vonHans Braumüller 20.06.2025

Meta + Post

Meta + Post ist ein Blog des Künstlers Hans Braumüller über Mail Art und die Kunst des Lebens.

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Die Publikation Co+Poetry – Interferencias Múltiples (Vielfache Interferenzen), die von Gregorio Berchenko und Hans Braumüller gestaltet ist, geht zwei Wege. Einerseits die Kenntnis des Werks der beiden Künstler, die sich für ihre unterschiedlichen Wege und ästhetischen Visionen einsetzen. Andererseits geht es um eine Erinnerungsübung, die darauf abzielt, die nachhaltigen und dauerhaften kreativen Aktivitäten von Gregorio Berchenko und Hans Braumüller in ihren bildhauerischen und malerischen Werken und insbesondere in ihrer Teilnahme an der künstlerischen Strömung der Mail Art und der Visuellen Poesie zum Ausdruck zu bringen.

Werk aus Co+Poetry
Werk aus Co+Poetry, Gregorio Berchenko und Hans Braumüller

Publikationsprojekte

Co+Poetry – Interferencias Múltiples (Vielfache Interferenzen), herausgegeben von Hans Braumüller, ist Teil eines langen Werdegangs dieses Künstlers und Herausgebers. In seinem ersten Publikationsprojekt war Hans Braumüller zusammen mit Rony Gullé und Ciro Beltrán Herausgeber der kollektiven Zeitschrift La Preciosa Nativa (Die schöne Einheimische), die zwischen 1987 und 1992 in Santiago de Chile herausgegeben wurde und an der sich Gregorio Berchenko bereits mit seiner Mail Art und Visuellen Poesie aus Paris, Frankreich, wo er im Exil lebte, beteiligte.

Origen-Ausstellung in Ausstralien, 1992
Origen-Ausstellung in Ausstralien, 1992

Das zweite Publikationsprojekt, Origen – 500 Jahre Völkermord und Kolonialismus, das zwischen 1991 und 1992 in Santiago de Chile durchgeführt wurde, bestand aus zwei Assemblage-Magazinen in limitierter Auflage von 100 Exemplaren in der ersten und 120 Exemplaren in der zweiten Auflage, an denen 96 Künstler aus 20 Ländern, darunter auch Berchenko, beteiligt waren. Ausstellungen in Chile, Deutschland und Australien im Jahr 1992.

Das dritte Publikationsprojekt, UNI/vers 0 – Tribute to Guillermo Deisler, 1996, an dem wiederum Gregorio Berchenko beteiligt war, enthält einen Essay von Clemente Padín: Das UNI/vers von Guillermo Deisler. Das Projekt wurde anlässlich des Todes dieses großen Künstlers im Jahr 1995 ins Leben gerufen, der zweifellos ein Mentor und Manager war, der die Mail Art und die Visuelle Poesie in ihrem besten Ausdruck und ihrer planetarischen Ausdehnung gefördert hat.

Für das UNI/vers 0 -Tribute-Portfolio, bei dem die gleichen Merkmale der UNI/vers(;)-Portfolio von Deisler beibehalten wurden, lud Braumüller Künstlerinnen und Künstler, die am UNI/vers(;)-Projekt teilgenommen hatten, das Deisler zwischen 1988 und 1995 in 35 Ausgaben entwickelt hatte, ein, sich an der Realisierung zu beteiligen.

Deislers Projekt UNI/vers(;) war eine internationale Kunstmappe mit Mail Art, visueller und experimenteller Poesie. Jede Ausgabe brachte Werke von bildenden Künstlern und experimentellen Dichtern aus der ganzen Welt zusammen und förderte die poetische Kommunikation ohne Zensur oder Grenzen.

Das Assemblage-Magazin UNI/vers 0 – Tribute to Guillermo Deisler wurde in einer limitierten Auflage von 100 Exemplaren veröffentlicht und umfasst insgesamt 58 Künstler aus vielen Ländern. UNI/vers 0 – Tribute to Guillermo Deisler wurde in der Gallery Public Library, St. Kilda, Australien, im Artestudio, Ponte Nossa, Italien, in Hamburg, Deutschland und in Temuco, Chile, ausgestellt.

