vonHans Braumüller 04.11.2023

Meta + Post

Meta + Post ist ein Blog des Künstlers Hans Braumüller über Mail Art und die Kunst des Lebens.

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Die neuste Künstlerpublikation von Hans Braumüller veröffentlicht einen Essay des amerikanischen Künstlers Chuck Welch mit dem Titel ‚Mail Art im Cyberspace‘. Dieser Essay wirft einen Blick auf die spannende Schnittstelle zwischen der traditionellen Mail Art und der digitalen Welt. Chuck Welch beleuchtet die Entwicklung der Mail Art im Zeitalter des Internets und teilt Einblicke in die Pioniere, Projekte und Herausforderungen, die diese einzigartige Kunstform begleiten.

Cover vom Zine: Mail Art in Cyberspace
Cover vom Zine: Mail Art in Cyberspace. Cover: Cyberstamp by Hervé Fischer, 2021. Page Design by Chuck Welch

Im folgenden ist eine freie Übersetzung von Hans Braumüller von der englischen Kurzfassung des Essays, den Chuck Welch für die nächste Ausgabe von der Mail-Art-Zeitschrift Artist Matter #2 per Email geschickt hat.

„Wir vernetzen alle Kommunikationslinien im Netz und feiern Individualität, Vielfalt und Toleranz ohne Oligarchien, Arbitrage oder Grenzen und Mauern. „[1]

William Gibsons bahnbrechender Science-Fiction-Cyber-Roman „Neuromancer“ erschien 1984. In diesem Jahr experimentierten viele Mail-Art-Künstler erstmals mit digitalen Mail-Art-Bildern, gefolgt von Faxaustausch und schließlich Bulletin-Board-Systemen, Ezines und E-Mail-Webseiten in den 1990er Jahren.

EYE re:CALL, Telenetlink Project by Reid Wood
EYE re:CALL, Telenetlink Project by Reid Wood

Der erste Teil des Essays von „Mail Art in Cyberspace“ erklärt, wie die „Schneckenpost„(snail mail) mit der digitalen Cyberwelt der 1980er Jahre verschmolz. Mail Art im Cyberspace ist ein Thema, das in der Geschichte der Mail Art bisher nur selten behandelt wurde. Welch, ein Aktivist, hat die ersten Mail-Art-Kontaktlisten, Online-Mail-Art-Ausstellungen und ein Virtual-Reality-Kunstmuseum, das Electronic Museum of Mail Art (EMMA), geschaffen. Netshaker Press veröffentlichte seine Berichte aus erster Hand, eine historische Übersicht, die erklärt, wie die Mail Art (Kunst als Briefsendung) in den 1980er und 1990er Jahren mit der digitalen Cyberwelt verschmolz. Pioniere der Mail Art und ihre Projekte werden vorgestellt. Eine Chronologie der Ereignisse zeigt, wie sich das analoge Mail-Art-Netzwerk mit der Telematik-Kunst durch das Telenetlink-Projekt auf der 16. Biennale von Sáo Paulo 1991 verband.

Electronic Museum of Mail Art, 1995Image by Piermario Ciani and text by Chuck Welch
Electronic Museum of Mail Art, 1995
Image by Piermario Ciani and text by Chuck Welch

Mail Art: Zukunft oder Abriss?

Mit der Jahrtausendwende brachte das neue Jahr 2000 die Mail Art näher an den Cyberspace. Das neue Jahrzehnt läutete Ruud Janssens Internetseite I.U.O.M.A., The International Union of Mail Artists, ein, eine vielschichtige Mail Art-Plattform, die seit 2008 zeitgenössische Mail Art-Künstler inspiriert und ausbildet.[2]

Informationen über Mail Art und die Beziehung zum Internet im einundzwanzigsten Jahrhundert haben aufgrund der doppelten Pandemie von sozialem Lockdown und COVID-19 mehr Interesse geweckt. Bemerkenswert sind Mail-Art-Websites und -Blogs, die in den letzten zwei Jahrzehnten entstanden sind, insbesondere Websites wie das Neil Lomholt Mail Art Archive, das digitale Aufzeichnungen über den Austausch von Kunstwerken, Briefsendungen und Korrespondenz aus den Jahren 1970-1985 enthält.

