von 25.06.2010

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1. Konzept Tempelhof – Offenland

Mit der Öffnung des ehemaligen Flughafens entsteht eine neue Stadtlandschaft mit einer ganz besonderen Identität. Vor allem der offene, weite Charakter des Raumes ist in dieser Form einmalig in Berlin. Gleichzeitig zeigt sich eine große Vielfalt an Potentialen und Entwicklungsperspektiven. Die Offenheit von Tempelhof – als Raum wie auch als Prozess – wird somit zur Grundlage aller weiteren planerischen Überlegungen. In der Konzeption wird das Gebiet immer als ein Gesamtraum interpretiert, der sich jedoch in einzelnen Bereichen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten entwickeln kann.

Zeitschichten – historisch und futuristisch

Gleich einem Palimpsest haben sich auf dem Flughafengelände historische Strukturen und Nutzungsspuren eingeschrieben. Sowohl die städtebauliche Konstellation wie auch Wegeführungen, Oberflächen und Einbauten sind authentische Zeugnisse Berliner Stadtgeschichte und als konsistente Zeitschichten ablesbar. Diese nun historisch gewordenen Fragmente werden zu großen Teilen respektiert und möglichst in ihrer Ursprungsform erhalten. Alle neu hinzugefügten Elemente sind dagegen als Ausdruck zukünftiger Nutzungen deutlich unterscheidbar, werden zur futuristischen Zeitschicht.

Nutzungen – Luftsprünge und Bodenverkehr

Grundsätzlich ermöglicht der vielfältig strukturierte Parkraum eine große Breite von Nutzungen, wobei informelle Ausprägungen bevorzugt und weitgehend auf Markierungen und Einzäunungen verzichtet werden soll.

Vor allem der freie Binnenraum ist nach wie vor für jeglichen „Flugbetrieb“ geeignet, wobei dieser sich an den Kriterien der Verträglichkeit und Nachhaltigkeit orientieren muß. In Tempelhof kann somit jeder seine persönlichen Luftsprünge oder Flugversuche unternehmen, der Ort wird zum experimentellen Luftraum. Die „Temploide“ sind speziell geformte Ballone, an denen ein individueller Aufstieg in den Himmel über Berlin gewagt werden kann. In die aviatischen Nutzungen sind auch Teile des ehemaligen Hangars integrierbar.

Auch am Boden besteht großer Raum für bewegungsorientierte Freizeitnutzungen. Vor allem auf den um das Flugfeld führenden Wegen kann man sich zu Fuß oder mit rollenden Hilfsmitteln an unterschiedlichen Geschwindigkeiten erproben. Die weiten Wiesenflächen bieten ebenso Platz für eher „klassische“ Parknutzungen, seien es Ballspiele oder einfach ein Picknick.

Natur- und Artenschutz

Nicht nur der Mensch nutzt Tempelhof. Um die Artenvielfalt der verschiedenen Freiraumtypologien zu erhalten, wird ein Schutzkonzept entwickelt, welches Bereiche mit hohem ökologischen Potential oder einer aktuellen Gefährdung vor einer zu starken Beeinträchtigung durch intensivere Nutzungen schützt. Dazu werden „Respektsfelder“ eingerichtet, die mit optisch deutlich wirksamen Elementen („Schutzhüte“) markiert werden.

2. Raumsystem – Feld und Ringe

Das Tempelhofer Feld wird in Anlehnung an den derzeitigen Zustand weiterhin offengehalten, der überwältigende Raumeindruck bleibt somit gewahrt. Zur Stärkung der freien Mitte und verbesserten Einbindung in die Umgebung werden vor allem die Randzonen städtebaulich und landschaftsarchitektonisch stärker verdichtet. Der innere und äußere Parkring umschließen den Binnenraum und nehmen intensivere Nutzungen auf. So wird vor allem der ununterbrochen geführte innere Parkring zu einem „unendlichen“ Freiraum, der die charakteristische Figur des Tempelhofer Feldes mit großer Geste inszeniert.

Die sich im äußeren Parkring schrittweise entwickelnden Baufelder werden zum integralen Bestandteil der Parklandschaft. Dazu werden die Grundstrukturen des Masterplanes aufgegriffen und in das Raumgerüst der Parkringe eingebettet.

Das Flugfeld – ein freier Raum

Das ehemalige (und künftige) Flugfeld wird auch in Zukunft als ein weiter, offener Raum definiert, das Thema des Fliegens – ob als Mensch, Vogel oder Insekt – prägt auch weiterhin das Image. Landschaft und Nutzung treten in ein Kontinuum ein, der Flugbetrieb wird wieder aufgenommen!