Das Assemblage-Magazin UNI/vers 0 –  Tribute to Guillermo Deisler befindet sich in privaten und öffentlichen Archiven und Sammlungen wie den White Archives, USA; C15 Sammlung Ulla und Heinz Lohmann, Deutschland; Archivo Clemente Padín im Generalarchiv der Universidad de la República, Montevideo, Uruguay; MIDE-CIANT (Museo Internacional de Electrografía – Centro de Innovación en Arte y Nuevas Tecnologías), Universität von Castilla-La Mancha, Cuenca, Spanien; Archivo Guillermo Deisler, Centro Nacional de Arte Contemporáneo CNAC, Santiago de Chile.

Das vierte Projekt war die im Jahr 2019 erschienene Ausgabe Nr. 1 der Zeitschrift Artist Matter mit 177 Teilnehmern aus 34 Ländern. Es handelt sich um ein Magazin für Visuelle Poesie und Mail Art, an dem ebenfalls Gregorio Berchenko beteiligt war.

In der ersten Ausgabe der Zeitschrift Artist Matter widmet Braumüller Guillermo Deisler einen wohlverdienten Platz. Deisler ist bekannt für sein langes grafisches Werk und seinen visuellen Ausdruck. Braumüller stand acht Jahre lang mit Deisler in Verbindung, seit dieser an UNI/vers(;) Nr. 1 teilnahm. Darüber hinaus kreuzten sich die Wege von Berchenko und Deisler in der chilenischen Stadt Antofagasta und sie pflegten seitdem eine enge Freundschaft, die sogar zu sehr bitteren Momenten führte, wie beispielsweise, als sie im Februar 1974 gemeinsam ins Exil gingen. Seitdem wurden diese Bande der Freundschaft und des Schaffens in Ländern wie Bulgarien, Deutschland, Frankreich und Chile geknüpft, dem gemeinsamen Herkunftsland von Braumüller und Deisler.

Auf die erste Ausgabe von Artist Matter folgten vier kollaborative Magazine von Braumüller, die in Zusammenarbeit mit verschiedenen Künstlern entstanden sind, mit denen Braumüller seit Jahrzehnten im Dialog und Austausch steht. Im Jahr 2020 veröffentlichte Braumüller United in Mail Art (Vereint in Mail Art), eine von vier Autoren gemeinsam verfasste Publikation zur Geschichte der Mail Art. Ruggero Maggi (Italien), Chuck Welch (USA), Clemente Padín (Uruguay) und Hans Braumüller (Deutschland).

Es folgte Meta+Verse, eine Zeitschrift für visuelle Poesie und Mail Art, die er 2023 gemeinsam mit Ruggero Maggi aus Italien herausgab. Im selben Jahr veröffentlichte er in Zusammenarbeit mit der Zeitschrift Mail Art In Cyberspace einen Essay von Chuck Welch aus den USA. 2024 schließlich erschien No+Poetry, ein Magazin für visuelle Poesie und Collage mit Schwerpunkt auf Mail Art, das er mit Jürgen O. Olbrich aus Deutschland herausgab.

Begegnungen

Das von Braumüller bei dieser Gelegenheit vorgeschlagene Publikationsprojekt hat seinen Ursprung in seinem Besuch des Ateliers von Berchenko im  Valle de los Artistas (Tal der Künstlerinnen und Künstler) in der Gemeinde Lolol, Provinz Colchagua, Region O’Higgins, Chile, im Januar 2024. Auch wenn Berchenkos kreatives Schaffen zweifellos der Bildhauerei zuzuordnen ist – einem Schaffen, der im Mittelpunkt seiner Tätigkeit im öffentlichen Raum steht –, sind die von ihm plastisch geschaffenen Volumen und Formen auch Zeichen, Kalligramme oder Schriften. Diese ergänzen in gewisser Weise die hier vorgeschlagene grafische Gestaltung und die Visuelle Sprache.

Während dieses Treffens wählten Berchenko und Braumüller gemeinsam Werke von Berchenko aus, die die Grundlage für ihre gemeinsame visuelle Poesie bilden. Diese sind in der Ausgabe der Zeitschrift Co+Poetry – Interferencias Múltiples („Co+Poetry – Vielfache Interferenzen”) abgedruckt.

