von 13.03.2010

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Mit den niederländischen Sozies dürfte es nach den dramatischen Ereignissen der letzten Wochen wieder bergauf gehen. Nachdem Parteichef Wouter Bos gestern als Spitzenkandidat seiner Partij van de Arbeid zurücktrat (Neuwahlen sind am 9. Juni), um künftig wieder im Sandkasten zu spielen, hat seine Partei einen neuen Helden für den Job gefunden: den Amsterdamer Bürgermeister Job Cohen.

Laut einer Blitzumfrage des Meinungsforschers Maurice de Hond konnten sich gestern Abend die Mehrheit der Holzschuhträger – 55% – den smarten Cohen im Amt des künftigen Ministerpräsidenten vorstellen, während Harry-Potter-Double Jan-Peter Balkenende nur noch auf 25% kam, und Mozart-Imitator Geert Wilders auf 17%.

Kein Wunder, Bruchpilot Balkenende hat mit 4 christdemokratischen Koalitions-regierungen in 8 Jahren keine einzige Legislaturperiode durchgehalten ohne abzustürzen, kaum dass er sein Ding mal in der Luft hatte. Regieren konnte man das nicht nennen, zumal er immer der Einzige war, der nach einem Crash heil und ungeschoren unten ankam, um flugs darauf noch eine Ehrenrunde zu drehen.. und noch eine.. und noch eine.. und noch eine.. und jetzt lasset uns hoffen und beten, dass die Holländer ihm das am 9. Juni nicht noch ein fünftes Mal erlauben.

Zu den 17% für den Mozart-Gorilla nur soviel: wer sich den ernsthaft in einer Reihe mit Merkel und Obama vorstellen kann, nachdem Jan-Peter Potter in der selbigen schon keine gute Figur gemacht hat, der gehe nochmal ganz tief in sich, alstublieft (zu deutsch: bitteschön)!

Aber Cohen, ja das wär schon was! Endlich mal wieder ein richtiger MANN als Oberboss. Zwar wurde er nie zum ‚Schwiegersohn der Nation‘ gekrönt, weil er wie sein Vorgänger Wouter Bos ein lekker kontje (einen knackigen Po) besaß, aber mehr Arsch in der Hose hat Cohen allemal: „ein Brückenbauer, ein Weiser, ein erfahrener Politiker und Beamter, ein Traumnachfolger“, jubelte gestern der niederländische Rundfunk NOS.

Warum kriegt der Mann in den Niederlanden soviel Vorschusslobeern? Wer ihn als Amsterdamer in den letzten 9 Jahren seinen Bürgervater nennen durfte, der weiß warum. Erinnert man sich doch an sein sicheres Auftreten in der schwärzesten Stunde Amsterdams, am 2. November 2004: nach den Wirren des 11. September und den zunehmenden Spannungen zwischen Moslems und Nicht-Moslems wurde der wegen seines Islam-kritischen Films ‚Submission‘ umstrittene niederländische Filmemacher Theo van Gogh morgens auf dem Fahrrad niedergestochen – von einem ‚Rächer‘ namens Mohammed B. Nach dem Mord an dem Rotterdamer Rechtspopulisten Pim Fortuyn nur zwei Jahre zuvor ein Schock für viele Amsterdammer. Theo war stadtbekannt, ob man seine Ansichten teilte oder nicht, er war „einer von uns“ – mit einem Schlag war das multikulturelle Drama manifest, die Meinungsfreiheit tot und der tolerante, weltoffene Charakter der Stadt dahin.

Am selben Abend zogen 20.000 Amsterdamer auf den Dam-Platz vor dem Rathaus, um im Sinne von Theo, „der immer viel Wind machte“ mit Tuten, Tröten und Trommeln ihrem Unmut Luft zu machen. Einer der besonnensten Redner damals war Bürgermeister Cohen. Er predigte den Zusammenhalt in den Worten, für die mittlerweile seine ganze Politik steht, de boel bij elkaar houden, (den Laden zusammenhalten), und zwar den aller Bevölkerungsgruppen miteinander, Moslems und Nicht-Moslems. Und man muss ihm lassen, dass er es trotz persönlicher Morddrohungen, zeitweisem Begleitschutz und jahrelangen multikulturellen Spannungen in der Hauptstadt wirklich geschafft hat. Natürlich gibt es immer noch Probleme, aber ohne Cohen wären es sicher weit mehr.

Dass der Blonde Geert ihn gestern prompt wegen dieser Politik als einen „mit allen Ausländern Tee trinkenden multikulturellen Schmusebär“ bezeichnete (Meine Güte berichtete), zeigt einmal mehr, wie sehr Wilders‘ Mozart-Perücke ihm die klare Sicht auf die Dinge nimmt – Job Cohen ist zwar für den unbedingten Dialog, aber er ist alles andere als ein Softie. Immerhin war er es, der Ende der Neunziger Jahre in seinem Amt als Staatssekretär für Einwanderung das heutige, strenge Asylgesetz der Niederlande durchs Parlament boxte. Er reduzierte die Zahl der Asylbewerber zwar erheblich, hatte damit aber auch die umstrittenen Massenabschiebungen der folgenden Legislaturperioden (besonders unter Rita Verdonk) erst möglich gemacht. Wilders hat also allen Grund, sich diesbezüglich mal unter der Perücke kratzen.

Und Cohen? Der sollte einfach tun, was die Mehrheit will: Premier werden.

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