Durch eine unterschiedliche Mähfrequenz entstehen auf den Wiesenflächen verschiedene Vegetationscluster mit entsprechendem Nutzungspotential. Die temporär eingerichteten Respektsflächen schützen Bereiche mit höherem ökologischem Wert. Nur im Ausnahmefall (z.B. intensive Nutzung mit Hunden) sollten feste Abgrenzungen errichtet werden.

Feldwege – einfach durch

Das bereits im Binnenraum existierende Wegenetz wird als ein authentisches Element früherer Funktionen erhalten und steht auch zukünftiger Nutzung offen. Um die Anbindung vor allem der Randzonen und die Durchquerbarkeit des Flugfeldes zu verbessern, wird es zurückhaltend ergänzt. Ziel ist es jedoch, die im Inneren des Feldes spürbare Ruhe vor dem Stadtlärm zu erhalten und die Anzahl der querenden Wege auf ein Minimum zu beschränken.

Alter Hafen – die neue Parkstation

Die im Bereich des alten Flughafens bereits existierenden Gehölze werden integriert, die hainartige Struktur wird beibehalten. So entsteht ein angenehmer Aufenthaltsort im Flugfeld. Unter teilweiser Einbeziehung von Bestandsgebäuden etablieren sich verschiedene Serviceangebote (Gastronomie, Ausleihstationen).

Gewässer – neue Lebensräume

Der verfüllte Schlangenpfuhl wird wieder freigelegt und entwickelt sich zu einem Standort mit besonderen ökologischen Potentialen. Auch eine Nutzung durch den Menschen ist nicht ausgeschlossen, wird aber durch eingeschränkte Zutrittsmöglichkeiten gesteuert.

Im Norden des Tempelhofer Feldes wird das Regenrückhaltebecken als „Wiesenweiher“ neu angelegt. Eine Kombination aus Rückstau- und Versickerungsflächen kombiniert ökologische Wirksamkeit mit ästhetischer Qualität.

Innerer Parkring – ein weiter Hain

Der das Flugfeld umschließende innere Parkring schafft eine räumliche Fassung und wird andererseits zu einer eigenständigen Freiraumstruktur. Mit dem Raumgerüst aus hoch aufgeasteten Bäumen entsteht ein um die freie Mitte rotierender „Endlospark“. Wie in einem Asteroidengürtel umkreisen in dieser Zone intensive Nutzungspunkte den Raum, begleitet von satellitengleich eilenden Menschen.

Die „weiten Haine“ sind eine erste Setzung im Park. Im Gegensatz zu den sich prozesshaft entwickelnden Bereichen des äußeren Parkringes entsteht hier sehr früh ein robustes und dennoch flexibel nutzbares Raumgerüst.

Die Breite von 100-200m macht es möglich, diesen Bereich mit allen „gewohnten“ Funktionen eines städtischen Parkes auszustatten. Hier gibt es sonnige und schattige Orte, Flächen zum Grillen, Spielen und Sporttreiben.

Äußerer Parkring – Vielfalt im Prozeß

Der äußere Parkring wird als ein „stadtplanerischer Möglichkeitsraum“ betrachtet. Die Strukturen des Masterplanes sind eine langfristige Zielvorstellung mit vielen Zwischenschritten um letztlich eine Vielfalt städtischer Nutzungen zu generieren. Eine rhythmische Abfolge von urbanen und grünen Szenerien kontrastiert das eher gleichförmige Thema des inneren Parkringes. Langfristig wachsen im äußeren Parkring neue Stadtquartiere mit unterschiedlicher Nutzung. Sie fügen sich in ihrer Erschließungsstruktur in das System der Ringwege ein.

Das Motiv der offenen Baumhaine verknüpft beide Parkringe miteinander. Die jeweils charaktergebenden Baumarten „diffundieren“ in den Übergangszonen und lassen keine starren Grenzen entstehen.

Ringwege – elliptische Bahnen

Die in großen Bögen geführten Ringwege greifen die städtebaulichen Strukturen auf und entwickeln daraus ein eigenständiges Freiraumthema. Auf elliptischen Bahnen werden die Parkringe durchquert, es eröffnet sich eine Vielzahl von Perspektiven auf das freie Flugfeld. Gleichzeitig entsteht ein flexibles Erschließungssystem für die intensiver nutzbaren Randzonen, die Wege geben sowohl dem inneren wie auch dem äußeren Parkring eine robuste Struktur. Sie sind mit einer ebenen, komfortablen Decke versehen (z.B. Asphalt) und können sowohl von Fußgängern wie auch von unterschiedlichsten Fahrzeugen benutzt werden.

