Achtzig Tage nach Beginn des Hungerstreiks von Mapuche-Häftlingen in mehreren chilenischen Gefängnissen – und zehn Tage nach der zentralen Bicentenario-Feier – dominiert das Thema die Medien, so oder so. Während eine Unterstützergruppe den Sitz der CEPAL in Santiago besetzt hat und die Vermittlung von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon fordert (was der mit dem Hinweis ablehnt, er lasse sich nicht unter Druck setzen), versucht die Regierung Piñera, die Streikenden als Hochstapler anzuschwärzen: die meisten von ihnen nähmen heimlich Nahrung zu sich.
Auf alle Fälle hat der Hungerstreik vielen die 200-Jahr-Feierlichkeiten vergällt und dafür gesorgt, dass der Konflikt breit diskutiert wird, mit interessanten Erkenntnissen in allen politischen Lagern. So schreibt etwa Carlos Peña, Kolumnist des rechtsgerichteten Mercurio:
Ein beträchtlicher Teil unserer Elite — vor allem auf Seite der Rechten — ist felsenfest vom Konzept der chilenischen Nation überzeugt, das uns die konservative Geschichtsschreibung hinterlassen hat. In dieser Lesart bildet Chile eine jahrhundertealte, kulturell und ethnisch homogene Einheit in Gestalt der mestizaje. (…) Kurz gefasst: Die chilenische Identität — die man auch schon in einer gewissen Wahnhaftigkeit als „chilenische Rasse“ bezeichnet hat — besteht gerade in der Unterdrückung des indigenen Elements.
Inmitten dieses ideologischen Panoramas werden die Forderungen der Mapuche, Aymara oder Rapanui als Angriff auf die nationale Unversehrtheit wahrgenommen, als subversive Ansprüche, die unsere Sicherheit und letztlich unsere Existenz in Frage stellten, wenn man ihnen Gehör schenkte. Es steckt eine nationalistische Paranoia in diesen Ängsten, die in Autonomieforderungen gleich Sezessionsbestrebungen erkennen, in der Betonung einer indigenen Identität die Negation des Chilenischen und in der Forderung nach Reparation für die betrügerischen Landaneignungen des 19. Jahrhunderts eine Attacke auf das Privateigentum.
Während Eduardo Sabrovsky im linken Mostrador konstatiert, dass die urbane Mapuchebevölkerung, die zahlenmäßig den größten Teil darstellt – in Santiago sind es um die 200.000 Personen – sich jeglicher politischer Äußerung enthält. Trotzdem erzielten die Hungerstreikenden und ihrer direkten Unterstützer große Wirkung, denn: Das Szenario des Hungerstreiks findet in einer globalisierten Welt statt. In dieser besitzt eine ausgerechnet durch ihre verbesserten Bildungschancen radikalisierte Minderheit – man könnte auch sagen: Elite – die geeigneten Mittel, ein ebenso globalisiertes Gegenüber anzusprechen: die sich herausbildenden Institutionen dessen, was Intellektuelle wie Hardt und Negri als „Empire“ bezeichnen. (…) Die radikalisierten Mapuche-Aktivisten haben wenig Bezug zum Gros ihrer eigenen Ethnie. Modernisierung und Landflucht machen aus dem durchschnittlichen Mapuche einen städtischen Bürger zweiter Klasse, keinen Aktivisten, der seine Erde verteidigt.
Nicht vergessen zu lesen: der Mapuche-Konflikt aktuell in der taz.
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