In dieser Publikation tritt Braumüller mit ausgewählten Werken Berchenkos in einen Dialog und schafft in dieser visuellen und materiellen Begegnung einen gemeinsamen, kollektiven Ausdruck einzigartiger Visueller Poesie. Berchenkos Werke werden zu Braumüllers Ausführung, wobei der Freund Deisler als Dritter anwesend ist.

Ist dieses Werk also von Braumüller, Berchenko oder dem abwesenden Deisler?

Berchenko produziert seit langem Visuelle Poesie und Mail Art, und zwar an weit voneinander entfernten Orten wie Antofagasta, wo Berchenko in den 1970er Jahren unter Mitwirkung von Deisler Knock-Out – Poemas Visuales veröffentlichte, und in Europa, wo Berchenko in den 1980er und 1990er Jahren mehrere Werke schaffen konnte.

Er war an den ersten Ausgaben von UNI/vers(;) als Mitherausgeber beteiligt und lud Braumüller ein, sich mit seiner Kunst an diesem Projekt zu beteiligen. Im Jahr 1991 produzierten Berchenko und Deisler bei einem Treffen in Paris eine limitierte Auflage von Collagen. 1993 entstand in Halle (Deutschland) das Künstlerbuch INTER X SECTION.

2018 wurde das Künstlerbuch Berchenko + Deisler, Poemas Visivos bei dem Verlag LOM in Santiago de Chile veröffentlicht. Es handelt sich um die Veröffentlichung eines Modells aus den 1970er Jahren, das von Deisler in dem Verlag Ediciones Mimbre veröffentlicht werden sollte. Sie geriet wegen des Militärputsches von 1973 in Vergessenheit, weil Guillermo Deisler deswegen inhaftiert wurde und später mit Gregorio Berchenko ins Exil ging.

Diese visuellen Gedichte gehörten zu den zahlreichen Dokumenten, die seine Witwe Laura Coll 2022 für das Guillermo-Deisler-Archiv aus Halle nach Chile brachte. Das Archiv wurde im Centro Nacional de Arte Contemporáneo CNAC (Zentrales Zentrum für Zeitgenössische Kunst CNAC) eingerichtet.

Die Kunstgeschichte ist eine dynamische Bewegung, die das Auftauchen neuer Generationen beachtet. 1987 schloss sich Braumüller an und brachte neue Vorschläge für die Mail Art ein, die sich mit dem Erscheinen verschiedener Künstlerinnen und Künstler vervielfachte und dieser Bewegung von vernetzten Künstlern, die Botschaften und Werke in der ganzen Welt austauschen, neues Leben einhauchte. Es ist genau das kreative Universum dieses Austauschs und Dialogs, das in dieser Edition zusammengeführt wird und ein Universum visueller Interferenzen und vielfältiger Visionen schafft.

Dieses Werk entspringt weder einem Konzept, noch einem Stil oder einer Ideologie, noch dem Ausdruck einer künstlerischen Strömung, sondern ist vielmehr eine Idee, offen für die Herausforderung einer Begegnung zweier Vertreter verschiedener chilenischer Generationen, die sich in einer kooperativen Poesie entfaltet und das Material in einen Traum von Utopie verwandelt und behauptet, dass eine andere Kunst möglich ist, jenseits des Marktes und seines monetären Transaktionswertes.

Die Zeitschrift Co+Poetry ist auf Issuu zu blättern und kann direkt bei Hans Braumüller für 20 Euro gekauft werden. Diese besteht aus 44 Seiten und wurde in einer Auflage von 500 herausgegeben, ist nummeriert und von beiden signiert.

Seite 23. Zeitschrift Co+Poetry
Seite 23. Zeitschrift Co+Poetry

Gregorio Berchenko (1939)
Studium der Bildenden Künste, Spezialisierung auf Bildhauerei, Universidad de Chile. Spezialisierungsstudien in Belgrad und Frankreich. Er experimentiert mit der Gravur und der Bewegung der visuellen Poesie und der Mail Art.

Hans Braumüller (1966)
Studium der Bildenden Künste, Spezialisierung auf Malerei, Universidad de Chile. Geboren in Santiago de Chile, lebt und arbeitet in Hamburg, Deutschland. Seine Arbeiten sind in privaten und öffentlichen Sammlungen und Archiven zu finden.

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