Das Vorfeld – ein Multiplatz

Das Flughafengebäude bleibt weiterhin freigestellt, auf dem Vorfeld prägt sich der Parkring in einer artifiziellen, urbanen Form aus. Zu Gunsten einer multifunktionellen Nutzung wird auf feste Strukturen, Pflanzungen oder Einbauten verzichtet. Jedoch setzen übergroße „Baum- Mobile“ als bewegliche Pflanzobjekte die Idee des Baumhaines fort und geben der monumentalen Fläche Struktur und Schatten. Im Alltag steht der Bereich gastronomischen Nutzungen und Freiluftausstellungen zur Verfügung, bei Veranstaltungen können größere Zonen freigeräumt werden.

3. Der Prozeß – Setzung und Wandlung

Um den sehr unterschiedlichen Entwicklungsgeschwindigkeiten Rechnung zu tragen, wird sowohl mit festen Setzungen wie auch mit prozessorientierten Initialen gearbeitet. Gleichzeitig mit der Entstehung eines ersten Raumgerüstes am inneren Parkring wird der Anstoß für Pioniernutzungen und langfristigen Stadtwandel in den außenliegenden Zonen eröffnet.

Das Raumgerüst – ein stabiler Rahmen

Die Parkentwicklung beginnt mit einer starken Setzung: die „weiten Haine“ des inneren Parkringes werden als ein robustes Raumgerüst bereits frühzeitig angelegt und geben dem offenen Flugfeld Kontur und Schutz. Auch die Ringwege entstehen in dieser Phase, sie sind auch im äußeren Parkring eine ablesbare Struktur. Das Flugfeld wird weitestgehend belassen und als Offenland bewirtschaftet. Durch Ergänzungen bereits vorhandener Wege entstehen auf verschiedenen Routen Durchquerungsmöglichkeiten.

Wachsende Räume – Initial und Wandel

Im äußeren Parkring befinden sich „Möglichkeitsräume“, die eine große Vielfalt von Pioniernutzungen bzw. temporären Nutzungen zulassen. Bis auf die Anlage der Erschließungsstruktur (Ringwege) wird zugunsten einer prozessorientierten Entwicklung zunächst auf dauerhafte Setzungen verzichtet. Jedoch wird das Thema der „Wachsenden Räume“ bereits in der Startphase durch den Anbau nachwachsender Rohstoffe, von Energie- und Kulturpflanzen umfassend initiiert. Insbesondere die Flächen zukünftiger Baufelder werden für die Anlage von Kurzumtriebsplantagen, Sonnenblumenfeldern, Obstgärten oder Feldern zum Selbstpflücken von Erdbeeren oder Blumen genutzt. Auf offengehaltenen Flächen siedeln sich kulturell, sportlich oder freizeitorientierte Pioniernutzungen an. Hier ist Raum für eine große Vielfalt temporärer Aktivitäten. Sobald die bauliche Entwicklung einsetzt, werden einzelne Felder herausgelöst und schrittweise in eine „feste“ Struktur überführt. Innerhalb der Stadtquartiere bleiben jedoch einzelne ehemalige „Parkpioniere“ erhalten und entwickeln sich zu einer prägenden Freiraumstruktur.

Die IBA – Stadtlandschaft im Wandel

Die prägnante Struktur und das vielfältige Potential des Tempelhofer Feldes machen es möglich, an dieser Stelle beispielhaft den Transformationsprozess ganzer Stadtteile zu demonstrieren. So werden hier nicht nur „fertige“ städtebauliche Strukturen gezeigt, sondern besonders auch der schrittweise Wandlungsprozeß, der Übergang von Pioniernutzungen bis hin zu etablierten, „ausgereiften“ Stadträumen. Die starke Verzahnung zwischen urbanen und landschaftlichen Themen lassen die IBA in Teilen zu einer „Landschafts-EXPO“ werden. Mit der ringförmigen Anordnung der Quartiere und Freiräume wird ein eigenständiger „Ausstellungsraum“ geschaffen, der die Themen auf eine sehr anschauliche Weise inszeniert.

Die IGA – Felder, Parks und Gärten

Im zukünftigen IGA-Kerngelände wird eine sehr große thematische Vielfalt präsentiert. Während im inneren Parkring, im Bereich des alten Flughafens und der angrenzenden Zonen bereits dauerhafte Anlagen entstehen, werden die Flächen im Columbia-Quartier temporär genutzt. Die thematische Orientierung ist in das Gesamtkonzept der Präsentation von nachwachsenden Rohstoffen, Kultur- und Nutzpflanzen integriert. Die Flächen außerhalb des Kerngeländes zeigen ergänzende landschafts- und freiraumplanerische Ausstellungsinhalte. Auch hier können teilweise dauerhafte Anlagen entstehen, die langfristig zur Freiraumausstattung der Stadtquartiere gehören werden.

