Ob auf Demos, im Uni-Alltag oder im Netz: Verbindungsstrukturen haben nach wie vor großen Einfluss auf unsere Gesellschaft. Dabei fällt besonders der ungehemmte Nationalismus einiger Mitglieder auf. Im Interview mit der Autonomen Antifa Freiburg.
linkslaut: Was sind eure Beweggründe für die kritische Auseinandersetzung mit Burschenschaften?
Wir beschäftigen uns seit etwa 15 Jahren intensiv mit Studentenverbindungen. Zuerst haben wir uns tatsächlich fast ausschließlich mit „Burschenschaften“ auseinandergesetzt, obwohl diese nur einen sehr kleinen Teil der Korporationsszene ausmachen. Das lag einfach daran, dass „Burschenschaften“ ihre oftmals faschistische Gesinnung und entsprechenden Aktivitäten weit weniger verstecken als andere Studentenverbindungen. Und fairerweise müssen wir auch anmerken: In den „Burschenschaften“ gibt es auch einfach viel mehr Nazis als bei anderen Verbindungen.
Damals plante der rechtsradikale Dachverband „Deutsche Burschenschaft“ (DB) die Gründung einer deutschen FPÖ nach österreichischem Vorbild. Drei Jahre lang sollte eine Arbeitsgruppe bestehend aus etwa 60 „Aktiven“ (noch Studierenden) und „Alten Herren“ (nicht mehr Studierenden) verschiedener Bünde ein Parteiprogramm entwickeln und formulieren. Auf dem jährlichen DB-Treffen im thüringischen Eisenach im Frühsommer 2012 sollte das Programm beschlossen, anschließend in Hochglanz gedruckt und dann an alle Bundestagsabgeordneten verschickt werden. Damit wollte die „Deutsche Burschenschaft“ amtierende Abgeordnete im Wahljahr zur Gründung einer neuen Partei unter ihrer Führung bewegen, die 2013 zur Bundestagswahl kandidieren sollte.
Durch antifaschistische Angriffe scheiterte das Vorhaben 2011 in den drei Monaten nach dem „Burschentag“. Das zu zwei Dritteln fertig gestellte Parteiprogramm wurde dort rund 600 anwesenden „Burschenschaftern“ aus Deutschland und Österreich vorgestellt. Der Redner war der Leiter der Arbeitsgruppe, ein damals hochrangiger VW-Manager. Er hatte sich für das Ende seiner Rede eine Art Cosplay mit Liktorenbündel ausgedacht: mit ihm als Benito Mussolini. Später fanden wir diese Art von Megalomanie auch beim „Coburger Convent“ wieder, einem anderen pflichtschlagenden Dachverband von Studentenverbindungen. Dort imaginierte sich der designierte Verbandssprecher, ein „Aktiver“ der „Landsmannschaft Thuringia Berlin“, eine Traumwelt: mit ihm als Adolf Hitler.
«Wir haben schnell festgestellt, dass
Studentenverbindungen nicht zufällig
ständig Naziskandale produzieren. Die
Gründe sind strukturell bedingt, und
das ist volle Absicht.»
Meist sind Korporationen elitär, frauenfeindlich und generell rückwärtsgewandt. Doch nicht wenige Verbindungen sind darüber hinaus auch reaktionär, rassistisch und Teil der deutschen Naziszene. Zwischen beiden „Strömungen“ gibt es aber enge Verbindungen, oft sowohl vor Ort als auch zwischen den Dachverbänden. Vor allem liegt es an identischer Motivation aller Korporierten: purer Egoismus.
In der Regel sind diese Strukturen relativ verschlossen. Ein Großteil der Aktivitäten laufen hinter geschlossenen Türen ab. Wie schafft ihr es, an so sensible Infos zu kommen?
Unsere gesamte Arbeit basiert auf Vertrauen in die Authentizität unserer Recherchen. Wir können nicht offen über unsere Quellen sprechen, ohne diese und die Recherchen zu gefährden. In dieser Hinsicht unterscheiden wir uns nicht von anderen investigativen Journalistinnen und Journalisten.
Im Laufe der Jahre haben wir Zugang zu ganz unterschiedlichen Quellen aus allen großen Korporationsdachverbänden bekommen. Wir pflegen diese Kontakte oft über einen sehr langen Zeitraum. Wenn wir eklatante Missstände wie offenen Faschismus bemerken – wie bei der DB 2011 oder dem CC 2023 – dann intervenieren wir. Und zwar massiv.
Die Hochphase unserer Kampagne gegen die „Deutsche Burschenschaft“ dauerte von 2011 bis 2014 und hat die DB gespalten und massiv geschwächt. Die Kampagne gegen den „Coburger Convent“ war weniger stark, aber hat den pflichtschlagenden Verband dennoch in eine existenzielle Krise gestürzt. Deshalb sollte klar sein, dass diese und andere Dachverbände ein großes Interesse an den Lecks in den eigenen Reihen haben. Insbesondere „Bundesbrüder“, die uns Interna zutragen, sind Gefahren ausgesetzt, sollten sie je enttarnt werden.
