrem Offenen Brief an den Bundestag:

OILWATCH ist ein internationales Netzwerk, das die Auswirkungen der Erdölförderung insbesondere in tropischen Ökosystemen beobachtet und analysiert. Analysen belegen immer wieder die katastrophalen Folgen der Erdölförderung für die lokale Bevölkerung, denn die Ölgewinnung geht mit Militarisierung und Gewalt einher,  sie führt zur Verseuchung von Grund- und Trinkwasser und zur Veränderung von Mikro- und globalen Klimaverhältnissen.

Die Förderländer werden dabei einem Modell der Abhängigkeit unterworfen, das schwer zu überwinden ist. In diesem Kontext kann die ecuadorianische Yasuní/ITT-Initiative als ein Akt der Gerechtigkeit gelten, zu dem auch die internationale Staatengemeinschaft einen Beitrag leisten kann und sollte.

Als der deutsche Bundestag im Juni 2008 beschloss, die Yasuni/ITT-Initiative zu unterstützen, tat sich die historische Möglichkeit auf, klimaschädliches Verhalten und die aktive Entscheidung seiner Vermeidung direkt aufeinander zu beziehen.

Die kürzlich veröffentlichte Nachricht des deutschen BMZ-Ministers Dirk Niebel in seinem Brief an Frau MdB Ute Kozcy löst eine Krise aus, die dennoch als Chance begriffen werden sollte, umfassendere Fragestellungen zu thematisieren: Wie können wir den drohenden Klimawandel abwenden? Welche Verantwortung hat der Norden gegenüber dem Süden bezüglich der Klimakrise? Wie können neue Formen der Ausbeutung vermieden werden? Wie begegnen wir der Steigerung der Ölförderung einerseits und dem Versiegen der Ölreserven andererseits?

Die damalige Entscheidung des deutschen Bundestages führte zu Untersuchungen im Auftrag von Organisationen wie der GTZ. Es ging in diesen Untersuchungen aber nicht um die Beantwortung der oben genannten Fragestellungen, sondern sie beschränkten sich auf Fragen der Durchführbarkeit der Yasuni/ITT-Initiative innerhalb der laufenden Klimaverhandlungen. Damit wurde das wirkliche Potential der Initiative verkannt.

Denn mit der Yasuni/ITT-Initiative bietet Ecuador der internationalen Staatengemeinschaft die Möglichkeit, den Ausstoß großer Mengen an Treibhausgasen aus fossilen Brennstoffen komplett zu vermeiden. Wir erwarten, dass die internationale Staatengemeinschaft dieses Potenzial anerkennt und die Umsetzung der Yasuni/ITT-Initiative unterstützt. […]

Die Stärke der Yasuni/ITT-Initiative war es bisher, einen konkreten Vorschlag außerhalb des Emissionshandels, der CDM-Zertifizierung oder des REDD-Programms zu bieten, weil er kein Teil der laufenden Kyoto-Verhandlungen ist. Dieser Vorschlag stellt vielmehr eine neue Idee dar, die mit den internationalen Szenarien bricht und sich durch eine andere Sprache und einen konkreten Ansatz auszeichnet, der klare und effektive Ergebnisse ermöglicht.

Das Bestreben, die Yasuni/ITT-Initiative mit REDD zu verknüpfen, trägt nicht zu dessen Erfolg bei. Im Gegenteil, es besteht Anlass zu berechtigten Zweifeln. Denn REDD (bzw. die geplante nationale Version “SocioBosque”) erfüllt weder die Erwartungen der indigenen Organisationen noch dient es dem Klimaschutz.

REDD-KritikerInnen zeigen zudem, dass dieses Programm die kollektiven Rechte der lokalen Gemeinschaften verletzt und den Leitlinien der ecuadorianischen Verfassung widerspricht, welche die Umwelt als neues Rechtssubjekt anerkennt (Artikel 10 und 71) und in diesem Sinne in Artikel 74 festhält: „… Umweltleistungen sind von einer Aneignung ausgeschlossen.“

Man sollte den derzeitigen Pragmatismus in der Durchsetzung der Initiative nicht mit dem Verzicht auf die grundlegenden Prinzipien derselben erkaufen. Mit der Anpassung der Initiative an die Mechanismen der Klimaverhandlungen […] wird eine wichtige Chance im Kampf gegen den Klimawandel verpasst.

Denn die Yasuni/ITT-Initiative ist eine echte Alternative zu den aktuellen Klimaschutzmaßnahmen. Darüberhinaus erlaubt sie, Menschenrechte, Biodiversität und Klimaschutz im Kontext der Ölförderung zu thematisieren,. Das schließt auch die Stärkung derjenigen Positionen ein, die sich gegen die Abholzung und den Verlust von Regenwald durch den Bau der Infrastruktur für die Ölförderung richten.

Auch gibt es nun die Chance, neue Tendenzen im Kontext des fortschreitenden Versiegens der Ölreserven und den daraus resultierenden Folgen zu diskutieren, wie die Auswirkungen der Öl- und Gasförderungen in der Tiefsee, oder die Ausbeutung von Schweröl und Ölsanden, so wie die Konsequenzen, die die Ölförderung für die Gebiete der letzten von der Zivilisation unabhängigen indigenen Gemeinschaften hat. Diesen bleibt wegen der ständigen Drohungen oft nur die Flucht aus ihren Gebieten. […]

OILWATCH stellt dem deutschen Bundestag gerne Informationen über die Auswirkungen der Erdölförderung zur Verfügung, wie z. B. über die verschiedenen Förderungsweisen, die Konsequenzen für die lokale Bevölkerung, die Beziehung zwischen Ölförderung und Klimawandel. Damit wollen wir wieder in Erinnerung rufen, dass die wahre Bedrohung für Menschenrechte, Biodiversität und Klima von der Erdölförderung selber ausgeht.

Der deutsche Bundestag hat nun die Möglichkeit, sich der Verteidigung der Bevölkerung und der Erde zu verpflichten, indem er sich klar und entschieden für die Yasuni/ITT-Initiative ausspricht.

Internationales Netzwerk OILWATCH,  20. September 2010

(gekürzt, Original hier )

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