… und plötzlich ist die Meldung überall.
Auf der Seite der Klinik, den Storys von Eltern welche das Krankengeschehen ihrer Kinder öffentlich in den sozialen Medien teilen, in meiner Timeline – das letzte „meiner Kids“, welches noch im Krankenhaus ist, hat sein Spenderherz erhalten.
Beinahe 1000 Tage ist es her, als der Oberarzt sich nach dem Frühstück auf den Weg machte, um mit der Familie zu sprechen. Das Herz hatte sich am Kunstherzsystem nicht ausreichend erholt, ihr Kind wird ein Spenderherz benötigen und ein kleiner Junge musste sich zum erstmal mit dem Tod beschäftigen. Eine Unterhaltung die das Leben der betroffenen Familien in ein vorher und nachher spaltet.
Während meiner Zeit als Pflegekraft in der Pädiatrie habe ich ganz neu lernen müssen, wie ich Nähe und Distanz mit meinen Patient*innen zulasse. Trotzdem, ganz unerwartet, sitze ich dann doch heulend in der Küche. Ich bin so froh, so erleichtert, dass er endlich sein Herz bekommen hat. Ein Teil von mir hat gewartet, sehr besorgt gewartet, auf eine positive Nachricht. Ähnlich ging es mir mit anderen Kindern die ich betreut habe, einigen Eltern folge ich in den sozialen Medien. Eine Mutter schrieb mir, nachdem sie über die Entlassung ihrer Tochter informierte, „(…) du wirst immer Teil unserer Geschichte sein! Vielen Dank“. Diese Familien, die Kinder am Kunstherz, werden auch immer ein Teil meiner Geschichte sein.
In Deutschland warten circa 700 Menschen auf ein Spenderherz – in 2022 wurden etwa 320 gespendet
Der kleine Junge, der nun endlich sein Herz bekommen hat, war ein noch viel kleinerer Junge, als ich ihn kurz nach Weihnachten 2020 zum ersten Mal getroffen habe. Ich hatte einen Probedienst auf der Kinderintensiv- und Überwachungsstation, sollte schauen ob ich mir die Arbeit zutraue. Ich war sehr naiv, was die emotionale Belastung anging, hatte noch nie in so einem Bereich gearbeitet.
Der Junge verhöhnte mich praktisch, hat selbstbewusst Forderungen gestellt und war einfach eine sympathische kleine Persönlichkeit – frech war er! Ein richtiger Dreikäsehoch! Ich wusste sofort, ich möchte hier arbeiten und diesen kleinen Kämpfer bei seiner Genesung unterstützen – damals war die Hoffnung noch groß, dass sich sein eigenes Herz am Berlin-Heart (System für die mechanische Herzunterstützung) erholen wird. Eine verschleppte Erkältung hat seinen Herzmuskel angegriffen und schwer geschädigt. Im Verlauf der nächsten Monate wurde klar: das Herz erholt sich nicht, er wird ein Spenderherz benötigen.
In dieser Zeit hat sich eine gewisse Kameraderie zwischen ihm und mir entwickelt. Ich kenne alle Autobots aus der Transformerserie, die Ninja Turtels und die skurrilsten Tierfakten überhaupt. Er wird es nie erfahren aber ich habe mich extra zu Hause in diese Themen eingelesen.
200 Stofftiere auf der bunten Tagesdecke
Egal wie dickköpfig und schlechtgelaunt er morgens auch war, ich konnte ihn (meistens) überreden, ins Badezimmer zu gehen und sich zu waschen. In der Zeit habe ich sein Bett frisch bezogen, die 200 Stofftiere auf der bunten Tagesdecke platziert und mein eigenes Herz ziepte jedesmal, wenn ich den Schal seiner Mutter, nach ihrem Parfüm duftend, unter sein Kopfkissen legte. Egal wie quirlig, er war ein kleines Kind, das seine Familie vermisste.
Manchmal hat er mich auch besiegt, z.B. als ich ihn informiert habe, dass ich in meiner Kindheit auch Transformers im TV geschaut habe und er begeistert erwiderte „… damals als alles im Fernsehen noch schwarz-weiss war?“ – Touché!
Du kannst noch 15 Minuten länger im Bett bleiben, Schwester Marie hier muss erstmal im Materiallager eine Runde heulen!
