vonHans Cousto 03.09.2010

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Diese Worte fand ich nicht in Überschriften von Artikeln in der Boulevardpresse, nein, sie krönten eine Pressemitteilung der Deutschen Hauptstelle für Suchtgefahren e.V (DHS) vom 12. August dieses Jahres. Der ganze Titel der Pressemitteilung lautet: »Muschi, Ficken und Arschgeweih – Deutscher Werberat versagt!«

Deutscher Werberat versagt!

Beim Deutschen Werberat weiß die rechte Hand nicht was die linke tut. Ein ums andere Mal wird deutlich, dass die so genannte »freiwillige Selbstregulierung der Werbewirtschaft« bei Alkoholwerbung nicht funktioniert. Sexistische Alkoholwerbung, auf Jugendliche gerichtetes Produktdesign neu erfundener Alkoholgetränke, Nutzung des positiven Images des Sports zur Verkaufsförderung – all dies ist in Deutschland unter dem Deckmantel der freiwilligen Selbstregulierung möglich. Offensichtlich ist der Werberat mit seinen Aufgaben völlig überfordert und wird der Flut neuartiger Werbemethoden und kreativer Werbestrategen nicht mehr Herr.

Unfähigkeit, Zufall oder bewusstes Verwirrspiel? Einige Beispiele für das heillose Durcheinander beim Deutschen Werberat: Auf der einen Seite rügt der Deutsche Werberat die Verwendung des Begriffs »Muschi« in der Alkoholwerbung für ein von den Herstellern selbsternanntes »Kultgetränk« und verkündet, »damit würden Frauen in unerträglicher Weise auf ihre sexuelle Funktion reduziert«. Auf der anderen Seite lehnt er eine Beschwerde der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) gegen die Verwendung desselben Begriffs in einer anderen Alkoholwerbung ab. Originalzitat: »Schließlich ist die Bezeichnung „Kalte Muschi“ unseres Erachtens auch nicht diskriminierend in Bezug auf Frauen.« Frage: Was gilt nun?

Der Hersteller des Likörs »Ficken« wird öffentlich gerügt mit der Begründung, die Bewerbung seines Produktes verstoße gleich mehrfach gegen die Grundsätze des Deutschen Werberats. Ist aber scheinbar nicht so schlimm, denn die Internetseite, über die das Getränk vermarktet wird, existiert weiter. Konsequenzen – Fehlanzeige!

»Pussywunder« bewarb auf Flyer und Internetseite eine Produktpalette verschiedener Spirituosen mit besonders sexistischen und geschmacklosen Namen. Zur Hintergrundgestaltung wurden nackte Frauensilhouetten verwendet. Auf Beschwerde von mehreren Seiten nahm der Deutsche Werberat Kontakt zum Betreiber auf, woraufhin dieser sich bereit erklärte, die Werbung zu ändern oder nicht mehr zu schalten. Die Seite ging tatsächlich vom Netz – aber nur, um die Produkte auf anderen Websites zu vermarkten. Nachhaltigkeit – für den Werberat ein Fremdwort!


Aber auch Hersteller allseits bekannter und absatzträchtiger Biermarken scheuen sich nicht, die Werbung für ihre Erzeugnisse so zu gestalten, dass sie als Ansprache von Kindern und Jugendlichen missverstanden werden kann. Dies zu verhindern, waren die Organisationen und Verbände der Alkoholproduzenten und der Werbewirtschaft einst vorgeblich angetreten. Doch die Verwendung jugendlicher Models, die Übernahme des Sprachstils der Jugendkultur, die Nutzung von Handys und sozialen Netzwerken wie »facebook« und »myspace« zur Verbreitung ihrer Marketingbotschaften sprechen eine entgegengesetzte Sprache: Hier werden gezielt junge Menschen angesprochen! Dies müsste der Werberat eigentlich verhindern. Er müsste auch nicht auf Beschwerden von Bürgern oder Suchtexperten warten, nein, »der Werberat kann auch von sich aus ein Verfahren einleiten« (Artikel 1.2 Verfahrensordnung bei Beschwerden). Frage: Warum tut er das nicht?

