von 01.04.2011

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Was die Anzeigenabteilung bei meiner verdeckten Recherche sagt

ND Extra - Beilage der Tageszeitung Neues Deutschland
ND Extra - Beilage der Tageszeitung Neues Deutschland
“Wir haben hier auch richtig redaktionelle Beiträge, die wir uns über Produktionskostenzuschüsse bezahlen lassen”, sagt der Mitarbeiter in den Räumen der sozialistischen Tageszeitung in einem grauen Plattenbau im Osten Berlins. Produktionskostenzuschuss bedeutet, dass ich nicht für eine Anzeige bezahle, sondern direkt für einen Artikel, den das Neue Deutschland, ND, druckt. Er zeigt einen Artikel über eine Organisation, den deren Pressesprecher geschrieben und bezahlt habe.

Für die Leser ist nicht erkennbar, dass der Artikel gekauft ist. “Das sieht man nun jetzt hier gar nicht”, sagt der Mitarbeiter. Im Titelkopf der Seite steht: “ND Extra – Beilage der Tageszeitung Neues Deutschland”. Auf diese Seiten habe er den meisten Einfluss, sagt der Mitarbeiter. Alle paar Wochen erscheinen die Seiten zu speziellen Themen, etwa “Vereine und Verbände” oder “Aktiv im Alter” oder “Geschenkideen zu Weihnachten”.

Ich sage, dass auch ein Autohersteller zu unseren Kunden zählt. Der würde sich fragen, ob nicht eines seiner Fahrzeuge vorgestellt werden könnte. “Da kann ich Ihnen überhaupt keine Zusagen machen”, sagt der Mitarbeiter, “weil der Autoredakteur ein großer Stinker ist, der es schon fertig gebracht hat, unseren fast einzigen Autokunden so richtig mies runterzumachen redaktionell.” Der Hersteller habe anschließend drei Jahre lang keine Anzeigen mehr geschaltet.

Doch es findet sich ein Weg, den störrischen Redakteur zu übergehen. Der Mitarbeiter schlägt vor, “dass wir redaktionell in ein ,ND Extra Reise’ gehen”. Das finde ich gut, sage ich, dann könne man das Auto ja unter Reisegesichtspunkten vorstellen, vielleicht als Auto für Langstrecken.

Nächstes Thema sind Altersheime. “Es gründet sich grade so ein Verband von Altenheimketten”, behaupte ich, und die würden gerne gemeinsam etwas “gegen die Stigmatisierung von Altenheimen unternehmen, die ja lange Zeit als Abschiebeknäste fast ein Stigma hatten”. Ich überreiche ihr meinen Themenplan:

Themenseiten „Wohnen im Alter“

Hintergrund

Altersheime sind als Auffangstation für Pflegebedürftige stigmatisiert – viele Leser möchten weder ihren Eltern noch sich selbst so eine „Abschiebung ins Heim“ zumuten. Aus falsch verstandenem Pflichtbewusstsein erwarten Eltern und Kinder gleichermaßen, dass die Lieben bis zum Lebensende zu Hause von der eigenen Familie betreut werden. Dabei sind Altersheime besser als ihr Ruf: Sie bieten Sicherheit, Wohnkomfort und Gemeinschaft mit Gleichgesinnten. Davon profitiert das ganze Umfeld.

Die Themenseiten „Wohnen im Alter“ sollen den Leser in der Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben begleiten und ihn über die Vorzüge des Altersheims aufklären. Ziel ist es, den Leser über Versorgungsangebot, Zusatzoptionen und Kosten zu informieren.

In einem unbegrenzten Zeitraum stellt die Zeitung vierteljährlich das Thema „Wohnen im Alter“ vor. Die Leser bauen Berührungsängste ab.