Wenn er auch ein kleiner Wirbelwind sein konnte, so habe ich seine Resilienz doch bewundert. Kinder im Grundschulalter sollten sich nicht mit der eigenen Mortalität auseinandersetzen müssen oder wissen welche Lebensmittel die Blutgerinnung beeinflussen. Und als der Zeitpunkt kam, dass mein Einsatz zu Ende ging, wusste ich nicht, wie ich ihm das beibringen sollte. Ich habe bis zuletzt gehofft, dass er vor mir die Klinik verlassen kann. Im Endeffekt habe ich es den Eltern zuerst gesagt und dann viel später den Kindern.
Auf Station gibt es keine Geheimnisse
In der Kinderklinik bedeutet zu Bett gehen: an den Überwachungsmonitor anschließen, Vitalwerte messen, Berlin-Heart an den Strom anschließen, elektronische Geräte aus dem Bett sammeln, Gute Nacht-Geschichte vorlesen. Diesen ruhigen Moment hatte er dann genutzt um mich zu fragen, ob ich bald wieder abreisen werde – auf Station gibt es keine Geheimnisse! Er war sichtlich betroffen und hielt mir dann sein Handy hin. Ein uraltes Modell, welches er von seiner Familie bekommen hat, um jederzeit Zuhause anrufen zu können – sollte er das Bedürfnis haben.
„Ich gebe dir meine Handynummer und dann können wir telefonieren… und wenn ich schreiben kann, dann kann ich dir SMS schicken!“. Ich wusste, er hatte die Schüler*innen nach deren Nummern gefragt, und so habe ich gelächelt: „So machen wir es!“. Eine Notlüge.
Denn mein letzter Dienst war eine Nachtschicht, ich habe keine Karten da gelassen und mich im Morgengrauen aus der Klinik geschlichen, wie der Feigling, der ich bin. Ich hatte nicht den Mut, mich zu verabschieden und ihm meine Nummer nicht dazulassen. Ich konnte aber auch nicht unterstützen, dass dieser kleine Junge seine Nummer an jede „nette Person“ weitergibt, die auf Station kommt – egal wie nachvollziehbar das Bedürfnis ist.
Erleichterung über jede Nachricht, über jedes Foto, jedes Lebenszeichen
Ich musste auch für mich eine gesunde Grenze ziehen. Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich nicht ein Päckchen schicke oder einen Brief, doch am Ende habe ich nur aus der Ferne gehofft. Ein Kind nach dem anderen erhielt sein Herz oder wurde so gesund, dass es nach Hause konnte. Die Eltern, welche die Öffentlichkeit über die Krankheitsbilder aufklären, haben darüber auf Instagram oder Facebook berichtet. Ich war erleichtert über jede Nachricht, über jedes Foto, jedes Lebenszeichen.
Die Monate vergingen, dann ein Jahr… und er war immer noch im Krankenhaus. Ich habe die Wartezeit unterschätzt, er war doch schon über ein Jahr in der Klinik bevor er auf die Spenderliste kam. Irgendwann war es zu spät mich zu melden, irgendwo hoffte ich, dass er mich vergessen hat und nicht jede Pflegekraft vermisst, die über Station gehetzt wird. Kurz nach Silvester dann ENDLICH ein Foto, die gute Nachricht…bald kann er hoffentlich nach Hause und muss keine Freundschaften mehr mit Menschen eingehen, die nur kurzfristig in seinem Leben sein können.
Herztransplantation
Größe und Blutgruppe sind entscheidend dafür, ob ein Herz passt. Bekommt eine Klinik, in der ein geeigneter Empfänger liegt, ein Angebot, reisen sofort Spezialisten los und schauen sich das Spenderherz an. Wenn das Herz den Anforderungen entspricht, wird es still gestellt, kühl verpackt und in die Klinik geflogen. Zeitgleich bauen die Ärzte im Empfänger-Krankenhaus das bisherige Kunstherz aus.
Bisher besitzen nur etwa 40% der Deutschen einen Organspendeausweis. In Deutschland ist es im Vergleich zu unseren Nachbarländern weitaus schwieriger, ein Spenderorgan zu erhalten. Grund dafür ist, dass in anderen Ländern, wie z.B. in Frankreich oder Österreich, die Widerspruchslösung gilt – jeder Mensch ist im Todesfall ein Organspender, es sei denn, es gibt einen aktiven Widerspruch. In Deutschland verhält es sich genau umgekehrt. Ich selbst bin bereits seit 2010 Organspenderin und meine Familie kennt mein Wünsche zu dem Thema.
Vielleicht möchten Sie auch Organspender werden? Hier finden sie weitere Informationen.
Vereine die man kennen sollte: