vonericbonse 29.07.2019

Lost in EUrope

Eric Bonse, EU-Korrespondent der taz in Brüssel, schreibt hier all das über Europa und seine Krise(n), was die EU gerne verdrängen würde | Bild: dpa

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Mit Ex-Außenminister Boris Johnson als Premierminister in London wird ein harter Brexit noch wahrscheinlicher. Die EU ist nicht ganz unschuldig daran, dass es so weit gekommen ist.

Wie bitte? Die Europäer haben doch alles Menschenmögliche unternommen, um “Mays Deal” für den Brexit abzuschließen – es war ja auch der einzig mögliche Deal, nicht wahr? So geht der offizielle Diskurs, in Berlin genau wie in Brüssel. Doch er stimmt nicht.

  • Erstens war es nicht “Mays Deal”, sondern ein Barnier-und-Weyand-Deal (so hießen die beiden Brüsseler Unterhändler), der fast ausschließlich die europäische Handschrift trug. Weil sich die Briten nicht durchsetzen konnten, ist Johnson ausgestiegen!
  • Zweitens hätte die EU durchaus eine Chance gehabt, ihren Deal umzusetzen – wenn sie May entgegengekommen wäre. Die Premierministerin hatte für Nachverhandlungen ein Mandat der Unterhauses in London, doch Brüssel sagte “No”.

Deshalb ist die EU jetzt auch Mitschuld daran, dass May geht und Johnson kommt. Den Europäern war ihre Einheit wichtiger als eine Lösung des Brexit-Problems– was durchaus verständlich ist, aber nun unschöne und kaum beherrschbare Folgen hat.

Damit meine ich nicht nur die Tatsache, dass man künftig mit einem unberechenbaren Hasardeur verhandeln muß, der ein Chaos-Bündnis mit US-Präsident Donald Trump eingehen könnte. Der preist Johnson schon als “britischen Trump”…

Unschön ist auch, dass sich ab sofort wieder alles in der EU um den Brexit drehen wird. Der “Brexit break”, den sich Kommissionschef Juncker für die Zeit der Europawahl verordnet hat, ist beendet. Auch Nachfolgerin von der Leyen muss nun ‘ran.

Sogar das Europaparlament erwacht aus dem Tiefschlaf. Die Abgeordneten haben es bisher nicht einmal geschafft, das Austritts-Abkommen zu ratifizieren. Immerhin: Am Mittwoch wollen die Abgeordneten über die neue Lage diskutieren.

Vielleicht sollten sie mit der Frage anfangen, wie es eigentlich dazu kommen konnte, dass auch die Briten an der Europawahl teilgenommen haben, und dass nun dutzende Abgeordnete auf Abruf in ihren Reihen sitzen!?

Siehe auch “Planlos in den harten Brexit” und “Die Wahl-Farce ist perfekt”

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https://blogs.taz.de/lostineurope/bruessel-ist-nicht-ganz-unschuldig/

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kommentare

  • Es ist echt lustig, wie britische Medien immer wieder der EU den schwarzen Peter zuweisen wollen.
    Fakt ist, dass die EU May gleich am Anfang gesagt hatte, sie solle erst mal intern klären, was gewollt sei, bevor sie zu Verhandlungen nach Brüssel kommt. Hat sie nicht gemacht. Nie. Aber die Zeit lief davon. Also hat sich die EU zum Wohl der Briten doch schon auf Verhandlungen eingelassen – in der Hoffnung, dass May die interne Einigung rechtzeitig nachliefert. Hat sie nicht gemacht. Und die EU wird jetzt für ihre Gutmütigkeit abgestraft… In der Logik britischer Politiker ist das genau das, was passieren sollte. Denn sie haben ja schon seit Jahre immer die EU für ihre eigenen Politikfehler als Sündenbock benutzt. Daher ja auch die Anti-EU-Stimmung im Land. Und der bequeme Sündenbock wird demnächst durch den Brexit abgeschafft. Da muss man noch einmal maximal Kapital daraus schlagen!
    Meine große Sorge dabei ist, dass britische Politiker ohne bequemen Sündenbock auf ein anderes historisch sehr erfolgreiches Mittel zurückgreifen werden, um von den eigenen Fehlern abzulenken: einen Krieg anzetteln. Das bringt die eigene Bevölkerung hinter die Politiker. Und der Umgang mit der Frage zur irischen Grenze deutet da bequemes Potential an…
    Ich hoffe sehr, dass ich mich irre!!!