4. Das ManagementÖkonomie und Fürsorge

Die qualitätvolle Entwicklung des Geländes erfordert die Installation eines umfassenden Parkmanagementes sowie die Einbindung verschiedenster Akteure in allen Entwicklungsphasen. Dabei wird sowohl für kommerzielle wie auch für Non-Profit-Aktivitäten ein Betätigungsfeld eröffnet. Ziel ist es dabei, eine ausgeglichene Bilanz zu erzeugen, d.h. die Kosten der Bewirtschaftung durch die Einnahmen aus der Nutzung zu decken. Die einfache Parkstruktur aus weiten Wiesenflächen und Baumpflanzungen macht es möglich, die dauerhaften Bewirtschaftungskosten in einem angemessenen Rahmen zu halten. Auch aus dieser Perspektive heraus wird zunächst auf die Anlage intensiv bewirtschafteter Freiraumelemente verzichtet.

Durch Verpachtung gastronomischer Nutzungsrechte, Ausleih von Fahrzeugen oder Sportgeräten sowie Durchführung von Veranstaltungen können dauerhaft Einnahmen erzielt werden. Auch die „wachsenden Räume“ des äußeren Parkringes können in der „Pionierphase“ verpachtet werden (z.B. Plantagen) bzw. durch Non-Profit-Organisationen selbst unterhalten werden (z.B. Sportvereine).

Park -Ranger – die grünen Helfer

Die Vielzahl von Aktivitäen und anfallenden Arbeiten macht es erforderlich, für den Park eine dauerhafte Betreuungsstruktur zu schaffen. So könnten z.B. „Parkranger“ als Ansprechpartner der Besucher fungieren. Diese übernehmen gleichzeitig verschiedene weitere Serviceaufgaben (Fahrzeugausleih, Information, Schutz von ökologischen Vorrangflächen) und unterstützen die das Feld nutzenden sozialen Gruppen und Initiativen.

Park–Partner – ein engagiertes Netzwerk

Um dem starken Interesse verschiedener Gruppen in den Nachbarkiezen und auch der übrigen Stadt an einer Parknutzung Rechnung zu tragen, wird die Schaffung eines Netzes von „Park-Partnern“ vorgeschlagen. Ziel dieser Idee ist es, das Tempelhofer Feld nicht nur als einen „anonymen“ Stadtpark zu betrachten, sondern die Entwicklung und Nutzung der verschiedenen Räume mit einem breiten bürgerschaftlichen Engagement zu verbinden. Auf diese Weise wird die unsichtbare Barriere zwischen „Verwaltung“ und „Bürgern“ aufgehoben und es entsteht eine gemeinsame Verantwortung für den wachsenden Raum.

Tempeltaler – eine grüne Währung

Nach dem Prinzip „Engagement gegen Nutzung“ wird unter Einbeziehung der Park-Partner ein unterstützendes System der Parkbewirtschaftung entwickelt. Sowohl das geleistete Engagement wie auch die dafür „erworbene“ Nutzung können sehr unterschiedlich sein. So ist es denkbar, daß von interessierten Gruppen z.B. das Mähen der Wiese übernommen wird, diese im Gegenzug dafür eine Veranstaltung kostenlos besuchen dürfen. Dieses innovative Bewirtschaftungssystem wird durch eine in Umlauf gebrachten informelle Tauschwährung symbolisiert: ein durch persönlichen Beitrag erworbener „Tempeltaler“ kann für eine beliebige „kostenpflichtige“ Nutzung eingesetzt werden. Persönliches Interesse verbindet sich mit Einsatz und Verantwortung und erzeugt langfristig eine „gemeinschaftliche Fürsorge“ für die neu entstehende Parklandschaft auf dem Tempelhofer Feld.

Dieses Konzept wurde von der Jury als eins von sechs in die Auswahl für das Verhandlungsverfahren ausgewählt. Verfasser: Landschaftsarchitekt/in: Rehwaldt Landschaftsarchitekten, Till Rehwaldt, Dresden Mitarbeiter/in: Angela Aurin, Claudia Schreckenbach, Isabel Bartsch. Architekt/in / Stadtplaner/in: Rohdecan Architekten, Canan Rohde‐Can, Eckart Rohde, Dresden Mitarbeiter/in: Michael Kührt, Enrico Lau

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