vonericbonse 12.11.2022

Lost in EUrope

Eric Bonse, EU-Korrespondent der taz in Brüssel, schreibt hier all das über Europa und seine Krise(n), was die EU gerne verdrängen würde | Bild: dpa

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Die “rote Welle” ist ausgeblieben, Donald Trump ist geschwächt: In Brüssel wurde das Ergebnis der Midterm-Wahlen in den USA mit Erleichterung aufgenommen. Doch die EUropäer sollten sich nicht zu früh freuen. Die besten Zeiten mit Präsident Joe Biden sind vorbei.

Selbst wenn Biden nicht mit großem Gegenwind aus dem Kongress rechnen muss – was abzuwarten bleibt, bisher sieht es eher nach einem Patt aus – wird der transatlantische “Honeymoon” nicht weitergehen. Im Gegenteil: Für die EU wird es ernst.

Besonders deutlich ist dies in der Handelspolitik: Biden ist wie sein Amtsvorgänger Trump auf einen protektionistischen Kurs geschwenkt. Mit seinem „Inflation Reduction Act“ könnte er einen transatlantischen Handelskrieg vom Zaun brechen.

Es gilt aber auch für die Energiepolitik: Die EU hat sich zwar aus der Abhängigkeit von Russland gelöst – dafür hängt sie nun am Tropf der USA. Doch die LNG-Lieferungen werden nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken, wie sogar Brüssel warnt.

Auch der Wirtschaftskrieg, den die EU am Rockzipfel der USA gegen Russland angezettelt haben, erweist sich als Bumerang. Die USA sind die größten Gewinner, die EU zählt zu den Verlierern. Die nahende Rezession wird zur Zerreißprobe.

Derweil wird der Krieg in der Ukraine noch gefährlicher. Biden positioniert die US-Streitkräfte immer näher an die Grenzen Russlands, das größte Atom-U-Boot nimmt Kurs aufs Schwarze Meer. In Deutschland wird ein neues US-Hauptquartier eingerichtet.

Gleichzeitig erhöht Biden den Druck auf die Europäer, sich mit mehr Waffen und mehr Geld noch engagierter in die Schlacht zu werfen. Denn die USA bereiten sich auch noch auf einen Krieg mit China um Taiwan vor; er könnte schon bald beginnen.

Europäische Interessen verteidigen

In dieser Lage muß die EU endlich europäische Interessen verteidigen und sich von den USA absetzen. Sie muß beim Handel Zähne zeigen, die Sanktionen gegen Russland überprüfen, in der China-Politik auf Mäßigung drängen.

Außerdem braucht sie eine eigene Ukraine-Strategie, die den Krieg begrenzt und beendet, statt ihn wie bisher auszuweiten und zu verlängern. Der russische Teil-Rückzug aus Kherson ist eine große Chance für die Diplomatie.

Doch die EU-Außenminister denken gar nicht daran, eine diplomatische Initiative zu starten. Stattdessen bereiten sie neue, noch härtere Russland-Sanktionen vor, auch der Ton gegen China wird immer rauer.

Die meisten EU-Politiker haben nicht einmal erkannt, dass ein “Weiter so” den eigenen Interessen widerspricht. Sie vertrauen weiter auf Biden – dabei wird er nach den Midterms noch weniger Rücksicht auf Europa nehmen…

Siehe auch “Die größte Abhängigkeit” und “China, Ukraine, Krieg: Wo bleibt das europäische Interesse?” sowie Ukraine-Krieg: USA erwägen Verhandlungen – und sorgen sich um die EU

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https://blogs.taz.de/lostineurope/der-honeymoon-ist-vorbei/

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