Vom 1. Oktober bis 10. Dezember 2014 zeigte das Museum of Modern Art Library die Ausstellung Analog Network: Mail Art, 1960-1999, eine Ausstellung, in der einige Online-Projekte von Chuck Welch, darunter Telenetlink, in Vitrinen zu sehen waren. Belege für die Online-Ästhetik in Netzwerken erschienen in dem New-Net von Chuck Welch, 2012. Chuck Welch übersetzte das Manifest in vier Sprachen und verbreitete es weltweit über Post, Kunstblogs, E-Mail und Webseiten. Das Manifest fand 2012 auch seinen Weg ins Internet durch Live-Übertragungen auf vier Galeriekongressen, die in vier Zeitzonen weltweit stattfanden. Insgesamt gab es etwa sechzig Unterzeichner des A New-Net Freedom Manifesto, das den Mail-Art-Net-Cyberstempel von Chuck Welch enthielt, der Mail Art als erste globale Netzkunst proklamierte. Das „A New-Net Freedom Manifest“ spiegelt das Konzept des Eternal Network wider.

Offline und Online Vernetzung

Eine Veranstaltung der weltweiten Netzwerker-Kongresses von 1992 fand vom 2. bis 4. November 2012 in Roanoke, US-Bundesstaat Virginia, während des jährlichen stadtweiten Marginal Art Festivals statt. Drei Theoretiker, visuelle Poeten und Performance-Künstler aus Roanoke, Virginia, Jim Leftwich, Warren Fry, Performer, und Olchar Lindsann, veranstalteten einen Telekommunikationsknoten als Mail-Art-Show, Performance-Kunst und ein globales Skype-Event in der Liminal Gallery in Roanoke.[3]

Reid Wood und Reed Altemus, zwei Telenetlink-Projektmoderatoren aus dem Networker-Kongressjahr 1992, performten visuelle Poesie, führten Neo-Fluxus-Partituren auf und stellten improvisierte Klang-Events vor. Über Facebook aus England waren Phillip Barnes‘ Assembly of Mailed Materials und Ann Haycock mit Performance, Dokumentation und Dialog dabei.

Die Ehepartner und Mail-Art-Künstler*innen John M. Bennett und Catherine Mehrl Bennett, nahmen auch am Roanoke Congress teil. Ebenfalls im Veranstaltungskatalog aufgeführt waren Bill Beamer, Suzan Hughes, Matt Ames, Nico Vassilakis und Crag Hill. Im Geiste von Robert Fillious Eternal Network und Dick Higgins‘ intermedialer Haltung haben die Veranstalter lokale/globale Networking-Events mit Performances, Lesungen, Mail Art, Skyping, Twitterings und Social Media-Aktivitäten durchgeführt. Die Organisatoren benutzten das Internet, um die Kongresse in England, Serbien, Italien, Kanada und Argentinien zu verbinden, wo die Performance-Künstlerinnen Graciela Gutiérrez Marx und Susana Lombardo das 2012 New-Net Freedom Manifesto vorgelesen haben.

Crosses of the Earth, Museo de Arte Contemporáneo (MAC), Santiago,Chile, January 17 - 26, 2000.
Crosses of the Earth, Museo de Arte Contemporáneo (MAC), Santiago,
Chile, January 17 – 26, 2000. Ein Kunstnetzwerkprojekt von Hans Braumüller

Ist die Mail Art in der Zeit stehen geblieben?

