Noch bevor Kongos Oppositionsführer Etienne Tshisekedi aus Südafrika in seine Heimat zurückgekehrt ist, hat er seinem Wahlkampf womöglich einen fatalen Schlag versetzt. Jedenfalls wenn das stimmt, was allerorten über das Interview berichtet wird, daß Tshisekedi dem kongolesischen TV-Sender RLTV (Radio Lisanga Television) am Sonntag gegeben haben soll: nämlich, daß er sich zum Präsidenten ausgerufen habe, wie dies zahlreiche kongolesische Medien und in ihrer Folge internationale Nachrichtenquellen heute berichten. Kongos Regierung hat in Reaktion darauf RLTV abgeschaltet und rechtliche Schritte wegen Hochverrats gegen den Oppositionsführer angekündigt.
Das Interview Tshisekedis wurde in Lingala geführt, und es liegt bislang keine komplette Abschrift vor. Was also hat er gesagt?
– Hier die Schlüsselpassage in Lingala, wie von einem Tshisekedi-Anhänger in einem Kommentar auf der Internetseite direct.cd wiedergegeben: « Na démocratie moto aza na pouvoir nde majorité du peuple. Lokola peuple congolais na majorité nango aponi Tshisekedi, aza na confiance na Tshisekedi, banda lelo ngai nde moto naza chef de l’Etat. Na oyo matali élection, message na ngai eza simple, kutu nauti koloba wana, makambo oyo nautiti koloba, mokonzi ya mboka banda lelo ezali peuple congolais, donc ezali Tshisekedi Etienne, moto mosusu azali te. »
– Hier die französische Übersetzung nach derselben Quelle (die das alles als „diskursive Konstruktion, als Propaganda verkleidet“ beschreibt): « En démocratie, le pouvoir revient à celui qui a la majorité du peuple. Puisque la majorité du peuple congolais a choisi Tshisekedi, a confiance en Tshisekedi, vous pouvez désormais me considérer comme le chef de l’Etat. En ce qui concerne les élections, mon message est simple, comme je viens en fait de le dire, c’est le peuple qui détient désormais le pouvoir, donc, c’est Etienne Tshisekedi, et personne d’autre. »
Hier eine englische Übersetzung derselben Passage samt einigen wichtigen Sätzen davor und danach, wiedergegeben von Jason Stearns, einer der besten amerikanischen Kenner des Kongo, auf seinem Blog Congo Siasa – auf der Grundlage eines etwas über eine Minute langen Video-Ausschnitts, der im Internet zirkuliert: „Those who say that Kabila prevented my plane from landing do not understand the situation. Kabila no longer represents anyone, but his wife. People like Boshab [president of the national assembly] and Mende [minister of information], who started elsewhere and talk with both sides of the mouth, say one thing during the day and another at night, have now abandoned him. He is alone with his wife, as you can see. So I say we need not wait for the elections. In a democracy, power rests with the popular majority. Since the majority of the Congolese people is with Tshisekedi and trusts Tshisekedi, from now on, I am the Head of State. Regarding the elections, my message is simple as I have said. Starting today, it’s the Congolese people who are the authority of the country. It’s Tshisekedi Etienne, no one else. If Mr. Ngoy Mulunda does not listen to what we are saying, he will be weeping in his native language come December 6 [the date election results are announced].“
Hier eine etwas andere Wiedergabe, verbreitet von Tshisekedis Partei UDPS (Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt) auf ihrer belgischen Webseite udps.be: „Depuis aujourd’hui c’est le Peuple qui a le pouvoir. C’est le Peuple qui donne le pouvoir à celui en qui il se reconnaît, à celui en qui il a confiance, à celui qui se bat poue ses intérêts vitaux. Moi Tshisekedi j’ai le confiance de mon peuple“. Die Webseite ergeht sich dann in komplizierten Erläuterungen, warum man das alles bitte nicht so wörtlich nehmen sollte: schließlich hätte Tshisekedi in der Vergangenheit viele Gelegenheiten gehabt, sich zum Präsidenten auszurufen, und er habe das nicht gemacht, lautet eines der Argumente.
– Auf Deutsch lautet die Schlüsselpassage wie folgt: „In einer Demokratie liegt die Macht mit dem, der die Mehrheit im Volk hat. Weil die Mehrheit des kongolesische Volkes Tshisekedi gewählt hat, Tshisekedi vertraut, können Sie mich ab jetzt als Staatschef ansehen. Was die Wahlen angeht, ist meine Botschaft einfach, wie ich es tatsächlich gerade gesagt habe: es ist das Volk, das jetzt die Macht hat, also ist es Etienne Tshisekedi und niemand sonst.“ Tshisekedi soll in dem Interview auch ein Ultimatum bis Dienstag mittag gesetzt haben, um verhaftete UDPS-Aktivisten freizulassen, und seine Anhänger aufgefordert haben, Anhänger anderer Parteien zu „korrigieren“. Der genaue Wortlaut dieser Äußerungen liegt noch nicht vor.
Ist das eine Selbstausrufung zum Staatschef? Nicht wirklich. Greift er dem Wahlergebnis vor? Irgendwie schon. Tut das nicht auch Präsident Kabila, der bei jeder Gelegenheit erklären läßt, er werde bei der Wahl 100% erhalten? Ja, aber ein Präsident darf das eher, weil er damit einfach seine Kontrolle der Staatsmacht unterstreicht, und er vermeidet die verräterische Gleichsetzung „Ich bin das Volk“, bewährter erster Schritt zum Größenwahn. Wie auch immer: der 79jährige Tshisekedi habe den Verstand verloren, sagen die einen; es sei bloß Wahlkampf, sagen die anderen. Fest steht: Der UDPS-Führer hat seinen Gegnern reichlich Munition geliefert und seine Anhänger in Erklärungsnöte getrieben. Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo sich die internationale Gemeinschaft beginnt, Sorgen um Kongos gewaltsamen Wahlkampf zu machen und der UN-Sicherheitsrat über die Lage berät.
RLTV gehört übrigens Roger Lumbala, während des Kongokrieges ugandisch unterstützter Anführer der kleinen Rebellenarmee RCD-N (RCD-Nationale) in der Diamantenregion Bafwasende nordöstlich von Kisangani in der Province Orientale und 2006 für die RCD-N ins Parlament gewählt. Er ist ein begnadeter Selbstdarsteller, wohl der letzte Warlord aus Kriegszeiten, der ungebrochen an der Spitze seiner Bewegung Politik in Kinshasa macht. Sein TV-Sender in Kinshasa wurde Anfang September angezündet; es gab Stimmen, die behauptete, er habe das selbst getan. In einem Interview erklärte der schillernde Politiker dazu: „Wissen Sie, ich werde Ihnen etwas verraten: in dieser Minute guckt Staatschef Joseph Kabila RLTV. Da entdeckt er jetzt die Irrtümer der Leute in seinem Umfeld, die ihm nicht die Wahrheit sagen. Also wollen diese Leute nicht, dass RLTV weiter sendet, weil der Staatschef sich dort informiert. Das ist unser Problem. Aber diese Leute werden bezahlen.“