vonJakob Hein 24.09.2011

taz Blogs

110 Autor*innen | 60 Blogs
Willkommen auf der Blogplattform der taz

Mehr über diesen Blog
So kann man es auch sehen: Höhere Gewalt

Zunächst wurde ja über den Auftritt des Papstes im Bundestag ein wenig im Vorfeld gestritten und ein paar Abgeordnete entschieden sich immerhin dagegen, der Rede des Kirchenführers zu lauschen.  Bei faz.net findet sich der interessante Satz:  “Bundestagspräsident Lammert (CDU) hatte zuvor die Einladung des Papstes in den Bundestag mit den Worten gerechtfertigt, die Trennung von Staat und Kirche gehöre wie die Herausforderung des Glaubens durch die Vernunft zu den ‘unaufgebbaren Fortschritten unserer Zivilisation’.” Hätte Lammert damit nicht eher die Ausladung des Papstes begründet?

Warum aber gab es eigentlich keine Diskussion hinterher? Hat sich irgendeiner die Mühe gemacht, die Rede des “Heiligen Vaters” vor den demokratisch gewählten Abgeordneten des deutschen Volkes genauer anzusehen? Andrea Nahles nennt sie einen “herausragenden Moment in der Geschichte des Deutschen Bundestages”, wobei sie das positiv meint. Einig sind sich die Beobachter, dass die Rede “anspruchsvoll” gewesen sei. War sie am Ende zu anspruchsvoll, so anspruchsvoll, dass keiner so genau hingehört hat, alle angenehm wegdösten, wie man das so macht, wenn vorn ein Priester spricht?

Unser Leser Martin Heinen wies darauf hin, dass man sich diese Rede schon mal ansehen müsse, Denn die Rede war schon bemerkenswert. Immerhin spricht Ratzinger darin als Deutscher, insofern er von “unserem Volk” und dem Grundgesetz der Bundesrepublik spricht. Im Wesentlichen geht es in der Rede um die Begründung christlichen Widerstandes gegen geltende Rechtsnormen:  “Aber dass in den Grundfragen des Rechts, in denen es um die Würde des Menschen und der Menschheit geht, das Mehrheitsprinzip nicht ausreicht, ist offenkundig: Jeder Verantwortliche muss sich bei der Rechtsbildung die Kriterien seiner Orientierung suchen.”

Ratzinger widerspricht einer säkularen Rechts- und Werteordnung, wenn er sagt: “Wo die alleinige Herrschaft der positivistischen Vernunft gilt – und das ist in unserem öffentlichen Bewusstsein weithin der Fall –, da sind die klassischen Erkenntnisquellen für Ethos und Recht außer Kraft gesetzt.” Obwohl er als oberster Vertreter einer Religionsgemeinschaft, die zahllose Positionen vertritt, die in Deutschland nicht mehrheitsfähig sind, vor dem Bundestag sprechen darf, beklagt er, dass die kulturelle Realität der katholischen Kirche “in den Status der Subkultur” verbannt sei.

Man mache sich die geistige Mühe und ersetze Ratzinger und seine Kirche mal mit irgendeinem anderen Glauben, religiös oder sonst wie und stelle sich vor, der oberste Repräsentant würde diesen vor dem Bundestag als Grundlage eines notwendigen Widerstands gegen das geltende Recht darstellen. Würde sich da nicht irgendein Lüftchen regen? Was eigentlich soll die Trennung von Staat und Kirche und die Verpflichtung des Staates zu weltanschaulicher Neutralität in diesem – Dings, wie hieß das noch gleich – Grundgesetz, denn bedeuten?

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/papstwoche_im_reptilienfonds_wie_bitte/

aktuell auf taz.de

kommentare