Der ehemalige Präsident Donald Trump drohte im September 2020 damit, das 246 Jahre alte Postamt der Vereinigten Staaten aufzulösen und es an kommerzielle Anbieter auszulagern. Besonders besorgniserregend war die Stilllegung von 671 Sortiermaschinen in neunundvierzig Bundesstaaten. Diese Sortiermaschinen, die in der Lage sind, 21,4 Millionen Poststücke pro Tag zu befördern, wurden aus dem Verkehr gezogen. Eine Anordnung, die das Recht der Amerikaner bedrohte, nur wenige Monate vor einer nationalen Präsidentschaftswahl per Briefwahl zu wählen.

Die Zukunft der Mail Art ist auf einem unsicheren Weg, über den man nur spekulieren kann. Die internationale Kunstpresse betrachtete die Rolle der Mail Art während der Pandemie als Low-Tech-Alternative zum Internet, als eine langsamere Flucht aus der Abriegelung durch den Austausch physischer Kunstwerke. In Art Newspapers schrieb Brian T. Leahy:

„… der Akt des Versendens von Kunst in einer Krise hat eine neue Dringlichkeit erhalten“.

Art Newspapers berichtete jedoch nicht darüber, wie Mail-Art-Künstler dem Lockdown entkamen, indem sie High-Tech-Mail-Art-Zoom-Konferenzen nutzten. Die kanadische Collage-Künstlerin Gerda Osteneck und der in Brooklyn lebende Mail-Art-Künstler und Verleger Joel Cohen initiierten Online-Zoom-Events. Mit der Hilfe von mehr als einem Dutzend anderer nordamerikanischer Mail Art „Zoomer“ geben sie nun ZMAG (Zoom Mail Art Group) heraus.[4]

NET by Chuck Welch, Cyberstamp, 2012
NET by Chuck Welch, Cyberstamp, 2012

Die Kluft zwischen der Mail Art im Internet und der traditionellen Post per Zustellung hat sich über viele Jahre hinweg gehalten. Dennoch hat die globale Pandemie in Projekten wie ZMAG bewiesen, dass unterschiedliche Auffassungen von Kunst nebeneinander existieren können, ohne sich zu bekämpfen. Ob analoge Mail Art oder digitale E-Mail-Kunst, Künstler brauchen einander mehr denn je. Kreativität ist ein Weg zur Wiedergeburt, denn ohne Kunst haben wir kein Gefühl für die Beziehung zu anderen. Ob im Internet oder im „Outernet“, Kunst kann heilen, inspirieren und vereinen. Mit dieser Vision müssen wir gemeinsam für die letzte große Revolution etwas schaffen – für unsere Mutter Erde.

Chuck Welch’s „Mail Art in Cyberspace“ kann in vollem Umfang bei crosses.net/cyberspace/ gelesen werden und kann von Hans Braumüller als Zeitschrift für 20,00 Euro bestellt werden. Die digitale Version der Zeitschrift gibt es auf Adobe hier.

[1] Chuck Welch, A New-Net Manifesto 2012, https://www.academia.edu/46542946/A_Manifesto_-for_the_New_Net_2012

[2] Ruud Janssen, International Union of Mail-Artists – IUOMA, Siehe https://iuoma-network.ning.com. Zugriff am 8. Juli 2021

[3] Galerien in Cornwall (Vereinigtes Königreich), Odzaci (Serbien), Ponte Nossa (Italien) und Roanoke, VA (USA) richteten Kongresse aus und dienten als Download-Sites und Dokumentationszentren mit der Möglichkeit, über Skype und Secondlife mit darstellenden Netzwerkern in Kontakt zu treten. Die Aufführungen und Aktivitäten wurden von allen 4 Standorten aus mit Hilfe von Bambuser und Livestream live übertragen.

[4] Gerda Osteneck, „ZMAG-Zoom MailArt Group – A Brief History“ E-Mail an Chuck Welch von Gerda Osteneck vom 17. Juni 2021.

Crosse.Net Cyberstamp von Hans Braumüller
Crosse.Net Cyberstamp von Hans Braumüller, 2022

 

 

 

 

Zum aktuellem Mail Art Projekt: M.A.D – Mail Art Day

 

 

 

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