  • Was hätte die EU denn anders machen sollen? Allen britischen Minderheiten nachgeben, und sowohl dem No-Deal-Lager, als auch den Remainern, als auch den Wir-wollen-eigentlich-nur-Neuwahlen-die-EU-ist-Egal-Corbyns jeweils das genehme ins Abkommen zu schreiben? Und die Grenze zwischen Nordirland und der irischen Republik gleichzeitig (wie im Karfreitagsabkommen festgelegt) unkontrolliert lassen, wenn das UK seine Migration kontrollieren will? Und anders herum will sich das UK nicht mehr an die EU-Handelsvorschriften halten, aber freien Warenaustausch behalten? Das eine, große Problem ist nicht, dass die EU unnachgiebig wäre, sondern dass sich das UK nicht einigen kann, was es will. Und jetzt sitzen die No-Dealer einfach am längeren Hebel: Sie können alle anderen am langen Arm verhungern lassen, denn der No-Deal kommt, wenn bis ~30.Oktober nichts anderes beschlossen wird.

  • Um auch mal die eigentluchen Maengel des Abkommens zu benennen:
    Der ausgehandelte Vertrag hatte nach meinek Verstaendnis der Diskussion keine Kuendigungsoption fuer das UK, bei dem im Grundsatz dasselbe Ergebnis wie mit einem Hard Brexit einige Jahre spaeter erreicht werden koennte (abgesehen von den bis dahin geklaerten Ausstiegskosten und der bis dahin verstrichenen Zeit).
    Ausserdem gab es noch nicht einmal eine umfassende Regelung aller kuenftigen Beziehungen, sondern eine Art Verhandlungsabsicht plus Regelung fuer die Dauer der Verhandlung plus Backstop fuen Fall des Schweiterns – und genau dieser Backstop ohne Kuendigungsoption war dann eben der dealbreaker. UK wollte kein EU-Protektorat werden. Verstaendlich.

  • Das ist so ein Kommentar, den man glauben könnte, wenn man den ganzen Tag britische News liest.

    Aber es ist Quark.

    Erstens hat May das Abkommen verhandelt und mit der EU abgemacht. Ratifizierung ist ihre Sache, nicht die der EU. Wenn man ein Abkommen von der Tragweite nicht ratifizieren kann, weil eine Regierungsmehrheit fehlt, hat man als Regierungschef zurückzutreten.

    Zweitens hat das House of Commons nicht gesagt, was es will. May hat von Anfang an lauter rote Linien. Wenn das House of Commons aus seltsamen Gründen dieses Abkommen ablehnt und dann irgendwelche Gründe herbeizaubert wie den britisch vorgeschlagenen Backstop aus fadenscheinigen Risikobetrachtungen ablehnt, okay. May hat nicht klar gemacht wie ein alternatives Abkommen aussehen würde.

    Was soll man mit jemanden verhandeln, wenn er keine technisch mögliche Lösung anbietet.

    „Damit meine ich nicht nur die Tatsache, dass man künftig mit einem unberechenbaren Hasardeur verhandeln muß, der ein Chaos-Bündnis mit US-Präsident Donald Trump eingehen könnte.“

    Nein, die EU braucht nicht zu verhandeln. Man verhandelt nicht zwei Jahre und läuft dann weg. Auch Johnson kann kein unmögliches Abkommen erhalten.

    Johnson hat überhaupt nichts in der Hand.

    • Tja, May ist zurückgetreten, und „ihr“ Deal wurde nicht ratifiziert. Damit ist er – jedenfalls aus britischer sicht – hinfällig. Erst wenn man das akzeptiert, kann man eine vernünftige neue Strategie entwickeln. Sonst bleibt nur der No Deal, fürchte ich…

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