Der russische Angriffskrieg in der Ukraine wirft viele ernste Fragen auf – auch zur deutschen Russland-Politik. Allerdings sollte man sich vor vorschnellen und allzu einfachen Antworten hüten, wie sie die Neocons verbreiten.
Sie erinnern sich? Die Neocons waren jene sympathischen Herrschaften, die den Irakkrieg von Bush jr. herbeigeredet haben. Sie sind für mindestens 100.000 Tote in Irak mitverantwortlich – und wollten die Ukraine schon 2008 in die Nato aufnehmen.
Heute behaupten sie, Kanzlerin Merkel sei mitschuld am Ukrainekrieg, weil sie sich damals gegen den Beitritt stellte. Von “Appeasement” ist die Rede und davon, dass Kremlchef Putin schon immer imperiale Pläne gehabt habe, seit dem Georgien-Krieg 2008 sei alles klar gewesen.
Doch das ist falsch.
Den Georgien-Krieg hat nicht Putin provoziert, sondern der damalige georgische Machthaber Saakaschwili, der von den USA gestützt und beraten wurde. Der Krieg wurde nicht durch “Appeasement” beendet, sondern durch französisch-europäische Krisendiplomatie.
Ebenso falsch ist es, Merkel einen Verrat an der Ukraine vorzuwerfen. Sie war es, die die Minsker Abkommen ausgehandelt hat, die den Krieg im Donbass beenden sollten. Sie genoß Autorität – auch über Putin. Wäre sie noch an der Macht, hätte er womöglich nicht zugeschlagen.
Aber die Gaslieferungen, die energiepolitische Abhängigkeit!? Das ist in der Tat ein Problem, bzw. wurde zum Problem. Auch mir ist unverständlich, wieso Merkel ihren Kurs nach der Annexion der Krim fortsetzte, Nord Stream 2 vorantrieb und sogar Gasspeicher an Gazprom verkaufte.
Offenbar wurde sie vom merkantilistischen Denken getrieben, das wir in diesem Blog immer kritisiert haben. Mit Appeasement hatte das aber nichts zu tun – im Gegenteil: Zuletzt hat auch Merkel ihren Kurs gegen Putin deutlich verschärft.
Wir haben hier schon vor einem Jahr die Kalte-Kriegs-Atmosphäre beklagt, die sich in Berlin und Brüssel breit machte. Und wir haben auf die Nato-Manöver hingewiesen, mit denen die Ukraine gegen Russland in Stellung gebracht wurde, unter deutscher Beteiligung.
Für Putin war das eine Provokation, also das Gegenteil von Besänftigung. Auch dass sich Deutschland und Frankreich auf die Seite der Ukraine schlugen und nichts unternahmen, um das Minsk-Agreement auch in Kiew durchzusetzen, war in seinen Augen ein Affront.
Kurz: Am Vorwurf des Appeasements ist nichts dran. Die Neocons bauen einen Popanz auf, um von ihrem eigenen Versagen abzulenken – auch in der Ukraine. Nach Ansicht der meisten Experten war die Einladung in die Nato 2008 ein Fehler, der mit zum Krieg führte.
Doch das verdrängen die Neocons, jede Debatte über den (westlichen) Weg in den Abgrund wird tabuisiert. Das ist gefährlich – denn als nächstes könnten die Hardliner versuchen, Deutschland und die EU in einen Krieg gegen Russland zu ziehen…
Mehr zu Russland und zum Krieg in der Ukraine hier.
Ich finde den Gedanken interessant, dass Putin vielleicht nicht so weit gegangen wäre, wenn Merkel noch im Amt wäre. Kürzlich fiel mir auf, dass zweimal Rot-Grün im Bund auch zweimal Krieg in Europa zur Folge hatte. Ein Treppenwitz der Geschichte, oder die Folge einer schwachen Regierung?