Im Mai hattet ihr ein einem Communiqué Mailverläufe geleakt, die die ultranationalistische und misogyne Haltung der Berliner Landsmannschaft Thuringia aufgezeigt hat. In internen Konversationen wurden unter anderem die SS verherrlicht und enge Kontakte zur AfD wurden deutlich. Denkt ihr diese Tendenzen bilden die Ausnahme oder die Regel für korporierte Strukturen?
Die explizite Hitlerverehrung in der „Landsmannschaft Thuringia“ ist sicherlich nicht die Regel bei Korporationen. Die „Thuringia“ gehört dem „Coburger Convent“ an, einem pflichtschlagenden Dachverband. Daneben gibt es noch die „Deutsche Burschenschaft“ und die beiden großen Corps-Dachverbände „Kösener Senioren-Convents-Verband“ (KSCV) und der „Weinheimer Senioren-Convent“ (WSC), die ebenfalls pflichtschlagend sind. Bei den schlagenden Verbindungen kommen rechtsradikale Taten deutlich häufiger vor als bei den nichtschlagenden. Im KSCV gab es beispielsweise im August 2024 einen Antisemitismus-Skandal in Graz, bei der DB 2020 in Heidelberg. Auch ist bei den „Waffenstudenten“ die Parteinähe zu AfD und FPÖ am höchsten.
Aber über die Hälfte der Korporierten gehören katholischen Verbindungen an. Der „Cartellverband der katholischen deutschen Studentenverbindungen“ (CV) hat rund 30.000 Mitglieder und ist traditionell die Partei der CDU. Die Strukturen des CV haben wir dieses Jahr in einem eigenen Communiqué analysiert. Dort sind wir nicht auf Faschismus gestoßen, dafür aber auf Kindesmissbrauch, Fanatismus und Romhörigkeit. Die Affinität zu reaktionären Ansichten und verachtenswertem Verhalten ist aber ähnlich wie bei den „schlagenden“ Verbindungen.
«Die autoritären Strukturen ähneln
sich und etwas eint nahezu alle
Korporationen: übersteigerte
Selbstidealisierung als Gruppenidentität
und übermäßiger Bierkonsum als
Disziplinarstrafe.»
Wieso vertreten so viele Burschenschaften in Deutschland dieses Weltbild?
Die „Burschenschaften“ entstammen einer militanten Nationalbewegung aus der Zeit nach dem Wiener Kongress, die in den „Befreiungskriegen“ Anfang des 19. Jahrhunderts gekämpft hatte oder gerne hätte. Aus dieser Zeit stammen viele der antifranzösischen Ressentiments, die sich auch heute noch bei „Burschenschaften“ wiederfinden. Zudem war es eine Zeit heftiger antijüdischer Pogrome, der sogenannten „Hep-Hep-Krawalle“, die bis heute im Antisemitismus der „Burschenschaften“ nachklingen.
Die Ermordung des nationalismuskritischen Aufklärers und russischen Generalkonsuls August von Kotzebue 1819 durch Karl Ludwig Sand, „Burschenschafter“ und Anhängers der „Turnerbewegung“ um Friedrich Ludwig „Turnvater“ Jahn, war der Auslöser der Karlsbader Beschlüsse und damit des Vormärz. Viele „Burschenschafter“ wähnen sich heute noch verfolgt und beziehen sich dabei auffallend häufig auf jene Zeit vor der gescheiterten Revolution 1848, die sie für sich reklamieren. Tatsächlich gab es damals diverse Strömungen innerhalb der Revolutionsbewegung und die heutigen AfD-Burschen sollten sich schämen, wenn sie sich auf die Radikaldemokrat:innen von einst berufen.
Das ursprüngliche Ziel hauptsächlich der „Burschen-“ und „Turnerschaften“ wurde 1871 mit der „Reichsgründung“ erreicht: die Schaffung eines deutschen Nationalstaats. Im Kaiserreich spielten diese beiden Spielarten von Studentenverbindungen zwar nur eine untergeordnete Rolle, aber in der jüngeren deutschen Geschichte waren schlagende Studentenverbindungen immer an vorderster Front, wenn es darum ging, Verbrechen zu begehen: als Soldaten im deutsch-französischen Krieg vor der „Reichsgründung“, als kaiserlicher Kolonialmacht in Afrika, als Soldaten im ersten Weltkrieg, als Freikorps in der Weimarer Republik und als Nazis im „Dritten Reich“. Keiner dieser verbrecherischen Kriege wäre ohne „Waffenstudenten“ möglich gewesen.
Immer wieder kommt es zu gewaltsamen Übergriffen durch Burschenschaftler auf politische Gegner:innen. Wie ist das Gewaltpotenzial solcher Gruppierungen einzuschätzen?
Abgesehen von einigen militanten Korporierten, zumeist „Burschenschafter“, die dann oft auch noch Doppelmitgliedschaften in anderen faschistischen Organisationen und Parteien haben, ist das unmittelbare Gefahrenpotenzial eher gering. Zwar sind die versoffenen Burschen regelmäßig an auch gewalttätigen Auseinandersetzungen beteiligt, aber da unterscheiden sie sich nicht wesentlich von anderen rechten Männergruppierungen. Systematische Gewalt ist von ihnen eher durch die Übernahme staatlicher Institutionen oder Regierungen zu erwarten: Korporationen sind eine grundsätzliche Gefahr für die Demokratie.