vonericbonse 21.05.2022

Lost in EUrope

Eric Bonse, EU-Korrespondent der taz in Brüssel, schreibt hier all das über Europa und seine Krise(n), was die EU gerne verdrängen würde | Bild: dpa

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Kremlchef Putin hat sich getäuscht – die Nato ist stärker und entschlossener denn je: So lautet der offizielle Spin in Brüssel. Er mischt sich mit einer gehörigen Portion Schadenfreude. Statt die Nato von Russland fernzuhalten, rücke sie ihm nun, mit dem Beitritt Finnlands und Schwedens, noch mehr auf die Pelle.

Tatsächlich weitet sich bald die Landgrenze zu Russland aus – um satte 1300 Kilometer, die Finnland mit seinem östlichen Nachbarn teilt. Doch das bedeutet nicht unbedingt einen Gewinn für die Nato. Im Gegenteil: Die neue Nordfront wird größer – und schwerer zu sichern.

Auch sonst sieht es nicht gut aus mit dem Sicherheitsversprechen der weltgrößten Militärallianz. Der Ukraine hat sie nur Unglück gebracht. Ohne den Nato-Beitrittswunsch in Budapest 2008 wäre es womöglich nie zum Krieg mit Russland gekommen, wie eine Expertin sagt.

Es war eine Entscheidung von US-Präsident George W. Bush und Vizepräsident Dick Cheney, und zwar nicht nur gegen den Rat der Geheimdienste – ich war ja damals National Intelligence Officer und weiß es daher mit Sicherheit –, sondern auch gegen den Rat vieler wichtiger Beamter, die den Schritt für einen Fehler hielten. Das Resultat ist bekannt: Wir bekamen die schlechteste aller vorstellbaren Lösungen.

Fiona Hill in Karenina

Aus dem Ukraine-Desaster hat die Nato bis heute keine Lehren gezogen. Man tut einfach so, als habe man damit nichts zu tun – und holt sich neue Mitglieder.

Doch selbst Schweden und Finnland können den nun geplanten und mit viel Vorschußlorbeeren gefeierten Beitritt nicht genießen. Denn die Türkei hat ein Veto eingelegt.

Beide Kandidaten wollten mit der Unterstützung von “Terrororganisationen” weitermachen, aber gleichzeitig die Zustimmung der Türkei für eine Nato-Mitgliedschaft, bemängelte Sultan Erdogan. “Das ist milde ausgedrückt ein Widerspruch.”

Das sind wirre Worte, mit denen Erdogan wieder einmal seine islamistische und imperialistische Politik im Nordirak und in Syrien bemänteln will. Aber sie könnten eine Nato-Krise einlösen. Denn niemand weiß, was Erdogan wirklich will.

Geht es um die Auslieferung von kurdischen Aktivisten? Um Waffen aus den USA? Um ein Bekenntnis der Allianz zum türkischen Einmarsch in den Kurdenregionen?

Klar ist nur eins: Mit der Einheit im Bündnis ist es offenbar doch nicht so weit her. Der “Hirntod”, den Frankreichs Staatschef Macron vor Jahren mit Verweis auf die Türkei diagnostizierte, ist immer noch nicht überwunden.

Denn der türkische Sultan sorgt weiter für Unsicherheit – in der Nato und on the ground, etwa in Griechenland. Auch dort hat sich die Lage nicht entspannt, im Gegenteil: Der griechische Luftraum wird von der Türkei sogar noch öfter verletzt als der schwedische von Russland…

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