vonericbonse 05.02.2022

Lost in EUrope

Eric Bonse, EU-Korrespondent der taz in Brüssel, schreibt hier all das über Europa und seine Krise(n), was die EU gerne verdrängen würde | Bild: dpa

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Offiziell ist noch nichts entschieden. Man suche immer noch den Dialog mit Moskau, heißt es in Brüssel und Washington. Die Vorbereitung von Sanktionen diene nur der Abschreckung vor einem Krieg.

Doch wenn man sich den Strafkatalog ansieht, den die US-Agentur “Bloomberg” enthüllt hat, beschleicht einen ein anderes Gefühl. Die Maßnahmen klingen nicht nach Abschreckung – sondern nach Wirtschaftskrieg.

Sie umfassen alle für Russland lebenswichtigen Sektoren – von der Energie über die Banken bis hin zu strategisch wichtigen Technologien. Und sie zielen darauf, das Land von seinem wichtigsten Markt auszusperren – EUropa.

Hier eine Übersicht der Folterwerkzeuge, den sich die USA – unter aktiver Beteiligung der EU-Kommission – ausgedacht haben. Es ist das massivste Sanktionspaket, das Washington und Brüssel je ausgeheckt haben:

Banken und Finanzmarkt

Russland soll vom Finanzmarkt abgeschnitten werden – entweder über SWIFT oder durch gezielte Maßnahmen gegen große Banken. Das Ziel ist offenbar, das Land in den Ruin zu treiben – denn die Refinanzierung der Schulden soll erschwert werden. Allerdings ist Russland derzeit nicht auf frische Schulden angewiesen, es gibt sogar große Reserven.

Energie und Rohstoffe

Neben dem Aus für Nord Stream 2 planen die USA auch, die Förderung und den Transport von Erdgas zu behindern, etwa durch ein Embargo bei wichtigen Technologien. Auch Beschränkungen bei Stahl, Eisen und wichtigen Chemikalen werden erwogen. Allerdings kann Russland diese Sanktionen relativ leicht umgehen – durch engere Zusammenarbeit mit China.

High-Tech und Luxusgüter

Washington plant ein umfassendes Embargo, das von Halbleitern und Quantum-Computern über Güter für die Luft- und Raumfahrt bis hin zu KI gehen könnte. Auch Exportbeschränkungen für russische Luxusgüter sind im Gespräch. Offenbar geht es darum, Russland um Jahre zurückzuwerfen – selbst die bewährte Kooperation im Weltraum würde geopfert.

Unklar ist, ob es sich um Maximalforderungen handelt, mit denen die USA die EU zu Zugeständnissen bewegen will – oder um ein Gesamtpaket, das nicht mehr aufgeschnürt wird.

US-Präsident Biden legt Letzteres nahe. Die Sanktionen würden nicht schrittweise erlassen, sondern auf einen Schlag – mit dem Ziel, Russlands Wirtschaft entscheidend zu schwächen, heißt es im Weißen Haus.

While our actions and the EU’s actions may not be identical, we are unified in our intention to impose massive consequences that would deliver a severe and immediate blow to Russia and over time make its economy even more brittle and undercut Putin’s aspirations to exert influence on the world stage.

The White House

Offenbar geht es Washington längst nicht mehr “nur” darum, Moskau von einem Krieg in der Ukraine abzuhalten. Es geht um einen umfassenden Wirtschaftskrieg, wie er bisher noch nie geführt wurde.

Dieser Wirtschaftskrieg richtet sich nicht nur gegen Russland – sondern gegen alle, die mit dem Land (noch) Handel treiben. Das zeigen die Erfahrungen mit dem Präzedenzfall Iran.

Im Kern geht es um die EU und Deutschland. Mit ihrem Strafkatalog zeigen die USA den EUropäern, dass sie besser daran täten, sich von Russland abzukoppeln – je schneller, desto besser.

Der Clou ist, dass die EU-Kommission die Vorbereitungen zum “Decoupling” mitmacht. Sie predigt ein “souveränes Europa” – und begibt sich in immer größere Abhängigkeit von den USA…

Siehe auch “Von der Leyens heißer Gasdeal mit Biden”

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https://blogs.taz.de/lostineurope/russland-in-den-ruin-treiben/

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kommentare

  • Der Einmarsch in die Ukraine muss einen hohen Preis für Russland haben, sonst macht die Abschreckung keinen Sinn. Sanktionen werden immer auch zu Lasten der Europäer gehen. Wenn wir diesen Weg aber nicht gehen wird Russland irgendwann an Deutschlands Grenzen stehen.
    Der Agressor ist Putin der die UDSSR am liebsten wieder herstellen will.

  • Die Beweisführung des Blog-Autors, den ichsnst schätze, lautet hier also: such es dir selber zusammen… Also, zumindest einen Link zum Handelsblatt-interview wäre nett gewesen, wenn ich mir schon die Arbeit machen soll, für die ich sonst Geld an journalistische Publikationen zahle.

  • Die EU sollte sich eher von den USA entkoppeln. Das Land wird immer radikaler, nach innen und nach außen. Ich heiße auch nicht alles gut was China oder Russland machen, aber wenn man den Dialog verweigert indem man Länder als non-grata deklariert, dann treibt man diese Länder dazu sich zu wehren.

    Die EU sollte hier eine neutralere Position einnehmen, und als Vermittler auftreten, ohne die eine oder die andere Seite ohne Rücksicht auf Verluste zu unterstützen.

    Aber das wird wohl nicht passieren solange die EU sich selbst nicht wandelt, weg von einem lobby-gesteuerten Bürokratenapparat hin zu einer demokratischen Union.

  • Ich will ja nicht ausschließen, dass die USA Russland wirtschaftlich ruinieren wollen – das würde der kaptalistischen Logik ja durchaus entsprechen. Allerdings: Der Artikel behauptet das zwar, bleibt aber jeden Beweis, dass es gar nicht um die Ukraine geht, schuldig. Bis jetzt werden die Sanktionen immer noch als eine Konsequenz für einen möglichen Einmarsch in die Ukraine gehandelt – die Behauptung, dass es anders ist, bleibt hier unbewiesen.
    Ich bin nicht für Säbelrasseln, nicht für eine Eskalation. Ein Regierungschef, der einfach Grenzen verschiebt, auf der Krim, im Donbas, versteht aber wohl nichts anderes, als die massive wirtschaftliche Drohung. Und da auch China keine Scheu hat, Taiwan im geeigneten Moment zu überfallen, ist eine rechtzeitige Drohung an anderer Stalle vielleicht nicht ganz falsch.
    Dass Europa sich von den USA abhängig macht, sehe ich weder für die Bundesrepublik, die Waffenblieferungen verweigert, noch für Frankreich, dessen Präsident gerade in Moskau die legitimen Sicherheitsinteressen Russlands betont.
    Ich kann diesem Artikel wenig abgewinnen. In jedem Fall würde ich mir Belege für die aufgestellten Behauptungen wünschen!

    • Lesen Sie einfach die zitierten Passagen aus dem Weißen Haus im Original nach. Oder das Interview von Frau von der Leyen im „Handelsblatt“. Und überzeugen Sie sich selbst, dass es hier um einen Wirtschaftskrieg geht, wobei Öl und Gas wie so oft eine zentrale Rolle spielen!

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