Die Garde der volkstümlichen linken Präsidenten Südamerikas ist um ein schillerndes Mitglied reicher:
José Mujica aus Uruguay, 74, ehemals Blumenzüchter, Stadtguerillero und Landwirtschaftsminister, hat in der Stichwahl am Sonntag die absolute Mehrheit erreicht. Auf den Straßen Montevideos feierten Hunderttausende bis spät in die Nacht –
so wie vor fünf Jahren, als die Linke mit Tabaré Vázquez zum ersten Mal in der Geschichte Uruguays die Wahlen gewann.
Auf den ersten Blick wirkt Mujica, den seine Anhänger nur „Pepe“ nennen, mit seinem Schnurrbart und wehendem Haarschopf wie ein gemütlicher Großvater. Doch in Debatten zeigt sich der Autodidakt und Krawattenverächter als wortgewandter Intellektueller mit Witz, der alle Register der Volkssprache ziehen kann.
In den frühen 60er Jahren gehörte Mujica zum Gründungszirkel der Tupamaro-Stadtguerilla. Ein Mal wurde er angeschossen, vier Mal verhaftet, zwei Mal gelang ihm die Flucht aus einem Hochsicherheitsgefängnis. Das Militärregime von 1973 bis 1985 erlebte er vollständig hinter Gittern, wurde gefoltert und in Isolationshaft gehalten.
„Er hat viel durchgemacht, aber er zeigt seine Narben nicht“, meint Buchautor Mario Mazzo. „Er bleibt auf sehr uruguayische Weise nüchtern und kommt deswegen gut an“. Zu seiner Vergangenheit als Guerillakämpfer steht Mujica: „Am meisten bereue ich, dass wir es nicht geschafft haben, die Diktatur mit Fußtritten zu beenden“, bekannte er neulich.
Bei den Tupamaros lernte er auch die neun Jahre jüngere Lucía Topolansky kennen. Nach Ende der Diktatur kamen beide frei, Mujica wurde zunächst Abgeordneter, dann Senator und 2005 Landwirtschaftsminister. Im gleichen Jahr heirateten sie. Als Senatorin der größten Linksgruppierung innerhalb des regierenden „Breiten Front“ wird sie ihm am 1. März 2010 den Amtseid abnehmen.
Mujica definiert sich als „libertären Sozialisten“, der viel für selbst verwaltete Fabriken übrig hat, aber wenig für Staatsdirigismus: „Wir glauben, dass der Kapitalismus so gut wie möglich funktionieren sollte“, meint er pragmatisch. Als Garant für eine konservative Wirtschaftspolitik, die ausländische Investoren ins Land locken soll, hat er einen rechten Sozialdemokraten zu seinem Vize gemacht: den früheren Wirtschaftsminister Danilo Astori.
Als „größte Verpflichtung“ sieht Mujica die Aufgabe, die Kluft zwischen Arm und Reich in Uruguay mit seinen dreieinhalb Millionen Einwohnern zu verringern. „In Lateinamerika waren wir das Land, das den Reichtum am besten verteilt hatte,“ sagt er. „Doch in den vergangenen 30 Jahren haben wir Rückschritte gemacht, und diese schreckliche Ungleichheit führt zu sozialen Problemen und Unsicherheit.“ Auch einen Disput mit katholischen Bischöfen wenige Tage vor der Wahl überstand Mujica problemlos. Anders als Präsident Tabaré Vázquez werde er gegen Gesetze zur Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs kein Veto einlegen, kündigte er an.
Viel mehr als Vázquez ist Mujica ein engagierter Verfechter der lateinamerikanischen Integration. „Wenn wir uns nicht zusammenschließen, sind wir in der Welt, die auf uns zukommt, zu einer neokolonialen Rolle verdammt,“ warnt er. Seine erste Aufgabe sieht er darin, die wegen einem Zellstoffwerk an der Grenze arg strapazierten Beziehungen zu Argentinien wieder einzurenken. Seine Strategie: „Wir haben viel Geduld. Wir setzen uns an die Brücke und trinken Mate-Tee“.
Die Siegesrede:
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