Glaubt man dem Deutschen Werberat, so denken die Deutschen, wenn sie das Wort »Bier« hören, offensichtlich sofort und ausschließlich an alkoholfreies Bier. Denn nur dann wäre es schlüssig, warum Bitburger für alkoholfreies Bier mit folgendem Verkaufsslogan während der Fußballweltmeisterschaft werben kann: »Deutschland feiert mit Bitburger, dem Bier unserer Nationalmannschaft. Bitte ein Bit«. Eine Beschwerde gegen diese Werbung wurde abgelehnt. Begründung: Es würde nur für alkoholfreies Bier geworben. Auf der Website www.bier.de, die von einigen Brauereien und vom Deutschen Brauerbund unterstützt wird, liest sich das ganz anders. Bei der Hervorhebung des Variantenreichtums und der Beschreibung von Biersorten taucht alkoholfreies Bier nicht auf. Wenn also mit dem genannten Slogan geworben wird, müssen auch die freiwilligen Verhaltensregeln des Deutschen Werberats für alkoholhaltige Getränke Anwendung finden. Dann jedoch dürfte Bitburger keine Leistungssportler zu Werbezwecken einspannen. Kommerzielle Werbung für alkoholische Getränke soll nämlich keine Alkohol trinkenden oder zum Trinken auffordernde Leistungssportler zeigen. Oh pardon, die Sportler sieht man in der Werbung ja auch nicht – beim Trinken – sondern nur beim Spielen. Clever gemacht, Sinn der Regelung ausgehoben!

Wiederholt hat die DHS Beschwerde gegen reißerische Namensgebungen und Neugier weckende Verpackungen alkoholischer Getränke eingelegt, die einzig und allein der Verkaufsförderung dieser Erzeugnisse dienen. Der Werberat selbst hat eine Definition formuliert, was unter kommerzieller Kommunikation (so der Fachbegriff für Werbung und Marketing) zu verstehen ist, nämlich: Sie umfasst den Einsatz aller Kommunikationsinstrumente durch die Wirtschaft, wenn damit primär die Förderung des Absatzes von Waren verfolgt wird. Dass dies bei Namen wie Mäusepisse, Arschgeweih, Kleiner Flutscher und Guten Morgen Latte zweifellos der Fall ist, scheint einzig der Deutsche Werberat nicht zu erkennen. Antwort auf die Beschwerden: nicht zuständig für Namen und Verpackung!

Die Klosterbrauerei Neuzelle GmbH wurde vom Deutschen Werberat öffentlich gerügt. Sowohl die Namen ihrer Produkte als auch die Werbetexte werden diesmal beanstandet, da sie versprechen, die physische Leistungsfähigkeit des Konsumenten zu verbessern bzw. die Wirkung als Arzneimittel nahelegen. Gerügt wurden die Produkte »Marathon Bier« und »flüssige Seelsorge«. Die Dreistigkeit des Unternehmens ist kaum zu toppen: Sie nutzt die Rüge PR-wirksam aus. Die beiden beanstandeten Produkte sind weiterhin mit demselben Werbetext auf der Website zu finden, vorgeblich zur Diskussion der verschiedenen Standpunkte, gekrönt mit der Aussage: »Um Missverständnisse zu vermeiden: Wir stimmen mit den Verhaltensregeln des Deutschen Werberates über die kommerzielle Kommunikation für alkoholhaltige Getränke überein«.

Die Liste der Unbegreiflichkeiten im Zusammenhang mit den wirkungslosen Versuchen des Werberates, Alkoholwerbung freiwillig und in Selbstverantwortung zu regulieren, könnte noch unendlich weitergeführt werden. Gabriele Bartsch, stellv. Geschäftsführerin der DHS: Hier liegt ein Systemfehler vor! Wenn Alkoholwerbung in Deutschland weiterhin erlaubt sein soll, dann muss es ein Regelwerk geben, das keine Schlupflöcher für »kreative« Werbestrategen offen lässt. Abhilfe im Regulierungschaos schafft einzig eine unabhängige, gesetzlich geregelte und sanktionsgestützte Kontrolle, die für alle Medien, insbesondere auch für das Internet, gilt. Anders können Verbraucher, allen voran die Gewinn verheißende Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen, nicht wirksam geschützt werden. Die Interessen von Herstellern und Werberat sind schlicht und ergreifend nicht vereinbar mit Gesundheits- und Jugendschutz. Wie sollen auch diejenigen, deren Aufgabe die Umsatzsteigerung ist, ihrer Pflicht zur Selbstbeschränkung wirksam nachkommen. Schon 2001 sagte der damalige Präsident des Deutschen Brauerbundes, Dieter Ammer, als Vertreter der Alkoholindustrie öffentlich »Wir werden nichts tun, was unseren Umsatz gefährdet«. Ein wahres Wort.

via: DHS: Pressemitteilung vom 12. August 2010: Muschi, Ficken und Arschgeweih – Deutscher Werberat versagt!

p.s.

Für Menschen, die an Abstinenzneurose leiden, bleibt da wohl nach der Lektüre dieses Artikel nur noch der Griff in die Packung mit »Bärendreck«. Garantiert alkoholfrei, doch zu viel kann krank machen – und die Lust auf Sex bremsen.

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