1. Themenseite

– Bericht zum Thema „Altersheim“: Ein Text stellt das Konzept Altenheim vor (inkl. Freizeitmöglichkeiten)
– Infokasten über das deutsche Pflegesystem und die Kostenübernahme
– Interview mit einem Psychologen: Der Psychologe erklärt den Eltern, warum die Entscheidung ihrer Kinder, sie ins Heim zu geben, nichts mit mangelnder Liebe zu tun hat

2. Themenseite

– Portrait: Ein rüstiger Altersheimbewohner blickt auf sein Leben zurück und erzählt von seinem Alltag im Heim
– Service-Übersicht: Wer zahlt das Altersheim? Antwort: Die Pflegeversicherung kommt für die meisten anfallenden Kosten auf

3. Themenseite

– Betroffenengespräch: Mutter und Tochter, die gemeinsam beschlossen, dass die Mutter im Altersheim lebt, berichten von ihren Erfahrungen und ihren überwundenen Berührungsängsten
– Interview mit einem Psychologen: Der Psychologe erklärt den Kindern, warum sie keine Schuldgefühle haben müssen, wenn sie ihre Eltern ins Heim geben

4. Themenseite

– Bericht über „Partnerschaft und Altenheim“: Welche Chancen der gemeinsame Lebensabend im Heim haben kann
– Interview mit einem Psychologen: Der Psychologe erklärt dem Ehepartner, dass der pflegebedürftige Partner im Heim besser betreut werden kann und gibt Tipps zur Bewältigung dieser Umstellung

Der Mitarbeiter fragt, wo denn die Altenheime sitzen. “Weil unser Verbreitungsgebiet ist fast ausschließlich Neue Bundesländer.” Es gebe lediglich “ein paar Versprengte, 2.000 oder so, im Westen. Aber ich glaube, das sind Weggezogene.” Ich sage, die Altenheime der Ketten seien gleichmäßig in ganz Deutschland verteilt. Er sagt zu dem Themenvorschlag: “Also ich denke zunächst mal, dass das gut zu unserer Zeitung passen würde, und ich finde das auch interessant.”

Dem Mitarbeiter ist es übrigens lieber, wenn wir die Artikel schreiben. “Ich krieg das hier besser durch, wenn Sie sagen, dass die Daten geliefert werden”, sagt er. Das sei leichter, als einen Redakteur dazu zu bekommen, einen Text auf Bestellung zu schreiben: “Die fangen eben vielleicht auch noch an zu meckern und sagen: Darüber wollte ich jetzt aber gerade nicht schreiben.” Diese Redakteure “sind ja Künstler”, sagt er, und verdreht die Augen.

Ich spreche ihn noch auf die Anzeige eines Reiseveranstalters an, die ich in der Zeitung gesehen habe: In der Anzeige ist als Adresse zur Bestellung der Reise nicht der tatsächliche Reiseveranstalter angegeben, sondern das Neue Deutschland. Der Mitarbeiter erklärt: “Die ND-Leserschaft ist dem ND derartig verbunden, dass das für den Kunden ein Vorteil ist. Der Leser weiß dann nämlich: Das kann nur gut sein, wenn das vom ND kommt. Und wenn ich es auch noch ans ND schicke, dann ist das doppelt gut.” Dabei schickt das Neue Deutschland die Bestellungen lediglich an den Reiseveranstalter weiter. Aber die Leser fallen darauf rein. “Die lesen das ND wie die Bibel”, sagt der Mitarbeiter.

Wer beim Neuen Deutschland einen Artikel kauft, erhöht aber nicht nur die Glaubwürdigkeit seiner Werbebotschaften. Es ist auch billiger. Die Zeitung gibt nämlich einen Rabatt von 66 Prozent, wenn man einen Artikel statt einer Anzeige kauft. Eine farbige Anzeige über eine Viertelseite in der Samstagsausgabe kostet 3.000 Euro, rechnet der Mitarbeiter vor, ein gleich großer Artikel kostet nur 1.000 Euro.

Was die Chefredaktion auf meine offizielle Anfrage sagt

Für Chefredakteur Jürgen Reents ist die Trennung zwischen redaktionellen Texten und dem Einfluss von Anzeigenkunden “sehr wichtig”, um “die Unabhängigkeit und Seriösität unserer Berichterstattung zu garantieren”. Das gelte auch für das ND Extra: “Auch da kann man bei uns nicht Texte kaufen.” Er habe aber den Eindruck, dass es bei manch anderen Zeitungen so eine Vermischung gebe, ohne konkrete Beispiele nennen zu können. Er findet das jedenfalls “ärgerlich, weil so etwas insgesamt die Glaubwürdigkeit der Presseerzeugnisse beeinträchtigt”.

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